Demokratisierung und die kulturelle Keule

Demokratisierung und die kulturelle Keule

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Faust, Jörg
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 21.02.2011

Bonn, 21.02.2011. Nun also der Nahe Osten. Zwar ist es alles andere als ausgemacht, dass sich Ägypten oder Tunesien auf einem eindeutigen Pfad in Richtung Demokratie bewegen. Dafür hat sich bislang das Militär nicht in hinreichendem Maße als potentieller Hüter eines gelenkten Übergangs zur Demokratie beweisen können. Auch ist nicht sicher, ob sich die nach politischer Partizipation verlangenden Bevölkerungsteile dergestalt organisieren werden, um als demokratisches Bollwerk gegen die Widerstände alter Eliten oder fundamentalistischer Bedrohungen fungieren zu könnten. Was aber die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten zeigen ist, dass kulturalistische Argumente wenig taugen, um den Zusammenbruch autokratischer Systeme und eingeleiteter Demokratisierungsprozesse zu erklären.

Noch vor wenigen Wochen war es ein gängiges Argument etlicher Sozialwissenschaftler, politischer Kommentatoren und Feuilletonisten, dass die Stabilität diktatorischer Regime im Nahen Osten auch der vorherrschenden Religion des Islam zuzuschreiben sei. Aber nicht nur die nun offensichtlich gewordene Instabilität einiger Regime in der Region widerlegt diese Vermutung. Auch das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung, Indonesien, hat sich bereits vor mehr als zehn Jahren in eine Demokratie verwandelt. Die Festigung des demokratischen Rechtsstaates schreitet dabei nur zäh voran, Korruption und Vetternwirtschaft sind immer noch weit verbreitet. Doch letzteres ist nicht nur ein indonesisches Phänomen. Gleiches gilt auch für viele junge Demokratien aus anderen Kulturkreisen; ob Südafrika, die Philippinen oder Bolivien.

Allerdings sind diese kruden Kulturargumente nicht nur mit Blick auf das Verhältnis von Islam und Demokratie anzutreffen. So wird gerne argumentiert, dass ostasiatische Länder über ihre konfuzianische Prägung besonders kooperative und stabile Formen autoritärer Herrschaft entwickelt hätten. Dieses leidige Argument um das problematische Verhältnis von Demokratie und asiatische Werte hält sich gegen jede vergleichende Beobachtung. Mit Blick auf China lässt sich weder das totalitäre Regime Maos mit seiner schauerlichen Kulturrevolution als sonderlich kooperativ einordnen, noch ist die Republik Taiwan autoritär regiert. Das von seiner Tradition wohl am konfuzianischsten geprägte Land Ostasiens, Korea, veranschaulicht die Schwäche des Arguments auf besonders anschauliche Art: ein nunmehr seit mehr als zwei Jahrzehnten demokratisch funktionierendes Südkorea auf der einen Seite und ein in seiner Tragik skurril anmutendes totalitäres Regime im Norden. Die Liste fragwürdiger Darlegungen ließe sich noch um den „Sowjetmenschen“ erweitern, einst weit verbreitet in Ost- und Südosteuropa und für demokratische Herrschaftsform gemäß der kulturalistischen Argumentation kaum empfänglich. Warum haben dann aber einige der ehemals kommunistisch regierten Länder dieser Region vergleichsweise erfolgreich demokratische Systeme errichtet, während andere dazu nicht in der Lage sind?

Die Schwäche der kulturalistischen Keule ist offensichtlich. Der pauschale Bezug auf Religion bzw. Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis hat bislang wenig getaugt, die Stabilität autokratischer Herrschaft bzw. die Einleitung von Demokratisierungsprozessen auch nur halbwegs vernünftig zu erklären. Trotzdem offenbaren diese Argumentationsmuster eine erstaunliche Beharrlichkeit in der öffentlichen Diskussion. Offensichtlich scheint die Verortung von Ländern zu bestimmten Religionen und Kulturkreisen vielen Beobachtern eine geeignete Form zu sein, um die verwirrende Komplexität politischer Faktoren in fernen Ländern auszublenden und ihren Zuhörern/Lesern einfache – aber falsche – Deutungsmuster anzubieten. Denn Kultur wandelt sich manchmal sehr rasch und kulturelle Traditionen können von unterschiedlichen Akteuren ganz anders interpretiert werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass politische Interessengruppen um kulturelle Deutungshoheit konkurrieren. So sind es etwa die autoritären Eliten in China oder Singapur, die nicht müde werden, die Übereinstimmung gemeinwohlorientierter konfuzianischer Traditionen mit ihren autoritären Systemmerkmalen zu betonen. Fragt man die Eliten im demokratischen Taiwan oder in Südkorea, so werden diese ihre asiatischen Traditionen ganz anders bewerten. Hier wird die Kompatibilität ihrer Kultur mit Formen der repräsentativen Demokratie betont.

Kulturelle Merkmale, die als Gewohnheitsrecht, Brauchtum und politische Gepflogenheiten das Verhalten von Eliten und Massen beeinflussen, können wichtige Faktoren zur Erklärung politischen Wandels sein. Aber solche informellen Regelwerke oder politischen Einstellungen sind eben nicht über Jahrhunderte starr, sondern reagieren auch auf wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Deutschland selbst. So kamen die Pioniere der politischen Einstellungsforschung aufgrund ihrer Umfragen noch Anfang der 1960er Jahre zu einem skeptischen Bild hinsichtlich der politischen Kultur in (West-) Deutschland. Die politische Kultur des deutschen Durchschnittsbürgers galt als obrigkeitshörig und nur in geringem Maße demokratischen Werten verpflichtet. Bereits zwei Jahrzehnte später musste dieses Bild aufgrund neuer Umfragen revidiert werden. Die politischen Einstellungen der Deutschen hatten sich rasant an demokratiefreundliche Werte angepasst, das Land schien offenbar in der demokratischen Wertegemeinschaft angekommen. Dies muss nicht ewig so bleiben und die Politiker würden gut daran tun, die sozioökonomischen und politischen Faktoren zu stärken, die solch demokratische Einstellungen hervorrufen. Aber was nun Ägypten, Tunesien oder auch China anbelangt: Wollen wir wirklich glauben, dass die dortigen sozioökonomischen Veränderungen im Zusammenspiel mit neuen Formen politischer Kommunikation sich nicht auf die politische Kultur jener Gesellschaften auswirken? Der Weg zur Demokratie in solchen Ländern ist alles andere als gesichert, in China noch nicht einmal eingeschlagen. Aber dies mit ihrer „Kultur“ zu erklären, ist schlichtweg Unsinn.

Über den Autor

Faust, Jörg

Politikwissenschaftler

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