Nachhaltigkeitsziele – auch für Deutschland!

Nachhaltigkeitsziele – auch für Deutschland!

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Rippin, Nicole
Die aktuelle Kolumne (2013)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 26.09.2013)

Bonn, 26.09.2013. Am 25. September 2013 kam die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) in New York zu einer Sondersitzung zusammen, um über die neue entwicklungspolitische Agenda für die Zeit nach 2015 zu beraten. 2015 ist das Jahr, bis zu dem die derzeitige Agenda, die Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs), erreicht sein soll. Zahlreiche Dokumente sind im Vorfeld der Sitzung von hochrangigen Gremien erstellt worden. In einem über einjährigen Prozess sind darüber hinaus mehr als eine Millionen Menschen weltweit zu ihren Wünschen und Vorstellungen für eine zukünftige Entwicklungsagenda befragt worden. Angesichts dieser Fülle an umfangreichen Dokumenten mit konkreten, visionären Vorschlägen ist es überaus erstaunlich, wie inhaltsleer und nichtssagend der Bericht ausfiel, den die VN-Generalversammlung als Ergebnis ihrer Verhandlungen am 25. September 2013 veröffentlicht hat.

Ein dünnes Dokument ohne Vision
Gerade einmal drei Seiten dünn, enthält der Bericht der VN-Generalversammlung kaum konkrete Vorschläge. Stattdessen beschränkt er sich darauf, die anstehenden nächsten Schritte auf dem Weg zu einer neuen globalen Entwicklungsagenda zu beschreiben sowie weitere Beratungen und Berichte in Auftrag zu geben. Der Bericht, der mit Spannung erwartet wurde, dürfte damit für viele vor allem eines sein: eine Enttäuschung. Nach all den visionären Berichten mit ihren teilweise sehr konkreten Empfehlungen fragt man sich, warum nun ein so inhalts-, beinahe schon motivationsloses Dokument verabschiedet wurde. Dabei ist es leicht, die beiden einzigen konkreten Vorschläge des Dokuments zu überlesen, die auf den ersten Blick trivial erscheinen – es aber beileibe nicht sind. Der erste Vorschlag fordert, dass es nur eine einzige Entwicklungsagenda nach 2015 geben soll. Dies mag selbstverständlich erscheinen – wozu sollte es mit einem Mal zwei Agenden geben? – ist es aber keinesfalls. Vielmehr liefert diese Forderung eine plausible Erklärung dafür, warum der Bericht so dünn und nichtssagend ist.

Die Vereinten Nationen in Wartestellung
Am 27. Juli 2012 verabschiedete die VN-Generalversammlung eine Resolution, die auf eine VN-Konferenz zu nachhaltiger Entwicklung im Juni desselben Jahres in Rio de Janeiro zurückgeht – seither kurz Rio +20 genannt. Im Nachklang von Rio +20 wurde unter anderem eine „Arbeitsgruppe zu nachhaltigen Entwicklungszielen“ – im Englischen Open Working Group on Sustainable Development Goals – ins Leben gerufen, die eine Vision für nachhaltige Entwicklungsziele entwickeln soll. Die Gleichzeitigkeit der zwei Prozesse – den Beratungen zu einem Nachfolgedokument für die Millenniumsziele auf der einen und der Entwicklung nachhaltiger Entwicklungsziele im Rahmen von Rio +20 auf der anderen Seite – birgt die sehr reale Gefahr, dass zwei im schlimmsten Fall nicht kompatible Agenden für die Zeit nach 2015 verabschiedet werden könnten – vor allem da der erste Prozess bereits in diesem Jahr auf dem Programm der VN-Generalversammlung stand, über den zweiten aber erst 2014 wieder diskutiert werden soll. Offensichtlich hat die VN-Generalversammlung ganz bewusst ein dünnes, nichtssagendes Dokument verabschiedet, um Zeit zu gewinnen und die Verhandlungen der beiden Prozesse im Laufe des nächsten Jahres zusammenzuführen.

Eine universelle Agenda
Hierfür muss allerdings noch ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden: Die im Rahmen von Rio +20 verabschiedete Resolution verlangt, dass die Ziele einer zukünftigen Agenda universell sein sollen. Ohne diese Forderung zu erfüllen, lassen sich die beiden Prozesse nicht zusammenzuführen. Dies erklärt die zweite der beiden einzigen konkreten Forderungen, die sich in dem in dieser Woche von den Vereinten Nationen verabschiedeten Dokument finden lassen. Demnach sollen alle Ziele einer Post-2015-Agenda „universell und auf alle Länder anwendbar“ sein. Was steckt hinter dieser Formulierung? Es liegt sehr nahe sie so zu interpretieren, dass eine zukünftige Agenda von allen Ländern „universell“ verabschiedet werden soll. Diese Interpretation mag der Grund dafür sein, dass die Beratungen zur zukünftigen Entwicklungsagenda bislang ein so geringes Interesse bei westlichen Medien und der Öffentlichkeit gleichermaßen weckten. Schließlich geht es ja lediglich darum, zukünftige Ziele zur Armutsbekämpfung für Entwicklungsländer zu formulieren. Oder?

Ziele auch für Deutschland!
Genau diese Annahme ist ein beträchtlicher Irrtum. Eine universelle Entwicklungsagenda, das bedeutet mitnichten nur eine Entwicklungsagenda, auf die sich alle Länder einigen sollen. Der Ausdruck bedeutet vielmehr, dass eine zukünftige Entwicklungsagenda nicht nur für Entwicklungsländer sondern für alle Länder gleichermaßen Gültigkeit haben soll. Mit anderen Worten, die Ziele, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet würden, gelten dann unter anderem auch für Deutschland. Nicht nur das Entwicklungs- und das Umweltministerium, sondern sämtliche Ministerien – vom Bildungs- über das Gesundheits- bis zum Wirtschaftsministerium – müssten ihre Strategien zukünftig nicht nur nach europäischen Vorgaben, sondern dann auch nach international vereinbarten Vorgaben ausrichten. Denn es geht bei den Diskussionen in New York nicht nur um ein paar wenige Ziele zur Armutsbekämpfung, sondern beispielsweise auch um Bildungs- und Gesundheitspolitik, den Arbeitsmarkt, Handel, internationale Finanzströme, umweltverträglichere Verbrauchs- und Produktionsmuster und nicht zuletzt um Verteilungsgerechtigkeit. Kurz, es geht um Fragen, die für Deutschland von zentraler Bedeutung sind und das Potential haben, unsere nationale Politik maßgeblich zu beeinflussen.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern werden bereits umfangreiche nationale Konsultationen durchgeführt, um die Bevölkerung in diesen Prozess einzubeziehen. Ein am 21. August 2013 gefasster Beschluss des Bundeskabinetts erklärt, dass die Erarbeitung einer Post-2015-Agenda eine „aktive, ressortübergreifende Beteiligung der gesamten Bundesregierung erfordert“ und zeigt, dass sich auch die deutsche Politik auf die möglichen Veränderungen vorbereitet. Es wird daher Zeit, dass auch die deutsche Öffentlichkeit die derzeitigen Entwicklungen in New York mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt, als dies bislang der Fall ist.

Über die Autorin

Rippin, Nicole

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