Das Millenniums-Entwicklungsziel zur Wasserversorgung wurde vorzeitig erreicht – und nun?

Das Millenniums-Entwicklungsziel zur Wasserversorgung wurde vorzeitig erreicht – und nun?

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Herrfahrdt-Pähle, Elke / Waltina Scheumann
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 26.03.2012 )

Bonn, 26.03.2012. Seit dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 wird jährlich der Weltwassertag am 22. März begangen. Am diesjährigen Weltwassertag hatten wir allen Grund zum Feiern. Nach dem UNICEF-WHO-Bericht „Progress on Drinking Water and Sanitation. 2012 update“ wurde das Millennium-Entwicklungsziel zur Trinkwasserversorgung bereits 2010 erreicht – fünf Jahre vor der gesetzten Frist. Bis 2015 sollten 89 % aller Menschen mit Trinkwasser versorgt sein (1990 waren es noch 76 %). Das heißt, dass heute 2 Milliarden Menschen mehr als 1990 in den Genuss von Trinkwasser kommen. Diese Nachricht ist umso spektakulärer, wenn man die damit verbundenen Wirkungen bedenkt: weniger Kinder sterben und weniger Menschen werden krank, weil sie kein verschmutztes Wasser mehr trinken müssen, und mehr Menschen können Zeit in ihre Ausbildung und ihre eigentlichen Jobs investieren anstatt Wasser für den täglichen Bedarf zu organisieren.

Allerdings sind die Erfolge regional sehr unterschiedlich zu bewerten. Mehr als die Hälfte der Anschlüsse entstanden in China und Indien, während in Sub-Sahara Afrika so gut wie keine Fortschritte und in Zentralasien und Ozeanien sogar Rückschritte zu verzeichnen sind. Und es ist v. a. die städtische Bevölkerung, die von den Investitionen profitierte. In den Least Developed Countries sind nach wie vor nur 11 % der Bevölkerung an die Wasserversorgung angeschlossen; in deren ländlichen Regionen sind es sogar nur 3 %.

Eine Erfolgsgeschichte auch des Privatsektors
Privates Kapital und Privatunternehmen haben alleine oder im Verbund mit öffentlichen Geldern zu einer verbesserten städtischen Wasserversorgung beigetragen: zwischen 1990 und 2000 stieg die Anzahl der von Private-Public-Partnership-Projekten (PPP) mit Trinkwasser versorgten Menschen von 6 auf 94 Millionen; Ende 2007 waren es 160 Millionen. Allerdings wurde die weltweite Privatisierungseuphorie mit erheblichen Kosten erkauft, auch weil die staatliche Aufsicht schlecht funktionierte. Eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2009, die PPPs unter die Lupe nimmt, berichtet, dass 9 % der Verträge mit Privaten wegen schlechter Leistungen und überteuerter Wasserpreise vorzeitig aufgekündigt oder gar nicht erneuert wurden, die meisten davon in Sub-Sahara Afrika und in Lateinamerika. Von 65 untersuchten Ländern sind 24 wieder zur öffentlichen Trinkwasserversorgung übergegangen.

Während sich anfangs fünf Wassermultis 80 % des Marktes in den Entwicklungsländern aufteilten, bekamen sie inzwischen Konkurrenz von nationalen Unternehmen. Diese können besser als die Großen auch kleinere Städte und Gemeinden versorgen. Ihr Marktanteil liegt inzwischen bei 40 %. Dies ist eine vielversprechende Entwicklung. PPPs, zumal nationale, bleiben neben der öffentlichen Bereitstellung eine Alternative für Entwicklungsländer, wenn staatliche Preisaufsicht und Qualitätskontrolle funktionieren. Leider ist das nicht immer gegeben.

Worüber die Erfolgszahlen schweigen
Während die Millennium-Entwicklungsziele im Jahr 2000 noch die Halbierung der Zahl derer ohne Anschluss an sauberes Trinkwasser als Ziel vorgaben, musste bei der Fortschrittskontrolle mangels besserer Daten auf die Hilfsgröße „verbesserter Zugang“ zurückgegriffen werden. Von verbessertem Zugang wird gesprochen, wenn ein Haushalt Zugang zu einer Wasserquelle hat, die in technischer Hinsicht als qualitativ unbedenklich gilt. Dazu zählen neben Haus- und Hofanschlüssen auch öffentliche Wasserhähne, geschützte Brunnen und Regenwassersammler.

