Globaler Handel per Mausklick

Die granulare Revolution der Plattformökonomie

Die granulare Revolution der Plattformökonomie

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Weizsäcker, Franz von
Die aktuelle Kolumne (2018)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 22.01.2018)

Ein Video vom Urlaub zusammenschneiden für 7 Euro, die Bewerbungsmappe auf Englisch übersetzen für 30 Euro oder ein Logo für die neue Firma entwerfen für 6 Euro – das Internet macht es möglich. Auf Plattformen wie Fiverr.com, Proz.com, Upwork.com oder Amazon’s Mechanical Turk (MTurk) werden Jobs weltweit vermittelt. Bearbeitet werden sie in Manila, Bangalore oder auch San Diego. Andere Dienstleistungen per Mausklick finden direkt vor unserer Tür statt: Die Taxifahrt mit Uber, die Unterkunft via Airbnb, das Essen von Deliveroo. Diese physischen Dienste konkurrieren mit etablierten Taxizentralen, Hotelketten und Lieferdiensten. Gemein ist beiden Formen der Plattformökonomie lokal wie global jedoch eins: Sie sind dabei den Handel zu revolutionieren.

Das schnelle Wachstum der Plattformökonomie – weltweit wird es auf jährlich 25 Prozent geschätzt – bereitet bestehenden Firmen aller Branchen viel Kopfzerbrechen. Das Prinzip hat der Ökonom Ronald Coase bereits lange vor dem Internetzeitalter verstanden und dafür einen Nobelpreis erhalten: Der Grund, warum Firmen überhaupt existieren sind Transaktionskosten. Nun konnte das Preiskomitee der Schwedischen Reichsbank im Jahr 1991 kaum voraussehen, wie heute Internetplattformen eine Branche nach der anderen umkrempeln. Kunden finden geeignete Dienstleister auf den digitalen Plattformen im Handumdrehen, und Transaktionskosten reduzieren sich auf einen Mausklick. Immer mehr Firmen, vom Übersetzungsbüro bis zur Taxizentrale, braucht der Markt plötzlich nicht mehr.

Etwa ein Viertel der Internetwirtschaft besteht bereits heute aus solchen Transaktionsplattformen. Das entspricht einer Marktkapitalisierung von 1,1 Billionen US-Dollar (engl.: trillion) und hat spürbare Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die USA führt den Trend an. Dort erwartet man bis 2020 einen Anstieg des Freelancer-Anteils auf 40 Prozent der Erwerbstätigen.

In Entwicklungsländern hingegen stellt sich der Trend aus einer anderen Perspektive dar. Dort, wo informelle Beschäftigung nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, ist der Schritt auf die Online-Plattform ein Schritt in Richtung Formalisierung des Arbeitsverhältnisses. Arbeiter erhalten hier mehr Vertragssicherheit und genießen größere Freiheit bei der Auswahl der Kunden. Die Plattformarbeit kann außerdem der Karriereentwicklung dienen. Die Freelancer auf Upwork.com nähmen über die Zeit immer komplexere Aufträge an, konstatiert eine Studie der LMU München. Unter Umständen profitiert sogar der Staatshaushalt. Das Einkommen auf der Plattform wird meist elektronisch bezahlt und ist daher für Steuerbehörden besser nachvollziehbar.

Führend im globalen Markt der Online-Dienstleistungen sind Indien, die Philippinen und die Ukraine. Auch Malaysia setzt auf starkes Wachstum. Gemäß der nationalen Beschäftigungsstrategie des südostasiatischen Staates sollen bis zum Jahr 2020 340.000 sogenannte „Clickworker“ einen Umsatz von 500 Millionen Dollar erwirtschaften.

Die Nachfrage dieses globalen Marktes kommt jedoch vorwiegend aus Nordamerika und Europa. Daraus leitet sich eine Verantwortung ab. In Deutschland nimmt zum Beispiel der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte deutsche Unternehmen in die Pflicht, für die Einhaltung der Menschenrechte auch in ihren Lieferketten im Ausland zu sorgen.

So wie das Textilbündnis der deutschen Wirtschaft sich für die Textil-Lieferketten einsetzt, könnte ein neues Bündnis für faire Plattformökonomie für bessere Arbeitsbedingungen bei Clickworkern sorgen. Um wirksam zu sein, muss so ein Bündnis allerdings global aufgestellt sein, und auch die Plattformbetreiber aus San Francisco und Bangalore miteinschließen. Denn die wichtigsten Regeln stecken in den Vertragsbedingungen der Plattform selbst. Ein Ethik-Kodex der Plattformbetreiber könnte Plattformarbeitern beispielsweise mehr Sicherheit geben, die Zahlungen für ihre Leistung auch zu erhalten.

Die internationale Arbeitsorganisation ILO, sowie nationale Arbeitnehmervertreter wie Verdi und IG-Metall, stellen sich mit zaghaften ersten Schritten jenseits der Arbeitnehmer auf die neue Zielgruppe der Plattform-Freelancer ein – an Plattformbetreiber erheben sie Forderungen für mehr Vertragssicherheit, Mindestlohn, Versicherungsschutz, und Haftungsregeln. Sie haben die Vision von Plattformen, auf denen Auftragnehmer eine kollektive Interessensvertretung erhalten.

Gleichzeitig müssen sich nationale Regierungen auf das Zeitalter technologischer Disruptionen auf dem Arbeitsmarkt einstellen. Dänemark, Schweden und vielleicht auch bald Frankreich dienen hier als Vorbild: Statt Jobs zu schützen werden dort die Menschen geschützt. Statt Kündigungsschutz setzen die nordischen Länder auf großzügige Sozialleistungen, Umschulungs- und Vermittlungsangebote. Das gibt nordischen Unternehmen einen Vorsprung, da sie sich personell flexibel auf die sich immer schneller wandelnden Rahmenbedingungen des digitalen Zeitalters anpassen können. Die Politik stellt weltweit fest: Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Während die Wirtschaft sich wandelt, müssen wir auch die Arbeitsmarktpolitik vom industriellen Zeitalter in das digitale Zeitalter überführen.

Franz von Weizsäcker ist Lead Disruption Strategist und Head of GIZ Blockchain Lab bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

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