Der MDG-Plus-10-Gipfel der Vereinten Nationen: Entwicklungskonsens erneuert, Umsetzung steht aus

Der MDG-Plus-10-Gipfel der Vereinten Nationen: Entwicklungskonsens erneuert, Umsetzung steht aus

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Weinlich, Silke
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 20.09.2010)

Bonn, 20.09.2010. Heute beginnt das Gipfeltreffen der Vereinten Nationen (VN) zu den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) in New York. Im Jahr 2000 einigten sich mehr als 150 Staats- und Regierungschefs in der Millenniumserklärung auf eine Agenda für die internationale Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert. Daraus wurden acht MDGs abgeleitet, die bis 2015 erreicht werden sollen. In den nächsten drei Tagen wird eine Zwischenbilanz der bisherigen Umsetzung gezogen und ein Aktionsplan zur Erreichung der MDGs bis 2015 verabschiedet.

Trotz nicht unerheblicher Konflikte im Vorfeld hat sich die Weltgemeinschaft zehn Tage vor Gipfelbeginn auf das Ergebnisdokument „Keeping the Promise – United to Achieve the Millennium Development Goals“ einigen können, das nun von den angereisten Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden soll. Dies ist ein positives Zeichen dafür, dass auch ein Jahrzehnt nach dem Millenniumsgipfel Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer weiterhin hinter dem MDG-Projekt stehen und ihre Verpflichtungen einhalten wollen. Der globale Konsens über Entwicklung und Armutsbekämpfung wurde erneut bekräftigt. Im Verhandlungsprozess wurde jedoch die Umstrittenheit dieses inhaltlichen Minimalkonsenses deutlich, welcher dank konkreter Ziele und Zeitvorgaben politische Sprengkraft besitzt. Das Ergebnisdokument ist ein ausgefeilter Kompromiss, der allerdings offen lässt, ob der politische Wille ausreicht, die MDGs bis 2015 zu erreichen.

Bekräftigung des globalen Entwicklungskonsenses
Das MDG-Projekt läuft seit nunmehr fast zehn Jahren und hat sich auf beispiellose Weise als globaler Referenzrahmen etabliert. Die acht Ziele sind weltweit bekannt und dienen als Zielkatalog und Berufungsgrundlage für so unterschiedliche Akteure wie den Internationalen Währungsfonds (IWF), Graswurzel-NGOs oder philanthropische Stiftungen. Die Millenniumserklärung und die MDGs wurden auch ins Leben gerufen, um die Bedeutung der Vereinten Nationen als globales Forum für die Bearbeitung kollektiver Menschheitsprobleme zu stärken und die entwicklungspolitischen Anstrengungen sichtbar zu fokussieren.

Das internationale System hat sich in der letzten Dekade stark gewandelt. Viele Regierungen haben die MDGs von ihren Vorgängern geerbt. Ereignisse wie der 11. September 2001, die unilaterale Politik der Bush-Regierung, der Aufstieg von Schwellenländern wie Indien und China und nicht zuletzt die Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 haben die Vorzeichen verändert, unter denen Staaten in den Vereinten Nationen zusammentreffen. Trotz augenscheinlich gewachsenem globalen Problemdruck und stärkerem Bedarf nach multilateralen Lösungen fiel bei vergleichbaren Großereignissen (VN-Weltgipfel 2005, Wirtschafts- und Finanzkrisenkonferenz 2009) die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen schwer. Beim Klimagipfel in Kopenhagen 2009 schlug sie gar fehl. Die erfolgreiche Aushandlung eines 31-seitigen Abschlussdokuments, die Bekräftigung des MDG-Projekts und die erneute Zustimmung zu Werten wie Menschenrechten und gemeinsamer Verantwortung für Entwicklung ist vor diesem Hintergrund ein Erfolg.

