Der demokratische Prozess oder der Alptraum der Bürokraten

Der demokratische Prozess oder der Alptraum der Bürokraten

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Faust, Jörg
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 08.06.2009)

Bonn, 08.06.2009. Demokratien sind autoritären Regimes zumindest langfristig überlegen, was die Versorgung ihrer Bürger mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen anbelangt. Trotz dieser Dividende der Demokratie erscheint vielen der demokratische Prozess manchmal als zu komplex, langwierig, ineffizient und vielstimmig: etwa im Vorfeld wichtiger Entscheidungen im Kontext der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Täglich ändern sich die Aussagen von Politikern; was gestern noch als harte Linie einer Partei galt, stellt sich am nächsten Tag bereits ganz anders dar. Auch bei langfristig angelegten Reformvorhaben, bei denen ein Grundkonsens zwischen den Parteien herrscht, ist in Demokratien auf langfristige Pläne und Strategien wenig Verlass.

So existiert seit Dekaden etwa Einigkeit darüber, dass der deutsche Föderalismus der Reform bedarf. Die Umsetzung dieser Erkenntnis vollzieht sich jedoch in sehr kleinen Schritten, verschleißt etliche Reformkommissionen und wird vom Dauerstreit der beteiligten Akteure begleitet. Andere Großbaustellen wie das Gesundheits- und Rentensystem zeichnen sich ebenfalls wenig durch die rasche Umsetzung breit angelegter Pläne und Strategien aus als durch iterative Prozesse die manchem als Endlosschleife widerstreitender Interessengruppen daherkommen.

Warum also führen solche politischen Prozesse in repräsentativen Demokratien dann doch langfristig zu besseren Ergebnissen als die Politik in autokratischen Systemen? Zunächst einmal gilt, dass Demokratie keine Konsensveranstaltung ist, in der sich die beteiligten Akteure auf einen parteienübergreifenden Konsens über Politikinhalte einigen und diese dann gleichsam linear und langfristig umsetzen. Demokratie ist vielmehr eine inklusive Form des Konfliktmanagements, in der inhaltliche Konflikte ohne die Anwendung von Gewalt sondern mittels demokratischer Verfahren ausgetragen werden. Der Konsens zwischen den beteiligten Akteuren erstreckt sich somit „nur“ auf die grundlegenden Elemente der Demokratie, also freie und faire Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit, die Einhaltung grundlegender Menschenrechte, etc. Darüber hinaus besteht ein Konsens darüber, sich in Streitfragen dem Votum einer unabhängigen Gerichtsbarkeit zu beugen. In konkreten inhaltlichen Sachfragen, etwa in der Gesundheits-, Umwelt- oder Bildungspolitik wird jedoch nur selten und kaum dauerhaft Einigkeit erzielt werden. Und das ist gut so.

Denn die Funktionen des demokratischen Wettbewerbs gleichen in gewisser Hinsicht dem wirtschaftlichen Wettbewerbsprozess. Parteien konkurrieren um Wählerstimmen und müssen sich entsprechend an den Präferenzen ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessengruppen orientieren. Um sich in diesem Wettbewerb zu behaupten, versuchen sie, sich ständig an den Präferenzbekundungen zivilgesellschaftlicher Akteure bzw. gesellschaftlicher Interessenvertreter zu orientieren. Diese “Kundenorientierung“ führt zu ständigen Anpassungen politischer Positionen, während der politische Wettbewerb die Abgrenzung gegenüber dem politischen Gegner und zur Suche nach neuen Lösungen begünstigt. Genau wie im wirtschaftlichen Wettbewerb sind denn auch „Kundenorientierung“, Innovation und Imitation (also die Verbreitung erprobter Politikinhalte) die zentralen Vorteile der Demokratie. Dass diese Prozesse kaum langfristig planbar sind, inkrementeller Natur und unter ständiger Begleiterscheinung von Lobbyisten und politischem Marktgeschrei ist Bestandteil eines Prozesses, der auf Inklusivität bei gleichzeitiger Konkurrenz angelegt ist. In Analogie zu dem von Friedrich von Hayek als offenem Entdeckungsprozess beschriebenen wirtschaftlichen Wettbewerb kompensiert der demokratische Wettbewerb also auch das begrenzte Wissen von Individuen, in komplexen und hochdynamischen Gesellschaften langfristig tragfähige Pläne zu entwickeln und umzusetzen.

Gefährlich wird es nur dann, wenn die gewählten Repräsentanten und der exekutive Apparat sich zu weit von den Bürgern entfernen und sich ein zunehmend abgeschottetes System aus Ministerialbürokratie und Lobbygruppen etabliert. Diese Isolierungstendenzen sind teils eine „natürliche“ Reaktion des Staatsapparates. Denn der demokratische Prozess wird gerade für den Bürokraten leicht zum Alptraum. Denn dieser ist einerseits für Planung und Umsetzung zuständig, wird jedoch andererseits kontinuierlich mit der Volatilität politischer Prozesse konfrontiert, die immer wieder gerade erst etablierte Planungs- und Implementierungsstrategien über den Haufen werfen. Sowohl für mächtige Interessengruppen wie für die Entscheidungsträger aus dem Staatsapparat bestehen daher hohe Anreize, sich von den Bürgerpräferenzen abzuschotten. In besser überschaubaren Prozessen wird dann hinter den verschlossen Türen der Ministerialbürokratie Politik gemacht, die jedoch langfristig die Offenheit des demokratischen Wettbewerbs untergräbt. Solchen Isolierungstendenzen kann mittels rigorosen Anforderungen an die Transparenz politischer Entscheidungsprozesse begegnet werden. Aber auch stärkere Bürgerbeteiligung über partizipative Verfahren, etwa auf kommunaler Ebene, sowie die Stärkung direktdemokratischer Elemente wirken einer schleichenden Erosion der Inklusivität des demokratischen Wettbewerbsprozesses entgegen.

In der Reihe der Demokratie-Kolumnen von Dr. Jörg Faust sind außerdem erschienen:

Über den Autor

Faust, Jörg

Politikwissenschaftler

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