Aid effectiveness der zwei Geschwindigkeiten

Aid effectiveness der zwei Geschwindigkeiten

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Klingebiel, Stephan / Stefan Leiderer
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 05.12.2011)

Bonn 05.12.2011. Der Gipfel von Busan (29.11.-01.12.2011), der an der zwischenzeitlichen Weigerung Chinas, die Abschlusserklärung zu unterzeichnen, beinahe gescheitert wäre, hatte ein grundsätzliches Dilemma zu lösen. Die erste Herausforderung bestand darin, das Momentum für die Wirksamkeits-(bzw. aid effectiveness) Agenda der vergangenen Jahre aufrecht zu erhalten. Die beiden vorangegangenen hochrangigen Treffen für eine wirksamere Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in Paris (2005) und Accra (2008) konnten tatsächlich Ergebnisse vorweisen, die in gegenseitigen und vor allem konkret nachprüfbaren Verpflichtungen der EZ-Partner bestanden. Bei der Umsetzung der Verpflichtungen tun sich aber vor allem die Geber schwer, etwa wenn es darum geht, dass die Partnerländer selbst und nicht die Geberagenturen für die Durchführung zuständig sein sollen.

Die zweite Herausforderung bestand in der Einbeziehung neuer Akteure. Denn für die Entwicklungspolitik gilt, was auch für andere internationale Themen festzustellen ist: Die Rahmenbedingungen verändern sich rasant schnell, eventuell schneller als die politischen Akteure angemessen reagieren können. Für die EZ bestehen diese Veränderungen nicht zuletzt darin, dass viele neue Geber wie die wirtschaftlich erfolgreichen asiatischen Staaten und private Stiftungen (etwa die Bill und Melinda Gates Stiftung) an Bedeutung gewinnen und auch in finanzieller Hinsicht das Gewicht der alten OECD-Gebergruppe mittlerweile spürbar schrumpfen lassen. Die neuen Akteure wollen sich aus durchaus nachvollziehbaren Gründen allerdings den – aus ihrer Sicht von westlichen Gebern dominierten – Verpflichtungen und Prozeduren nicht einfach anschließen. Dementsprechend galt es in Busan, diese neuen Akteure und Beziehungen effektiv in eine zukunftsfähige Wirksamkeitsagenda einzubinden.

Im Sprachgebrauch der europäischen Integrationspolitik ließe sich diese zweifache Zielsetzung als Dilemma zwischen „Vertiefung“ und „Erweiterung“ umschreiben. Was konnte vor diesem Hintergrund das Busan-Treffen erreichen? Gibt es einen Neuigkeitswert, über den sich noch in zwei oder fünf Jahren berichten lässt? Die Ergebnisse sind vor allem eines: Sie lassen sich als Entwurf einer neuen internationalen EZ-Architektur interpretieren. Dieser Entwurf basiert weniger auf einem in sich geschlossenen Plan, wie eine künftige Struktur aussehen könnte, sondern bietet Anhaltspunkte, wie künftig Debatten über eine wirksamere EZ zu führen sind. Es zeichnet sich ab, dass es künftig „zwei Geschwindigkeiten“ geben wird. Die Gruppe der Geber, die sich weiterhin eng an die Verpflichtungen von Paris und Accra halten und die bisherige Agenda für eine wirksamere Hilfe mit hohem Engagement umsetzen und weiter voran bringen möchte, wäre dann die „schnelle Gruppe“ – als Vorreiter für dieses schnelle Tempo zählt Großbritannien, wenn auch der einstige EZ-Musterschüler in den letzten Jahren an Tempo und Glanz verloren hat. Einzelne Aussagen der Busan-Erklärung beziehen sich bereits nur noch auf solche Vertragspartner, die bereits in der Vergangenheit mitgewirkt haben.

