Busan und die Vereinten Nationen: ist es Zeit, die Beziehungen zu festigen?

Busan und die Vereinten Nationen: ist es Zeit, die Beziehungen zu festigen?

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Muhlen-Schulte, Arthur / Silke Weinlich
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 21.11.2011)

Bonn, 21. November 2011. Ende des Monats versammeln sich mehr als 2.000 Delegierte aus aller Welt in Busan, Südkorea, um eine Bilanz der internationalen Bemühungen zur Steigerung der Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit (aid effectiveness) zu ziehen und eine neue globale Partnerschaft für die Wirksamkeit von Entwicklung (development effectiveness) zu schmieden. Sie vertreten Geber- und Partnerländer, aufstrebende Mächte wie China, Indien und Brasilien (die Entwicklungshilfe gewähren und erhalten), private philanthropische Stiftungen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft. Eingeladen haben jedoch nicht die Vereinten Nationen (United Nations – UN). Nicht einmal die Veranstaltung als solche ist von ihnen organisiert worden (wenngleich mehrere UN-Organisationen an den Vorbereitungen beteiligt waren).

Das Vierte Hochrangige Forum zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in Busan, ist vielmehr eng verknüpft mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und ihrer Arbeitsgruppe zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (WP-EEF). Die WP-EEF wurde auf rund 80 Mitglieder mit ungefähr gleicher Anzahl von Empfänger- und Geberländern vergrößert, dazu kommen Vertreter der Zivilgesellschaft. Gleichwohl bleibt sie ein Gremium, das weder universell noch im Hinblick auf die Interessen ärmerer Länder repräsentativ ist und außerdem keinen internationalen Vertrag zur Grundlage hat. Dies wirft Legitimitätsfragen und Fragen nach einer Doppelung bestehender UN-Strukturen auf. Mittel- bis langfristig sollte die WP-EEF stärker mit den UN verzahnt werden. Die Entwicklung von einem Fokus auf aid effectiveness hin zu dem breiteren Thema der development effectiveness macht diesen Schritt noch dringlicher.

Von „Aid” hin zu „Development
Was 2003 in Rom mit 24 Kernmitgliedern, etwa 28 Partnerländern und einer Handvoll multilateraler Organisationen als Prozess zur Harmonisierung der EZ seinen Anfang nahm, weitete sich bis 2005 auf mehr als 100 Unterzeichner der Erklärung von Paris aus und wächst beständig weiter. Die fünf Grundsätze von Paris – Eigenverantwortung (Ownership), Partnerausrichtung (Alignment), Harmonisierung, Ergebnisorientierung und gegenseitige Rechenschaftspflicht – sind das Fazit aus jahrelanger traditioneller Entwicklungszusammenarbeit zwischen Mitgliedern des OECD-Entwicklungsausschusses (OECD-DAC) und Entwicklungsländern. Doch mittlerweile ist das klassische Paradigma der EZ umstritten.

Die von Schwellenländern ausgehenden Investitionen, Handelsbeziehungen und Unterstützung für Entwicklungsländer gewinnen rasch an Bedeutung. Daher verfolgt Busan einen zweigleisigen Ansatz: Einerseits muss die traditionelle Wirksamkeitsagenda weiterentwickelt werden. Insbesondere auf Seiten der Geberländer besteht ein hoher Handlungsbedarf, wie die ernüchternden Resultate der Evaluierung der Erklärung von Paris gezeigt haben. Andererseits wird angestrebt, über das traditionelle Aid-Paradigma hinauszugehen und auch Schwellenländer, die bisher die Paris-Prinzipien als Grundlage ihrer Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern nicht akzeptiert haben, einzubinden.

Warum spielen die Vereinten Nationen in diesem Prozess keine zentrale Rolle?
Anfang des Jahrtausends verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft auf die Millenniumserklärung und die Millenniumsentwicklungsziele. Damit ging die Erkenntnis einher, dass es nun unerlässlich war, Entwicklungshilfegelder zu steigern und die Wirksamkeit von EZ durch verbessertes Management zu erhöhen. Die Debatte um die Wirksamkeit von Entwicklungspolitik begann im OECD-DAC, wo Geberländer bereits seit den 1960er Jahren verwandte Themen diskutiert hatten. Der OECD-Entwicklungsausschuss wurde zum bevorzugten Ort für die aid effectiveness-Agenda.

Die Organisation wurde für effektiv gehalten, und Geberländer mussten sich hier keiner grundsätzlichen Kritik am asymmetrischen Machtverhältnis zwischen Geber- und Empfängerländern stellen, der sie sich in anderen Organisationen gegenüber gesehen hätten. Die alleinige Konzentration auf aid hätte in den UN eine Herausforderung bedeutet, da viele Entwicklungsländer die Bedeutung eines ganzheitlichen Entwicklungsansatzes betonen, der Handels- und Finanzfragen einschließt. Das hätte womöglich die Formulierung eines Dokuments wie die Paris-Erklärung verhindert, welche sich trotz einiger Schwierigkeiten bei der Umsetzung jüngsten Evaluierungen zufolge insgesamt positiv ausgewirkt hat – nicht zuletzt auf die Eigenverantwortung von Entwicklungsländern.

