Kleine Inseln, große Herausforderungen?

Kleine Inseln, große Herausforderungen?

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Bauer, Steffen / Benjamin Schraven
Die aktuelle Kolumne (2014)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 01.09.2014)

Bonn, 01.09.2014. Wenn an diesem Montag in Apia auf der Pazifikinsel Samoa die dritte UN Conference on Small Island Developing States beginnt, werden der Klimawandel und der Schutz vor Naturkatastrophen hoch auf der Agenda stehen. Tatsächlich sind die kleinen Inselstaaten in besonderem Maße von den Auswirkungen des Klimawandels bedroht, wie insbesondere des Meeresspiegelanstiegs. Wie verantwortlich damit umzugehen ist, dass diese Länder absehbar quasi unbewohnbar werden, bleibt eine der wesentlichen ungelösten Fragen der internationalen Klimapolitik und des Völkerrechts. Vor wenigen Wochen erst sorgte das Schicksal einer Familie aus dem kleinen Inselstaat Tuvalu für Schlagzeilen, der ein Gericht in Neuseeland unter expliziter Bezugnahme auf den Klimawandel das Bleiberecht gewährt hat. Schon war von einem Präzedenzfall anerkannter „Klimaflüchtlinge“ die Rede und der Anerkennung des Klimawandels als Asylgrund. Dies ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich.

Getreu dem kleinen Einmaleins des Journalismus ist der Nachrichtenwert einer vierköpfigen Familie südpazifischer „Klimaflüchtlinge“ höher zu bemessen als das alltägliche Hintergrundrauschen, das den „Normalfall“ von abertausenden Flüchtlingsschicksalen in der Ukraine, im Jemen, in Syrien, im Irak oder im Südsudan repräsentiert. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen stellte erst im Juni diesen Jahres fest, dass die Anzahl der Vertriebenen weltweit den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat. Die wenigsten darunter dürfen damit rechnen, Europa jemals zu erreichen, geschweige denn, erfolgreich als Flüchtling anerkannt oder zumindest geduldet zu werden. Vor diesem Hintergrund wirkt die Aufregung um vermeintliche Heerscharen von „Klimaflüchtlingen“, die uns in Zukunft zu überrollen drohen, geradezu höhnisch.

Vor allem aber ist die suggestive Bezugnahme auf das internationale Flüchtlingsrecht irreführend. Um beim Beispiel der Familie aus Tuvalu zu bleiben: für das neuseeländische Gericht haben in erster Linie humanitäre Gründe den Ausschlag gegeben, der Familie ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Zwar hat das Gericht explizit anerkannt, dass klimatische Faktoren eine dauerhafte Rückkehr der Familie quasi ausschließen. Dieses hat aber nichts mit den völkerrechtlich garantierten Schutzrechten von Flüchtlingen zu tun: Umweltfaktoren spielen in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 keine Rolle. Entsprechend kann sich auch niemand, der wegen meerwasserversalzener Böden, Küstenerosion oder wiederkehrender Sturmfluten seine Heimat verlässt, auf die Konvention berufen, um ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Land zu erwirken. Dies stellt auch das neuseeländische Gerichtsurteil nicht in Frage. Es hat allenfalls Präzedenzwirkung für Menschen, die in vergleichbarer Situation ein Aufenthaltsrecht für Neuseeland beantragen möchten und mag den Druck auf andere Länder erhöhen, dem Beispiel Neuseelands zu folgen.

Da die Auswirkungen des Klimawandels aber in Zukunft weltweit viele Menschen – und nicht zuletzt die Bewohner der kleinen Inselstaaten – tatsächlich veranlassen dürften, ihre Heimat zu verlassen, muss die Frage vielmehr lauten, wie diese offenkundige Schutzlücke im Flüchtlingsrecht geschlossen werden kann. Dies wiederum ist leichter gesagt als getan. So wäre es zum Beispiel ethisch kaum zu rechtfertigen, eine Ausweitung des Flüchtlingsschutzes allein auf Folgen des Klimawandels zu beschränken. Wieso sollten etwa die Leidtragenden von nicht-klimatischen Naturkatstrophen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüchen weniger schutzbedürftig sein als „Klimaflüchtlinge“? Wie will man überhaupt „Klimaflüchtlinge“ justiziabel definieren, wenn man doch weiß, dass Flucht- und Migrationsentscheidungen meist einem komplexen Zusammenspiel sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Faktoren folgen und allenfalls in sehr speziellen Fällen ursächlich dem Klimawandel zugeordnet werden könnten? Welchen Schutz gewährt man denjenigen, die ebenfalls hart von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, aber nicht die Möglichkeit haben, zu migrieren? Nicht zuletzt stößt internationales Recht per definitionem an Grenzen, wo Migration und Flucht vor allem innerhalb von Staaten stattfindet, also gerade nicht inter-national ist. Die empirische Migrationsforschung zeigt, dass der weitaus größte Teil umweltbezogener Migrationsbewegungen nach wie vor innerhalb von Entwicklungsländern stattfindet.

Dies sind nur die offensichtlichsten der Herausforderungen, auf die sich die internationale Gemeinschaft einstellen muss, wenn sie ernsthaft bestrebt ist, die Schutzlücken im internationalen Migrations- und Flüchtlingsrecht zu schließen. Um ihnen zu begegnen braucht es nicht nur verbesserter Institutionen und Instrumente. Vielmehr braucht es einen Perspektivwechsel, der grundlegende Reformen in der Migrationspolitik ermöglicht und der die Potenziale erkennt, die eine progressive Migrationspolitik im Sinne nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit erschließen könnte. Dies würde auch helfen, den Umgang mit den „Klimaflüchtlingen“ der Zukunft konstruktiv zu gestalten. Kurzfristig bleibt genug zu tun, die „herkömmlichen“ Flüchtlingsströme menschenwürdig zu versorgen und die Krisenherde einzuhegen, durch die sie hervorgebracht werden. Ihnen sollte unsere aktuelle Aufmerksamkeit gelten, ihre Schicksale sind nicht als Normalität zu akzeptieren.

Über die Autor*innen

Bauer, Steffen

Politikwissenschaftler

Bauer

Schraven, Benjamin

Politikwissenschaftler

Schraven

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