Verteilung von Verantwortlichkeiten und globale Opposition
Die MDG-Bilanz fällt fünf Jahre vor der Zielgeraden sehr gemischt aus. Während in einigen Ländern deutliche Fortschritte zu verzeichnen sind, reicht in vielen Ländern die Geschwindigkeit der Fortschritte nicht aus. Auch in Bezug auf einzelne MDGs gibt es deutliche Unterschiede. Unrühmlich ist nicht zuletzt der Fortschritt bei dem „Geber-MDG“ 8, das den Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft u. a. anhand eines gerechteren Handels- und Finanzsystems oder der Erhöhung der Entwicklungshilfe misst. Es gilt als allgemein anerkannt, dass die gemeinsam vereinbarten Ziele bis 2015 nur mit deutlich stärkerem Einsatz zu erreichen wären. Der VN-Generalsekretär etwa bezifferte den zusätzlichen Bedarf auf 100 Mrd. US Dollar.

Die rund dreimonatigen Verhandlungen in New York verliefen entlang der bekannten Nord-Süd-Konfliktlinie. Entwicklungsländer wollten die Industriestaaten stärker in die Verantwortung nehmen und drängten auf zusätzliche finanzielle Verpflichtungen. Das stieß in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise auf wenig Gegenliebe. Aus westlicher Perspektive wird zudem nationalen Faktoren wie guter Regierungsführung, Menschenrechte und Demokratie großer Einfluss auf die MDG-Umsetzung beigemessen. Auch Staatenfragilität und gewaltsame Konflikte spielen eine wichtige Rolle. Entsprechend drängten Industriestaaten darauf, diese Themen prominent im Abschlussdokument zu berücksichtigen. Dies lehnten wiederum einige Entwicklungs- und Schwellenländer als Einmischung in innere Angelegenheiten ab. Auch verorteten sie die Verantwortung für die MDG-Erreichung vor allem bei den Industriestaaten, während jene auf die gemeinsame Verantwortung pochten.

Die Position der Entwicklungsländer – bei weitem keine einheitliche Gruppe mit homogenen Interessen – wurde erneut von jenen Staaten dominiert, die die VN nutzen, um ihre Opposition gegen herrschende Machtverhältnisse im internationalen System Ausdruck zu verleihen. So gelangten auch Themen auf die Agenda, die auf den ersten Blick wenig mit den MDGs zu tun haben. Vermittlung in letzter Minute war nötig, um etwa einen allseits akzeptablen Umgang mit der Israel-Palästina-Thematik zu finden. Aus New York heißt es, von einem mäßigendem Einfluss jener Schwellenländer, die in der G-20 mit den Industriestaaten an einem Tisch sitzen, sei wenig zu spüren gewesen. Auch eine vernehmbare Position afrikanischer Staaten, deren Kontinent in der MDG-Umsetzung am weitesten hinterherhinkt, wurde vermisst.

Keeping the promise or keep promising? Das Versprechen halten oder weiter Versprechungen machen?
Viele Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen haben im Vorfeld des Gipfels nicht nur einen klaren Aktionsplan eingefordert, der beschreibt, wie die MDGs zu erreichen sind. Sie haben auch Vorschläge unterbreitet, wie die anerkannten Schwächen und blinden Flecken des MDG-Konzepts und seiner Umsetzungsstrategien zu beheben sind. Dass sich die Staaten nun vor allem darauf beschränken werden, bereits gegebene Versprechungen zu wiederholen, mag aus dieser Perspektive als unbefriedigend und geradezu skandalös erscheinen. Wenn der hochkarätig besuchte Überprüfungsgipfel allerdings stärkere Verbindlichkeit und politischen Willen zur Umsetzung der Versprechen generiert, so erfüllt er seinen Zweck. Dafür bedarf es keiner neuen Absichtserklärungen. 2013 müssen sich die Staaten erneut in New York verantworten.

Über die Autorin

Weinlich, Silke

Politikwissenschaft

Weinlich

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