Die Energie(kehrt)wende wird nur mit einer Kurskorrektur der Energieforschung erfolgreich sein

Die Energie(kehrt)wende wird nur mit einer Kurskorrektur der Energieforschung erfolgreich sein

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Ruchser, Matthias
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 13.06.2011)

Bonn, 13.06.2011. Was vor dem 11. März 2011 noch undenkbar erschien, ist nach dem Super-GAU von Fukushima möglich geworden: die gleichzeitige und kurzfristige Abschaltung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke. Darüber hinaus waren Ende Mai aufgrund üblicher Revisionszyklen und wegen Betriebsstörungen weitere Kernkraftwerke vom Netz, so dass von 17 Meilern nur noch vier Kernkraftwerke mit einer Leistung von knapp 5,5 GW Strom produzierten – und trotzdem war die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht gefährdet.

Die Debatte über Laufzeitverlängerungen für deutsche Kernkraftwerke ist vorbei
Die Bundesregierung hat zwar erst letztes Jahr die Laufzeitverlängerung als Teil eines Energiekonzeptes, das bis 2050 Bestand haben sollte, durch den Bundestag und – trotz verfassungsrechtlicher Bedenken – durch den Bundesrat gebracht. Doch angesichts der Ereignisse in Fukushima beschloss das Bundeskabinett am 06.06.2011 die Energie(kehrt)wende.

Jetzt rächen sich allerdings die energiepolitischen und -forschungspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung der letzten Jahre: Nach ihrem Amtsantritt hat die neue Bundesregierung 2009 die Gewichtungen des Energieforschungshaushalts stark verändert. So hat sie die Forschungsgelder für Atomenergie und Kernfusion – die bereits während der Großen Koalition erhöht wurden – weiter aufgestockt. Betrugen die Aufwendungen für nukleare Energieforschung 2008 bereits 186 Mio. Euro, so erhöhte die Bundesregierung den Etat bis zum Jahr 2010 weiter auf 233,2 Mio. Euro. Hinzu kommen die Mittel für die Beseitigung von kerntechnischen Anlagen in Höhe von 251,6 Mio. Euro sowie institutionelle und projektbezogene Forschungsgelder in Millionenhöhe. Die Aufwendungen für die Kernfusionsforschung stiegen von 119,4 Mio. Euro in 2008 auf 143 Mio. Euro im Jahr 2010. Doch auch diese Beträge reichten nicht aus, um substantielle Fortschritte in der Fusionsforschung zu erreichen. Zusätzlich beteiligt sich Deutschland am ITER-Projekt, dem Bau eines Versuchs-Fusionsreaktors in Frankreich, dessen Kosten sich noch vor Baubeginn auf 15 Mrd. Euro verdreifacht haben.

Deutschland sollte aus der Kernfusionsforschung aussteigen
Kann Deutschland es sich nach der beschlossenen Energie(kehrt)wende leisten, weiter den Irrweg der Kernfusion mit steuergeldfinanzierten Forschungsmilliarden zu beschreiten, obwohl die Kernfusion trotz jahrzehntelanger Forschung bis heute keine einzige Kilowattstunde Strom in das öffentliche Stromnetz eingespeist hat? Die erneuerbaren Energien, die im gleichen Zeitraum weit weniger Forschungsgelder erhalten haben, decken hingegen inzwischen 17 % des deutschen Strombedarfs. Und seit Jahrzehnten sagen uns die Kernfusionsforscher immer das gleiche: die Kernfusion wird in frühestens 30 bis 40 Jahren zur Verfügung stehen. Damit Forschungsgelder für zukunftsfähige Energietechnologien frei werden, sollte Deutschland aus der Kernfusionsforschung aussteigen.