Die zweite Gruppe von Gebern fühlt sich demgegenüber nicht oder nur teilweise an die bisherigen und neuen Zusagen gebunden. Dies kann verschiedene Gründe haben. So genannte neue Geber wie Brasilien, Indien und China können mit einigem Recht für sich in Anspruch nehmen, dass die EZ-Diskussionsforen die alten „Nord-Süd-Strukturen“ reflektieren und bisherige

Modernisierungsbemühungen nicht allzu überzeugend sind. Zu dieser zweiten Gruppe könnten aber in der Praxis auch solche Geber - etwa Frankreich, die USA und Japan - hinzukommen, die sich mit der Umsetzung der bisherigen aid effectiveness-Agenda bislang schwer getan haben.
Wie sind vor diesem Hintergrund die Ergebnisse von Busan einzuschätzen?

Die optimistische Sichtweise…
Positiv gewendet kann man die Ergebnisse des Gipfels von Busan dahingehend interpretieren, dass es den beteiligten Akteuren gelungen ist, mit dem Abschlussdokument eine neue breitere Entwicklungspartnerschaft zu skizzieren, die die neuen Akteure und neue Kooperationsbeziehungen einbezieht, ohne die „traditionellen“ Unterzeichner der Paris/Accra-Agenda aus ihren bereits eingegangenen Verpflichtungen zu entlassen. So bekennen sich die Unterzeichner explizit zur weiteren Umsetzung der jeweiligen Selbstverpflichtungen. Gleichzeitig formuliert das Abschlussdokument von Busan eine Reihe neuer „weicherer“ Prinzipien, die es auch den neuen Akteuren gestattet, sich dem Konsens anzuschließen. Somit ist ein pragmatischer, aber wichtiger erster Schritt getan, diese Akteure mit „an Bord“ zu nehmen und in eine weiterführende Wirksamkeits-Agenda einzubinden. Das gilt für die neuen Akteure des Südens, aber auch für die Regierungen in den Industrieländern, die sich bislang zurückhaltend zur Paris/Accra-Agenda verhalten haben oder die sich nach Regierungswechseln in Europa in den letzten Jahren zumindest politisch von den Verpflichtungen ihrer Vorgänger abgrenzen wollen.

Die skeptische Sichtweise…
Der Übergang vom Konzept einer effektiveren Hilfe zum Konzept einer breit angelegten Entwicklungsorientierung (development effectiveness) ist die Duftmarke der Busan-Erklärung. Den Vertragsparteien ist bewusst, dass Hilfe natürlich nur einen kleinen Teil der Bemühungen um nachhaltige Entwicklung in den Partnerländern darstellen kann. Daher müssen folgerichtig auch andere Politiken und Ansätze daran ausgerichtet werden, dass sie den größtmöglichen Nutzen für Entwicklung erzielen. Dieser Gedanke ist so einfach wie richtig. Gleichwohl lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, dass dies einen Fortschritt verspricht. Für die vorangegangenen Verpflichtungen von Paris und Accra hat sich gezeigt, dass dort zwar gute und überprüfbare Vereinbarungen getroffen wurden, diese jedoch nur unzureichend umgesetzt werden. Aber ist es in dieser Situation dann sinnvoll, im Interesse einer breiter angelegten neuen globalen Partnerschaft, den Druck von den Gebern zu nehmen, ihre ungemachten Hausaufgaben zu erledigen?

Ob nun die optimistische oder die skeptische Sicht auf die Ergebnisse von Busan zutreffender ist, hängt in erster Linie von den weiteren Schritten ab - nicht zuletzt von den bis Mitte 2012 zu liefernden konkreten Umsetzungsvereinbarungen. Denn Busan ist zunächst lediglich ein Modell für eine neue Hilfe-Architektur, aber bislang ohne klare Weichenstellungen. Eine wirkliche Verknüpfung der beiden zentralen Anliegen – „Vertiefung“ und „Erweiterung“ – ist damit noch nicht erreicht.

Über den Autor

Klingebiel, Stephan

Politikwissenschaft

Klingebiel

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