Der G20-Gipfel in Mexiko: Absichtserklärungen mit wenig Wert?

Der G20-Gipfel in Mexiko: Absichtserklärungen mit wenig Wert?

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Wolff, Peter
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 25.06.2012)

Bonn, 25.06.2012. Wie erwartet wurde der G20-Gipfel in Los Cabos/Mexiko Anfang letzter Woche von der Euro-Krise dominiert. Auf die Forderung von Industrie- und Schwellenländern an die Europäer, schnell eine umfassende Lösung zu finden, um die Weltwirtschaft nicht weiter zu destabilisieren, reagierten die Europäer im Wesentlichen mit Absichtserklärungen, die erst noch auf dem bevorstehenden EU-Gipfel in dieser Woche eingelöst werden müssen.
Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Weltwirtschaft 2012 und 2013 zwischen 3% und 4% wachsen, angetrieben von den Entwicklungs- und Schwellenländern. Allerdings mit dem Risiko, dass das Wachstum wesentlich niedriger ausfallen wird, wenn die Euro-Krise eskaliert oder wenn andere Risikofaktoren, wie schwankende Rohstoffpreise oder ein Einbruch der US-Konjunktur, eintreten. Die Krisenanfälligkeit bleibt hoch und die G20 ist – aller Kritik an wenig greifbaren Ergebnissen zum Trotz – der Ort, wo über das unbedingt notwendige kollektive Handeln der großen Wirtschaftsnationen verhandelt werden muss. Nach Berechnungen des IWF macht es einen großen Unterschied, ob die großen Volkswirtschaften abgestimmt handeln, oder ob sie ihrem kurzfristigen nationalen Eigeninteresse folgen. Der IWF beziffert den Unterschied auf mehrere Prozentpunkte des globalen Wirtschaftswachstums oder 30 bis 50 Millionen Arbeitsplätze weltweit.

Schwellenländer stärken den IWF
Eines der wenigen greifbaren Ergebnisse des Gipfels ist die Aufstockung der Mittel des IWF um mehr als 450 Milliarden US-Dollar, mit nennenswerten Beiträgen von China, Brasilien und Russland. Es ist klar, dass diese Mittel als „letzte Verteidigungslinie“ für den Bestand des Euro gedacht sind, wenngleich in der Gipfelerklärung gesagt wird, die Mittel stünden allen IWF-Mitgliedern zur Verfügung. Die Schwellenländer erkaufen sich damit mehr Mitsprache im IWF und eine weitere Revision der Kapitalanteile im Jahr 2014, mit der Aussicht auf höhere Stimmrechte in der Zukunft.

Sie verfolgen damit eine zweigleisige Strategie: Auf der einen Seite unterschreiben sie das klare Bekenntnis zum Multilateralismus in der Abschlusserklärung von Los Cabos und stärken den IWF als wichtigsten Akteur der global economic governance. Auf der anderen Seite bauen die Schwellenländer weiter an regionalen Kooperationsverbünden, wie in Asien, oder gründen neue eigene Institutionen, wie die BRICS-Entwicklungsbank oder den am Rande des G20-Gipfels angekündigten Währungsreserve-Pool der BRICS-Länder. Der Zug geht also eindeutig in Richtung einer multi-polaren Ordnung der Weltwirtschaft, wobei die Machtverhältnisse sich ständig verschieben. Glaubten die Europäer noch vor wenigen Jahren, der IWF sei als ihr Einflussinstrument nur für die Disziplinierung der Anderen zuständig, so sind sie jetzt plötzlich von ihm abhängig. Es zeigt sich schon im Nachgang zum G20-Gipfel, dass der Ton des IWF gegenüber den Europäern weniger zurückhaltend geworden ist. So wird etwa die Politik der Bundesregierung, das Defizit des Bundeshaushalts bis 2014 auf Null herunterzufahren, als eindeutig schädlich für die Weltwirtschaft bezeichnet. Man kann gespannt sein, wie sich der IWF im weiteren Fortgang der Euro-Krise positionieren wird und wie die IWF-Auflagenpolitik eines „G20-Konsensus“ aussehen wird.