So wie es durch die Energiewende Gewinner und Verlierer in der Energiewirtschaft geben wird (sinkende Aktienkurse, Konzerngewinne und weniger Arbeitsplätze bei den konventionellen Energieversorgern, steigende Aktienkurse, Konzerngewinne und zusätzliche Arbeitsplätze in der Erneuerbare-Energien-Industrie), wird es auch in der Energieforschungslandschaft Veränderungen geben, inklusive negative Auswirkungen auf bestehende Arbeitsplätze. In einem Land, das innerhalb von zehn Jahren aus der Kernenergie aussteigen will, hat Kernenergieforschung keine Zukunft. Nuklearforschung sollte auf die Beseitigung kerntechnischer Anlagen sowie auf Sicherheits- und Endlagerforschung reduziert werden.

Eine Kurskorrektur bei der Energieforschung ist notwendig
Im Gegensatz dazu argumentiert die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dass Energieforschung langfristig ein breites Themenspektrum bearbeiten und die gesamte Spanne von Grundlagenforschung, auch wenn diese nicht dem derzeitigen Mainstream entspricht, umfassen sollte. Diese Logik schließt die Kernfusionsforschung mit ein; interessanterweise bezeichnete die Leopoldina die Kernfusion noch 2009 als regenerative Energie. Ein kernenergiefreies Deutschland, das laut Erneuerbare-Energien-Branche bis zum Jahr 2050 mit „echten“ erneuerbaren Energien annährend 100 % seiner Stromversorgung sicherstellen kann, braucht keine Kernfusion und somit auch keine Kernfusionsforschung. Wer wirklich eine Energiewende erreichen will, muss eine Kurskorrektur bei der Energieforschung vornehmen. Oder, wie es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem aktuellen Hauptgutachten formuliert, wir brauchen eine „Große Transformation“.

Dies umso mehr, da nach dem krisenbedingten Rückgang der Energienachfrage und der Treibhausgasemissionen im Jahr 2009 die Internationale Energieagentur schätzt, dass die energiebedingten Treibhausgasemissionen im Jahr 2010 ein Allzeithoch erreicht haben. In seinem aktuellen „Global Energy Review“ berichtet der Ölkonzern BP, dass China die USA inzwischen als größten Energieverbraucher abgelöst hat. Allein 2010 führte das Wirtschaftswachstum Chinas zu einem elfprozentigen Anstieg des Energiebedarfs, Tendenz steigend.

Wachstumsmarkt erneuerbare Energien
Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Trends ergeben sich große Wettbewerbsvorteile für die Exportnation Deutschland. Während im Zuge der Finanzkrise fast alle Industriezweige Rückgänge zu verzeichnen hatten, war das Wachstum bei den erneuerbaren Energien 2009 mit einem Zubau von 80 GW an neuen Kapazitäten ungebrochen. Laut REN21 Global Status Report 2010 decken erneuerbare Energien inzwischen 19 % des globalen Primärenergieverbrauchs. Seit 2008 werden in Europa und den USA mehr Erneuerbare-Energien-Kapazitäten installiert als konventionelle Energien. Gerade auch die Entwicklungs- und Schwellenländern sind Wachstumsmärkte für erneuerbare Energien. China investiert inzwischen annährend soviel Geld in erneuerbare Energien wie Deutschland. Und die KfW Entwicklungsbank hat in den vergangenen fünf Jahren 3 Mrd. Euro bzw. 21 % ihrer finanziellen Zusammenarbeit auf umweltschonende und nachhaltige Energieversorgung in Entwicklungsländern aufgewendet.

Mit dem 6. Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung jetzt die Chance, durch eine Korrektur ihrer bisherigen Forschungsschwerpunkte Deutschland zum internationalen Innovations-Champion bei der Steigerung der Energieeffizienz sowie beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze zu machen. Wer argumentiert – wie die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung letzte Woche –, dass die Neubewertung der Risiken der Atomkraft im Lichte der Ereignisse von Fukushima einen Ausstieg aus der Kernenergie notwendig macht, der muss in einem weiteren Schritt den Fokus der Energieforschung auf Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Energiespeicher und Übertragsnetze richten.

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