Gemeinsames Handeln braucht gemeinsame Werte

So kann Kooperation für die Agenda 2030 gelingen

So kann Kooperation für die Agenda 2030 gelingen

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Schwachula, Anna / Johanna Vogel
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 04.11.2019

Bonn, 04.11.2019. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde „Entwicklung“ zu einer globalen Angelegenheit. Wenn es um klima- und sozialgerechte Lebensweisen geht, sind auch die Länder des Nordens Entwicklungsländer. Dieser neue Blick auf globale nachhaltige Entwicklung erfordert neue Herangehensweisen. Immer wieder wird gefordert, Denksilos zu verlassen, um so den komplexen Herausforderungen der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) gerecht zu werden. Als Mittel der Wahl für lösungsorientierte Wissenschaft gilt die transdisziplinäre und transnationale Kooperation auf Augenhöhe. Partner aus dem globalen Norden und Süden, aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sollen gemeinsam an wissensbasierten Lösungen arbeiten.

Zwischen der Vision einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit und deren konkreten Umsetzung klafft jedoch eine Lücke. Bestehende Kooperationen sind oft durch Ungleichheiten und Machtgefälle geprägt, zum Beispiel, wenn Forschende aus dem Norden die Forschungsfrage für ein Nachhaltigkeitsproblem des globalen Südens definieren, Daten interpretieren und den vermeintlich richtigen Lösungsansatz vorgeben, während Partner aus dem Süden bloße Datenlieferanten sind.

Warum ist dies auch 2019 immer noch so? Zusammenarbeit ist anstrengend! Es ist herausfordernd, das Wissen aller beteiligten Akteure gleichermaßen wertzuschätzen. Alte Wissenshierarchien und traditionelle Rollenverteilungen müssen neu definiert werden, denn nur so kann der globale Norden auch vom globalen Süden lernen. Für Partner aus dem globalen Norden bedeutet das, alte Denkmuster und Privilegien zugunsten einer gleichberechtigten Partnerschaft aufzugeben – auch wenn die Finanzierung noch oft aus dem globalen Norden stammt.

Und dennoch: Zusammenarbeit ist der Mühe wert, nicht nur weil SDG 17 die sektoren- und grenzübergreifende Kooperation als Instrument zur Lösung globaler Herausforderungen hervorhebt. Die Wertschätzung unterschiedlicher Wissensformen, ob aus globalem Süden oder Norden, ob aus dem gesellschaftlichen Alltag, der politischen Praxis oder der Wissenschaft, ist auch eine Frage des gegenseitigen Respekts. Zusammenarbeit erfordert deshalb, sich mit verschiedenen Sichtweisen auseinanderzusetzen, um jenseits aller Differenzen das verbindende menschliche Element zu finden. Indem wir gemeinsame grenzüberschreitende Werte formulieren und verhandeln, können wir auch gegenwärtigen Trends wie Nationalismus, Polarisierung und wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit entgegentreten.

Eine Grundvoraussetzung der grenzüberschreitenden Kooperation ist ein gemeinsamer Wertehorizont. Diesen scheint es auch zu geben. Der kanadische Philosoph Charles Taylor argumentiert, dass das Moralische jedem Menschen inne ist. Und in der Tat teilen Menschen in verschiedenen Weltregionen die Vision eines guten Lebens für alle. Aus Lateinamerika stammt das Konzept des „buen vivir“, das auf Lebensphilosophien indigener Völker basiert. Das südasiatische Königreich Bhutan setzt mit dem Bruttonationalglück dem Bruttonationaleinkommen einen ganzheitlichen Bezugsrahmen entgegen. Die UN-Menschenrechtscharta von 1948 oder die Agenda 21 von 1992 sind Ausdruck global geteilter grundlegender Werte. In Zeiten des Klimawandels und des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen bedeutet dies auch, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben. Für die Forschung, Ausbildung und Politikberatung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik ist deshalb das „globale Gemeinwohl“ ein Leitbild.

Was können wir tun, um faire Kooperation Wirklichkeit werden zu lassen? Auf der individuellen Ebene heißt es, an sich selbst zu arbeiten und Vorurteile gegenüber anderen Wissensformen und Denkmustern abzubauen. In der Zusammenarbeit bedarf es einer gegenseitigen Offenheit: Wissen sollte auch vom globalen Süden in den Norden fließen. Im Managing Global Governance (MGG) Netzwerk fördern wir dies und diskutieren zum Beispiel über die Chancen und Risiken der Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung – sowohl in Deutschland als auch in den Partnerländern.

In unseren Wissensnetzwerken müssen wir uns immer wieder auf gemeinsame Werte und Problemdefinitionen besinnen. Auch wenn es trivial klingt: Gemeinsame Antworten und Lösungsansätze findet man nur, wenn man auch eine gemeinsame Frage stellt und ein Wir-Gefühl herrscht. Im MGG-Netzwerk arbeiten wir daher nicht nur zu konkreten Problemen, sondern auch an einer gemeinsamen Netzwerkidentität, um unsere gemeinsame Basis zu festigen.

Auf struktureller Ebene ist es wichtig, Plattformen, Projekte und Netzwerke über Legislaturperioden von Regierungen hinaus zu finanzieren, um so nachhaltigen Austausch und intensive Wissenszusammenarbeit zu ermöglichen. Es gibt noch zu wenig Forschung zu den Auswirkungen von Netzwerken mit Transformationsanspruch: Wie gestalten wir die Kooperation so, dass sie sich positiv auf nachhaltige Entwicklungspfade auswirkt? Wie tragen an Netzwerken beteiligte Individuen zu weiterem institutionellem Wandel bei? Wir brauchen aber auch mehr Forschung zur Praxis der Zusammenarbeit: Wie gelingt respektvolle Wissenskooperation ganz konkret? Welche Methoden helfen uns, nachhaltiges Wissen auszutauschen und zu kultivieren? Dieses Handlungswissen müssen wir auch anderen Akteuren zugänglich machen, um die Skepsis an Zusammenarbeit zu nehmen. Denn Kooperation lohnt sich.

 

Eine Kolumne anlässlich des DIE-Panels zu transnationaler Wissenskooperation im Rahmen der 19th Global Development Conference.

Über die Autor*innen

Schwachula, Anna

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Schwachula

Vogel, Johanna

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Vogel

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