Ein italienischer Wissenschaftler wird in Kairo zu Tode gefoltert – trauriger Anlass, die Zusammenarbeit mit Ägypten zu überdenken

Ein italienischer Wissenschaftler wird in Kairo zu Tode gefoltert – trauriger Anlass, die Zusammenarbeit mit Ägypten zu überdenken

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Loewe, Markus / Tilman Altenburg / Bernhard Trautner / Georgeta Vidican
Die aktuelle Kolumne (2016)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 17.03.2016)

Bonn, 17.03.2016. Der erst 28-jährige italienische Staatsbürger Giulio Regeni, der an der Universität Cambridge promovierte und im letzten Sommer am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hervorragende Arbeit als Gastwissenschaftler geleistet hatte, befand sich seit September 2015 als Gastdozent der American University in Kairo. Er forschte dort über den Aufstieg freier Gewerkschaften nach der Tahrir-Revolution 2011. Vermutlich wurde ihm dies zum Verhängnis. Seit Neujahr hatte er in Telefonaten mit uns angemerkt, dass er sich bei seinen Recherchen zunehmend unwohl fühle und immer vorsichtiger werden müsse, wen er wo treffen könne – ein Zustand, der für ihn in Ägypten trotz guter Kenntnis der Lage vor Ort und der lokalen Sprache neu war. Am 25. Januar, dem fünften Jahrestag der Tahrir-Revolution, verschwand er dann. Zehn Tage später wurde seine Leiche, übersät mit Foltermalen, gefunden.

Wer wollte Giulio aus dem Weg schaffen? Dass die ägyptische Regierung dahinter steckt, ist zwar nicht bewiesen, würde aber ins Bild passen. In den letzten Jahren wurden repressive Gesetze erlassen, mit denen fast jegliche Form friedlicher Regimekritik unterdrückt werden kann. Allein 2015 sind der ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheit zufolge 1700 Personen verschwunden, die sich in den Händen staatlicher Sicherheitskräfte befunden hatten. Dabei handelt es sich keinesfalls nur um Muslimbrüder, sondern auch um die Aktivisten der Zivilgesellschaft, die sich 2011 für mehr politische Freiheit eingesetzt haben. Auch die Tatsache, dass die Verschleppung unliebsamer Kritiker stets straffrei bleibt, spricht für die Beteiligung oder zumindest Duldung durch die ägyptischen Staatsorgane. Aufgrund dieser Umstände machen auch die italienische Regierung und Öffentlichkeit das ägyptische Regime verantwortlich.

Welcher ägyptische Journalist mag in diesen Tagen noch offen darüber schreiben, wie es um Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Soziales in seinem Land steht? Welcher ausländische Wissenschaftler hat noch den Mut, ins Land am Nil zu fahren, um unabhängige Recherchen zu betreiben? Noch nie wurden Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Ägypten so unterdrückt wie derzeit unter Präsident Sisi – nicht einmal zu Zeiten Mubaraks kurz vor der Tahrir-Revolution 2011.

Auch Wissenschaftler und Journalisten, die sich in Deutschland betätigen, sind im Visier des ägyptischen Regimes: Zum Beispiel Ismail Alexandrani, ein ägyptischer Journalist. Er wurde am 29. November vergangenen Jahres bei seiner Rückkehr von einem Vortrag in Deutschland am Flughafen in Ägypten festgenommen und sitzt seither in Haft. Er hatte sich zuletzt für die Rechte der unter dem Kampf gegen die Islamisten leidenden Bevölkerung auf der Sinai-Halbinsel eingesetzt. Oder Atef Botros, Assistenz-Professor an der Universität Marburg. Atef wurde nach seiner Landung in Kairo am 29. Januar verhaftet, nach Einschaltung der Deutschen Botschaft wieder freigelassen, dann aber außer Landes gebracht und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt. Er hatte nach der Tahrir-Revolution in Ägypten 2011 „Mayadin al-Tahrir“ gegründet, eine deutsch-ägyptische Nichtregierungsorganisation, die sich für marginalisierte Gemeinden in Ägypten einsetzt und zeitgenössische ägyptische Kunst in Deutschland zeigt.

Ägypten ist ein strategischer Akteur in der Region, und die deutsche und europäische Außen- und Entwicklungspolitik hat sich stets um einen Spagat bemüht: einerseits das Regime zu unterstützen, andererseits behutsam kleine Spielräume zu nutzen, um politische Reformen zu fördern. Dies war zu Zeiten Mubaraks so, und dies ist auch heute so. Die massive Repression und Brutalität der Sicherheitskräfte macht es jedoch notwendig, diese Strategie der Zusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen.

Zum einen sollte sich die Bundesregierung deutlicher und öffentlich zur verschärften innenpolitischen Lage in Ägypten positionieren so wie es die italienische Regierung und das Europäische Parlament derzeit tun. Letzteres hat den Fall Giulios zum Anlass für eine Entschließung genommen, die „die gängige Praxis der Verschleppung und Folter“ deutlich beim Namen nennt. Zum anderen sollte die deutsche Entwicklungspolitik die Zusammenarbeit neu bewerten und konsequenter auf Maßnahmen konzentrieren, die politische Reformen und inklusive Entwicklung voranbringen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Kooperation mit dem Nahen Osten und Nordafrika in der Hoffnung auf einen demokratischen Aufbruch zu einem Schwerpunkt seiner Kooperation gemacht; es betont, dass seine Politik wertebasiert sei und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stelle. Daher sollte das BMZ angesichts der repressiven Tendenzen in Ägypten das Spannungsverhältnis zwischen Stabilisierung und demokratischer Entwicklung einer erneuten gründlichen Prüfung unterziehen.

Dies ist im Einzelfall oft schwierig, denn auch gut gemeinte Unterstützung, etwa für die Modernisierung der Bewässerungs- und Energieinfrastruktur, wirkt – über die Beteiligung staatlicher Institutionen – stets auch politisch legitimierend. Daher sollte die Unterstützung vor allem auf die Stärkung der Menschenrechte und auf Demokratisierung, Partizipation und Transparenz ausgerichtet werden und darüber hinaus in Bereichen stattfinden, wo sie der Bevölkerung nützt, ohne allzu sehr das Regime als solches zu stabilisieren und politisch zu legitimieren.

Eine solche Überprüfung ist zum einen ein ethisches Gebot in Anbetracht der Gräuel, die Giulio und vielen hundert anderen Verschwundenen widerfahren sind. Zum anderen ist sie realpolitisch klüger. Die Tahrir-Revolutionäre forderten 2011 vor allem Brot, soziale Gerechtigkeit und politische Freiheit. Nach den politischen und gesellschaftlichen Wirren zwischen 2011 und 2013 verzichteten viele Ägypter vorerst auf politische Freiheit in der Hoffnung, dass der autoritäre Kurs von Präsident Sisi zumindest vorübergehend wieder Sicherheit und dadurch mittelfristig wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bringen würde. Wenn die Ägypter aber feststellen müssen, dass Sisi weder den Respekt des Staates vor der Unversehrtheit und persönlichen Freiheit des Bürgers, noch Brot und soziale Gerechtigkeit oder ökonomischen Fortschritt bringt, so droht über diese Frustration eine abermalige politische Radikalisierung. Diese könnte in einen Aufstand wie jenen in Syrien münden. Wie dort die Staatsmacht die Radikalisierung des Aufstands vorantrieb, so ist auch in Ägypten die Gefahr groß, dass das Land im Bürgerkrieg versinkt. Möglicherweise destabilisieren dann weitere Millionen Flüchtlinge die Region und machen sich auf den Weg nach Europa.

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