Verbesserter Zugang ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer zuverlässigen Rund-um-die-Uhr Versorgung oder gar einem häuslichen Wasseranschluss. Die Messgröße der Vereinten Nationen sagt uns auch nichts über die Qualität des Trinkwassers, über Rationierungen und schon gar nichts darüber, ob das Wasser bezahlbar ist. Daher ist die Zahl der tatsächlich mit sauberem Trinkwasser Versorgten wahrscheinlich um ein Vielfaches geringer anzusetzen.

Nehmen wir das Beispiel Südafrika, das beachtliche Erfolge vorzeigen kann. Während 1994 erst 59 % der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser hatten, waren es 2010 bereits 93 %. Ein genauerer Blick enthüllt allerdings, dass es sich zumindest in ländlichen Gebieten hauptsächlich um Pumpen handelt, die in bis zu 200 m Entfernung der Haushalte installiert wurden. Die Wasserqualität entspricht in vielen Fällen nicht den Standards der Weltgesundheitsorganisation. Zudem ist ein Großteil der neuen Infrastruktur heute nicht mehr funktionsfähig, u. a. weil sich die Kommunen ihren Unterhalt nicht leisten können oder weil die Anschlüsse von aufgebrachten Bürgern zerstört wurden, die sich die Preise für Wasser nicht leisten konnten. Das Beispiel zeigt, dass der technische Zugang immer nur ein Teil der Lösung ist; das Trinkwasser muss auch sauber und für die ärmsten Bevölkerungsschichten bezahlbar sein.

Das Glas ist noch immer nur halb voll
Trotz der Erfolge der letzten Jahre leben weiterhin 11 % der Weltbevölkerung, d. h. ca. 783 Mio. Menschen, ohne verbesserten Zugang zu sauberem Trinkwasser. In 25 Ländern, so der UN-Bericht, wenden Frauen täglich 16 Millionen Stunden, Männer 6 Millionen und Kinder 4 Millionen für die tägliche Versorgung mit Trinkwasser auf. Sie ebenfalls zu versorgen, wird vergleichsweise schwieriger und teurer. Die Mehrheit von ihnen lebt in den ländlichen Gebieten Sub-Sahara Afrikas, die schwer erreichbar und nur mit erheblichen Kosten mit sauberem Trinkwasser zu versorgen sind. Die günstigen und schnellen Erfolge wurden in den letzten Jahren realisiert (u. a. getragen vom erheblichen Wirtschaftswachstum in China und Indien), und jeder weitere Prozentpunkt wird schwerer zu erreichen sein.

Und auch für diejenigen, die heute nach dem UN-Bericht in die Kategorie „versorgt“ fallen, muss die Wasserversorgung verbessert werden: für die Konsumenten muss sie zuverlässiger, qualitativ besser und bezahlbar werden. Und die Unternehmen, gleich ob öffentlich oder privat, müssen nachhaltig und effizient wirtschaften.

Der Erfolg bei der Trinkwasserversorgung darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderes wichtiges Millenniums-Wasserziel, nämlich die Halbierung derjenigen, die keine Sanitärversorgung haben, mit ziemlicher Sicherheit verfehlt wird: heute wird ein Versorgungsgrad von 63 % erreicht, während 75 % als Ziel bis 2015 vorgegeben sind.

Die Rio+20-Konferenz im Juni 2012 muss dazu beitragen, die erreichten Erfolge zu sichern – und zwar durch nachhaltiges Management – und weiter auszubauen. Bei den in Rio zu formulierenden Sustainable Development Goals darf es auch nicht nur um die Wasserversorgung gehen: 2,5 Mrd. Menschen haben keine Sanitärversorgung – mit allen negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt.

Über die Autor*innen

Herrfahrdt-Pähle

Scheumann, Waltina

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Scheumann

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