TÜV-Plakette für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit? Der neue OECD-Prüfbericht zu Deutschland

TÜV-Plakette für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit? Der neue OECD-Prüfbericht zu Deutschland

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Keijzer, Niels / Stephan Klingebiel
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 04.11.2015)

Bonn, 04.11.2015. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit (EZ) verfügt über ein besonderes Instrument, um die Qualität der OECD-Geber regelmäßig zu überprüfen: Gruppendruck. Alle vier bis fünf Jahre organisiert der Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee, DAC) der OECD einen detaillierten Prüfbericht (peer review). Am 4. November wird in Berlin der neue Prüfbericht zu Deutschland erstmals vorgestellt. Der Vorsitzende des DAC, Erik Solheim, wird den Bericht im entwicklungspolitischen Fachausschuss des Deutschen Bundestages präsentieren. Das für die Prüfung verantwortliche Expertenteam bestand diesmal neben OECD-Mitarbeitern aus Vertretern der DAC-Mitglieder Japan und Kanada.

Der neue Bericht liefert, was von ihm erwartet wird: eine konstruktive, aber auch kritische Sicht auf Deutschlands öffentliche Entwicklungszusammenarbeit. Der letzte Bericht aus dem Jahr 2010 benannte als Hauptschwächen vor allem eine schwer zu überblickende Institutionenlandschaft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und ein gleichzeitig unzureichend steuerndes Ministerium (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ). Ebenso wurde Deutschland als derzeit drittgrößtem OECD-Geber eine mangelnde strategische Ausrichtung bescheinigt – etwa bei der Unterstützung des multilateralen EZ-Systems v.a. in Form der Vereinten Nationen, der Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken.

Der heute erscheinende Bericht erkennt eine Reihe von Verbesserungen im Vergleich zu den 2010 festgestellten Mängeln. Mittlerweile habe das BMZ die tatsächliche steuerende Rolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die größere Zahl von Entwicklungsreferenten an den Deutschen Botschaften habe dazu beigetragen, dass die Arbeit in den Partnerländern weniger stark von den Durchführungsorganisationen geprägt sei. Weitere Schritte zur Dezentralisierung der deutschen EZ seien wünschenswert. Ebenso habe das Ministerium mittlerweile eine strategischere Ausrichtung gegenüber multilateralen Einrichtungen. Insgesamt sieht das Expertenteam sieben Empfehlungen des 2010er Berichts als nun umgesetzt, elf als teilweise umgesetzt und keine als nicht umgesetzt an. Also eine insgesamt positive Einschätzung, die zum Teil noch stärker in den erläuternden Texten zum Ausdruck kommt.

An welchen Stellen bietet der Bericht neue Sichtweisen? Welche Kritikpunkte bleiben bestehen oder kommen hinzu? Zunächst einmal würdigt er die im Jahr 2014 verabschiedete Zukunftscharta des BMZ, die zum Ziel hatte, in einem breiten Dialog die künftige Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu bestimmen. Der Bericht sieht eine Chance in der anstehenden Überarbeitung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, die für alle Politikbereiche mehr kohärentes Handeln ermöglichen kann. Nachholbedarf bestehe hingegen bei der Priorisierung des Zielsystems der Entwicklungszusammenarbeit: Welche Ziele der Zukunftscharta und der seit Anfang 2014 laufenden Sonderinitiativen des BMZ sind besonders wichtig? Ebenso mahnt der Bericht an, dass einige politische Prioritäten sich nicht gleichermaßen in getroffenen Zusagen wiederfänden. Der Anteil der ärmsten und armen Länder an der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands nehme etwa ab, obwohl diese Ländergruppe bzw. der afrikanische Kontinent die wichtigste Priorität des BMZ sei. Die Verwendung der deutschen EZ-Mittel sei nicht ausreichend transparent und die knappen Zusagezyklen für längerfristige Planungen der Partnerländer ein Problem. Die Konzentration auf mittlerweile 50 Partnerländer mit einem umfassenden EZ-Kooperationsprogramm (sowie 29 weiteren Ländern) habe nur sehr bedingt zu der beabsichtigten Fokussierung der deutschen EZ geführt. Schließlich plädiert der Bericht dafür, dass Deutschland seine Humanitäre Hilfe, die in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes fällt, ausweitet.

Der Prüfbericht zu Deutschland sollte in dreierlei Hinsicht zu intensiveren Debatten in Deutschland beitragen. Erstens ist es wichtig, die Anstrengungen fortzusetzen, die deutsche EZ wirksamer zu gestalten. Der Bericht liefert hierfür eine sehr gute Grundlage. So kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit effektiver sein, wenn liefergebundene Leistungen weiter abnehmen, die starre Einteilung zwischen Haushaltstiteln für Technische und Finanzielle Zusammenarbeit überwunden würde und die Transparenz zu den eingesetzten deutschen EZ-Mitteln steigt.

Zweitens verdeutlichen die internationalen Krisen der letzten Jahre und Monate und die aktuelle Flüchtlingssituation in Europa, wie wichtig planvolles Handeln und funktionsfähige Instrumente sind, die auf kurzfristige Herausforderungen reagieren können. Dies umfasst u.a. das gesamte Spektrum von Instrumenten aus dem Bereich der humanitären Hilfe, der Flüchtlings- und Übergangshilfen und der längerfristigen EZ. Der Prüfbericht kann auch hierzu einen guten Ausgangspunkt für Debatten im Deutschen Bundestag, innerhalb der Bundesregierung und der Öffentlichkeit bieten.

Drittens sollten in Deutschland vermehrt Diskussionen zur grundlegenden strategischen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch anderer internationaler Kooperationsansätze, stattfinden. Wie kann die deutsche EZ noch gezielter die langfristig angelegten Ziele nachhaltiger Entwicklung befördern? Welchen Beitrag können andere Politikbereiche hierzu leisten? Wie können Entwicklungszusammenarbeit und andere Politiken dazu beitragen, dass etwa Schwellenländer noch wirksamer an der Bearbeitung globaler Probleme mitwirken können? Angesichts der rasanten Veränderungen globaler Herausforderungen wäre ein solcher strategischerer Blick auf Entwicklungszusammenarbeit notwendig.

Dieser Beitrag wurde auf www.tagesspiegel.de erstveröffentlicht.

Über die Autor*innen

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