Der neue EU-Entwicklungskommissar: vom Anwalt der Armen zum Mitgestalter globaler Entwicklungen?

Der neue EU-Entwicklungskommissar: vom Anwalt der Armen zum Mitgestalter globaler Entwicklungen?

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Koch, Svea / Niels Keijzer / Christine Hackenesch
Die aktuelle Kolumne (2014)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 04.11.2014)

Bonn, 04.11.2014. Diese Woche übernimmt der neue EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica sein Amt. Ihm bleibt wenig Zeit, sich mit seinem neuen Job vertraut zu machen. Mimica wird sich nicht nur mit einer Reihe globaler Krisen auseinandersetzen, sondern auch mittel- bis langfristige Reformen zur Umgestaltung der EU-Entwicklungspolitik anpacken müssen.

Verschiedene Krisen vermitteln den Eindruck, dass die Lage der Welt heute alarmierender ist als bei früheren Amtseinführungen: von den entsetzlichen Gewaltkonflikten in Syrien und im Irak und den damit verbundenen Flüchtlingskatastrophen, der verheerenden Ebola-Pandemie, der Krise in der Ukraine bis zu den wiederaufflackernden Krisen im Südsudan, in Somalia, der Zentralafrikanischen Republik oder dem Putsch in Burkina Faso. Diese Krisen verlangen von Mimica nicht nur sofortiges Handeln, sondern auch enge Zusammenarbeit mit den Kollegen, die für die EU-Nachbarschafts- und Außenpolitik sowie die Humanitäre Hilfe zuständig sind.

In seinem ersten Jahr muss Mimica außerdem Europas Beitrag zu drei großen globalen Ereignissen organisieren: zur Post-2015 Entwicklungsagenda, zur Klimakonferenz in Paris und zur Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba. Diese Abkommen werden systemische Effekte für die Zukunft der Entwicklungspolitik haben. Sie verlangen nichts weniger als eine Neugestaltung der EU-Entwicklungspolitik. Um sie auszuhandeln und umzusetzen, bedarf es eines ehrgeizigen, risikobereiten und mutigen Entwicklungskommissars und entsprechendes Engagement auf Seiten des Europäischen Parlaments, der Mitgliedsstaaten und der europäischen Entwicklungscommunity.

Warum ein 'weiter so' keine Option ist

Ein traditioneller entwicklungspolitischer Ansatz, der sich zu allererst auf Armutsreduzierung konzentriert, wird nicht mehr ausreichen. Er mag für Andris Piebalgs gereicht haben. Piebalgs konzentrierte sich vor allem auf die Millenniumsentwicklungsziele und damit auf Grundbedürfnisse und Armutsbekämpfung und wandte sich zugleich neuen Bereichen wie Energie und dem Privatsektor zu. Der Kern der Post-2015 Entwicklungsagenda wird weiterhin Armutsminderung sein. Sie wird jedoch eng mit anderen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern sowie Förderung friedlicher und gerechterer Gesellschaften verknüpft sein. Diese Ziele können nicht getrennt voneinander erreicht werden. Rückschläge im Bereich Klimawandel und Konfliktprävention werden Entwicklungsfortschritte negativ beeinflussen und weiteren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gefährden, nicht nur in ‚armen Ländern‘, sondern auch in der EU. Die EU-Entwicklungspolitik wird daher nicht nur ihre Ziele über Armutsminderung hinaus erweitern, sondern auch akzeptieren müssen, dass Investitionen in Konfliktprävention und -management sowie Klimaschutz- und -anpassung genauso wichtig für Armutsminderung und globale Entwicklung sein können wie Investitionen in Gesundheit und Bildung. Angesichts dieser gegenseitigen Abhängigkeit ist die Behauptung, die neuen Agenden würden Anstrengungen zur Armutsbekämpfung hintenanstellen, abwegig. Nur abgestimmte Bemühungen können die globale Entwicklung voranbringen.

Die neue Entwicklungsagenda verlangt von der EU gut integrierte politische Antworten. Eine EU-Entwicklungspolitik, die von anderen nach außen gerichteten EU-Politiken isoliert ist, ist keine Option mehr. In der Vergangenheit wurde dieser Ansatz häufig gerechtfertigt, um die Entwicklungspolitik und ihr Budget davor zu schützten, außen- und handelspolitischen Interessen untergeordnet zu werden. Es bleibt zwar wichtig, sich für internationale Entwicklung einzusetzen, die nicht kurzfristigen außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen unterworfen ist. Doch letztlich ist eine Zusammenarbeit zwischen Institutionen und eine bessere Koordination der verschiedenen internen und externen Politikfelder erforderlich. Regelmäßige Treffen der Kommissare, die sich mit den nach außen gerichteten EU-Politikfeldern befassen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Doch dies erfordert einen Entwicklungskommissar, der nicht darauf wartet, koordiniert zu werden, sondern sich aktiv an die anderen Kommissare und die Hohe Vertreterin wendet, um gemeinsame Politiken und koordinierte Maßnahmen zu fördern.

Schließlich muss Neven Mimica eine neue, wahrhaft europäische Vision für Entwicklungspolitik entwickeln. Der Europäische Konsens für die Entwicklungspolitik von 2005 beschreibt eine zwischen Mitgliedsstaaten und Kommission schwer erkämpfte Vision der wichtigsten EU-Leitideen. Nach 2015 wird dieser Konsens überholt sein. Neue Ziele, neue Allianzen und sich verändernde Machtstrukturen werden die EU zwingen, sich über eine neue Vision zu verständigen, die verdeutlicht, wie sich die EU-Entwicklungspolitik an diese Wandlungen anpasst.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sollte sich Neven Mimica täglich darum bemühen, seinem Titel als Kommissar für „Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung“ zu entsprechen. Denn die heutige Welt braucht keinen Kommissar mehr, der sich darauf beschränkt Schulen und Krankenhäuser zu eröffnen.

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