Inklusives grünes Wachstum – Motto der mexikanischen Präsidentschaft
Jede G20-Präsidentschaft versucht, der G20-Diskussion einen eigenen inhaltlichen Schwerpunkt zu geben. Die Mexikaner haben dies mit dem Begriff des inclusive green growth versucht, mit dem zum Ausdruck gebracht wird, dass das angestrebte Wirtschaftswachstum sozial- und zugleich umweltverträglich sein soll. Offenbar wollte man vermeiden, dass sich die wachstumsorientierte Diskussion in der G20 völlig von der an Nachhaltigkeit orientierten Debatte auf dem sich unmittelbar anschließenden Rio+20-Gipfel abkoppelt. Konkret werden die zahlreichen an „grünem Wachstum“ orientierten internationalen Prozesse in der Gipfelerklärung unterstützt, eine Studiengruppe zur Klimafinanzierung eingesetzt und die bevorstehende Einrichtung des Grünen Klimafonds – um dessen Ansiedlung sich Bonn beworben hat – begrüßt. Die strukturelle Transformation der Volkswirtschaften in Richtung eines klimafreundlichen Entwicklungspfads wird ausdrücklich als Leitbild der G20 bezeichnet. Man mag dies als pure Rhetorik abtun, auch angesichts der mageren Ergebnisse des Rio+20-Gipfels. Aber es ist dennoch bemerkenswert, dass sich Industrie- und Schwellenländer wenigstens auf ein gemeinsames Leitbild einigen können und gemeinsame Schritte vereinbaren, wie Politiken in Richtung auf „grünes Wachstum“ umgesetzt werden können. So wurde der mexikanische Vorschlag, einen Instrumentenkasten für „grüne“ Wachstumspolitik zu entwickeln und zu diskutieren, in der Abschlusserklärung verankert.

Hier werden dann auch die Bezüge zur „Entwicklungsagenda“ der G20 hergestellt, die in einer eigenen Arbeitsgruppe seit dem G20-Gipfel in Korea vor zwei Jahren verfolgt wird. Im Mittelpunkt dieser Agenda stehen Nahrungsmittelsicherheit, Infrastruktur und eben das „inklusive grüne Wachstum“ in Entwicklungsländern. Immer stärker wird hierbei die Investition in umweltfreundliche Infrastruktur in den Mittelpunkt gerückt. Der Ausbau und Umbau des Energiesektors und die Bewältigung der Folgen der Urbanisierung, insbesondere des Massentransports, sind die Aufgabenfelder, auf denen die G20 sichtbare Fortschritte in Entwicklungsländern anstrebt. Hier wurde in Mexiko deutlicher als zuvor auf die Kooperation mit dem Privatsektor verwiesen, der sich im Rahmen der „Business 20“ zu einer Green Growth Action Alliance verpflichtet hat. Diese soll neue Geschäftsmodelle insbesondere für Investitionen in Entwicklungsländer entwickeln. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat der G20 eine Studie vorgelegt, in der verdeutlicht wird, dass die Investitionsrisiken in Entwicklungsländern bisher systematisch überschätzt wurden.

Es wird sich also in den nächsten Jahren zeigen müssen, ob die G20 – über ihr engeres Mandat der wirtschaftspolitischen Koordination innerhalb der G20 hinaus - tatsächlich dazu beitragen kann, Regierungen, internationale Organisationen und die Privatwirtschaft auf gemeinsame Ziele zu orientieren und messbare Fortschritte im Interesse globaler nachhaltiger Entwicklung zu erzielen. Zwei wichtige Politikfelder, die hierbei eine Rolle spielen, wurden von der G20 über mehrere Jahre verfolgt und wurden als G20-Arbeitsthemen bis 2014 verlängert: Die Korruptionsbekämpfung, in der tatsächlich einige wichtige Fortschritte in internationaler Zusammenarbeit gelungen sind; und die Verringerung von Subventionen für fossile Energieträger, wo man über Absichtserklärungen bisher nicht hinaus gekommen ist. Die Ergebnisse sind also gemischt. Es lohnt sich umso mehr, die G20 weiter an ihren Absichtserklärungen zu messen, zumal sie in Los Cabos selbst Instrumente zur Rechenschaftslegung über die Umsetzung von Verpflichtungen eingeführt hat, an der sie sich selbst messen will.

Über den Autor

Wolff, Peter

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