Legitimitätsfragen
Die Tatsache, dass die UN nicht Gastgeber des Busan-Gipfels sind, wirft einige Legitimitätsfragen auf. Diese betreffen vor allem den OECD-Entwicklungsausschuss, der als von Industriestaaten dominiert wahrgenommen wird, und der keine universelle Mitgliedschaft besitzt. Obwohl die WB-EEF umfassend erweitert worden ist, kann der Paris/Accra/Busan-Prozess seine exklusiven Ursprünge nicht verneinen.

Einige Entwicklungsländer haben sich der Wirksamkeitsagenda nicht angeschlossen, was deren weltweite Umsetzung für Entwicklungsakteure wie die UN schwierig macht. Andere Entwicklungsländer erkennen die Agenda nicht als Grundlage für ihre Zusammenarbeit mit anderen Entwicklungsländern (Süd-Süd-Kooperation) an, obwohl sie die Erklärung von Paris unterzeichnet haben. Zudem besteht die Wahrnehmung, dass Entwicklungsländern der Politikprozess nicht im gleichen Maße gehört wie den Industrieländern, zum Beispiel zögert China, einen hochrangigen Minister nach Busan zu schicken. Lateinamerikanische Länder fordern, dass eine inklusivere Organisation den Prozess nach Busan übernimmt. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft wie BetterAid verlangen, dass die WP-EEF von einer inklusiveren, effektiveren, mit mehr Kompetenzen ausgestatteten und umsetzungsorientierten Nachfolgeorganisation abgelöst wird.

Allerdings wird die Wirksamkeitsagenda durch ihre Ergebnisse legitimiert. Obwohl die meisten Zielvorgaben der Erklärung von Paris nicht eingehalten wurden, wurden die Prinzipien grundsätzliche bekräftigt. Viele Unterzeichner aus dem Kreis der Entwicklungsländer befürworten, dass die aid effectiveness-Agenda weiter umgesetzt wird. Sie fordern jedoch auch, dass es an der Zeit ist, sich vom aid-Paradigma zu verabschieden und alle Akteure und Formen von entwicklungspolitischer Relevanz einzubeziehen.

Es ist an der Zeit, Brücken zu schlagen…
Es gilt nun, die Brücken zwischen bestehenden Entwicklungsinstitutionen zu verstärken und das System der Vereinten Nationen besser zu nutzen. Die Vereinten Nationen sind die logische institutionelle Wahl, wenn es darum geht, Entwicklungszusammenarbeit und die größere Wirksamkeit von Entwicklungsanstrengungen anzugehen. Die Mitgliedstaaten haben die UN eingerichtet, um durch Zusammenarbeit internationale soziale, kulturelle und humanitäre Probleme zu bewältigen. Durch ihre Mitgliedsstruktur verfügt die UN über eine einzigartige Legitimität; sie kann universell gültige Normen und Standards setzen. Das UN Development Cooperation Forum (DCF) besteht bereits, auch wenn es zurzeit nicht die stärkste Unterstützung von wichtigen Industrie- oder Schwellenländern erfährt. Die Unterstützungsstrukturen für das DCF können auch bei Weitem nicht mit der Ausstattung der OECD mithalten. So etwas schürt weiter das Misstrauen, das gegenüber der Fähigkeit der UN, internationale Politikprozesse effektiv zu managen, besteht. Auch der Nord-Süd-Konflikt, der weiterhin viele UN-Verhandlungen dominiert, setzt Grenzen für mögliche Brückenschläge.

Industriestaaten müssen daran erinnert werden, dass es in ihrer Macht liegt, sich das größere Potenzial und die Effektivität von Organisationen wie der UN zu erschließen. Auf den ersten Blick mag es einfacher erscheinen, exklusive Mitgliedschaften zu pflegen oder neue Organisationen und Clubs zu gründen. Aber auf lange Sicht hat keine Seite etwas davon, die UN weiterhin als ineffektiv zu marginalisieren. Der langwierige Aushandlungsprozess für das Busan-Abschlussdokument zeigt, dass neue Institutionen kein Allheilmittel gegen Interessenskonflikte besitzen, die naturgemäß mit heterogenen Akteursgruppen einhergehen. Die UN verkörpern die Vorstellung von einer Welt, die nach universellen Regeln und Normen regiert wird, nicht nach dem Gesetz des Stärkeren. In Zeiten sich wandelnder Machtverhältnisse und tektonischer Verschiebungen in der globalen Wirtschaft ist es geboten, dass Industriestaaten die inklusiven Strukturen der UN nutzen. Die UN stellt sowohl Foren als auch Mechanismen zur Verfügung, mit denen gemeinsam mit Schwellenländern nicht nur die Wirksamkeitsagenda verfolgt werden, sondern umfassend die weltweite Entwicklung angegangen werden kann.

Über die Autorin

Weinlich, Silke

Politikwissenschaft

Weinlich

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