Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion

Die Nachfrage der Welt nach Wohlergehen mit weniger Ressourcen befriedigen

Die Nachfrage der Welt nach Wohlergehen mit weniger Ressourcen befriedigen

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Bauer, Steffen / Babette Never
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 13.06.2022

Bonn, 13. Juni 2022. Anfang dieses Monats trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Welt in Stockholm, um den 50. Jahrestag der Konferenz der Vereinten Nationen über die menschliche Umwelt zu begehen. Die Konferenz betonte die Umweltdimension nachhaltiger Entwicklung und beschloss, die Welt auf den Weg zu einem gesunden Planeten und Wohlstand für alle zu bringen - trotz zahlreicher globaler Krisen und einer beispiellosen ökologischen Verschlechterung. Inger Andersen, Generalsekretärin der Stockholm+50-Konferenz und Exekutivdirektorin des UN-Umweltprogramms, forderte „einen neuen Kompass für das Wohlergehen“, um das Verständnis der Menschheit von Fortschritt und Wohlstand zu überdenken.

Dieses Postulat ist weniger utopisch, als es auf den ersten Blick scheint. Der jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) hat überzeugende Beweise dafür vorgelegt, dass Wohlstand und Wohlergehen auch mit einem erheblich reduzierten Ressourcenverbrauch möglich sind. Nachfrageseitige Maßnahmen verdienen dabei besondere Aufmerksamkeit – auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Der IPCC ermittelt ein Treibhausgasminderungspotenzial von 40-70% für Maßnahmen auf der Endverbraucherseite (z. B. energieeffiziente Geräte, Gebäude) sowie zahlreiche Vorteile für verschiedene Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDGs). Beispiele hierfür sind eine längere Lebenserwartung und eine bessere Gesundheit aufgrund geringerer Luftverschmutzung, aktivere Mobilitätsentscheidungen und der Zugang zu sauberer Energie. Um diese Vorteile zu nutzen und sie mit dem Ziel des Wohlergehens für alle in Einklang zu bringen, ist eine systematischere Verknüpfung von Strategien und Programmen für nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion (SCP) erforderlich.

Es ist eine politische Herausforderung, zu einem angemessenen Verständnis von Wohlbefinden zu gelangen, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Bislang bietet die Messung der mehrdimensionalen Armut die fortschrittlichste Orientierung. Ihre Anwendung auf die SCP bedeutet, dass wir feststellen müssen, welche Produkte und Dienstleistungen wir wirklich brauchen, um ein gesundes, menschenwürdiges Leben zu führen, ohne uns um die Grundbedürfnisse zu kümmern. Länder auf allen Entwicklungsebenen müssen dies mit Blick auf die Gerechtigkeit sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch zwischen den Ländern herausfinden.

Nachhaltiger Konsum wird in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bereits praktiziert, z.B. beim Energiesparen, bei der gemeinsamen Mobilität, bei dezentralen digitalen Märkten, bei Reparatur- und Recyclingdiensten oder bei innovativen Start-ups zur Wiederverwendung von Plastik. Diese Praktiken werden jedoch häufig in informellen und marginalisierten Umgebungen mit Armut, prekären Arbeitsbedingungen und Umweltgefahren umgesetzt. Die Herausforderung besteht darin, solche Praktiken auszuweiten und sie mit den wirtschaftlichen Bestrebungen und Präferenzen der Verbrauche*innen einer wachsenden, urbanisierten Mittelschicht in Einklang zu bringen. Dann kann ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt werden, in dem sich SCP und Entwicklung gegenseitig verstärken, indem sie durch tragfähige Unternehmensinnovationen, menschenwürdige Arbeit und verbesserte Gesundheit wirtschaftliche Vorteile schaffen.

Förderliche Faktoren sind wohlbekannt!

Vier Faktoren, die einen solchen positiven Kreislauf begünstigen, sind bereits gut bekannt:

Erstens der strategische Aufbau von Infrastrukturen und lebenszyklusorientierten Produktdesigns, die nachhaltige Entscheidungen ermöglichen, z. B. bei Verkehrssystemen, Gebäuden und Nutzungen. Zweitens: Integrierte Ansätze, die auf lokale und regionale Märkte abzielen, um lokale Konsummuster (z. B. von Modelabels und Lebensmittelprogrammen) mit Produktionsprozessen und Wertschöpfungsketten zu verbinden. Drittens: Aufwertung bestehender nachhaltiger Praktiken und entsprechende Innovationen in der informellen Wirtschaft, z. B. Reparatur- und Wiederverwendungsinitiativen. Viertens: Förderung von Normen des Wohlbefindens gegenüber Normen der Konsummaximierung und der Bequemlichkeit. In vielen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind solche Normen noch in der Entwicklung begriffen, und die Vorteile nachhaltiger Entscheidungen lassen sich angesichts der sichtbareren externen Umweltauswirkungen leicht nachweisen.

Politische Rahmenbedingungen müssen Wohlstandsnormen mit Konsum und Produktion in Einklang bringen

Einzelne Verbraucher*innen oder Unternehmen werden nicht in der Lage sein, diese Veränderungen systematisch allein zu erreichen. Es bedarf entsprechender politischer Maßnahmen, um die Rahmenbedingungen für Konsum und Produktion zu ändern und damit die Strukturen jenseits der individuellen Verantwortung für den Konsum von Waren und Dienstleistungen anzupassen.

Die Ergebnisse des Stockholmer+50-Gipfels bieten nun einen universellen Bezugspunkt. So wie der historische Vorgängergipfel von 1972 die Grundlage für das internationale Umweltrecht bildete, kann der Gipfel den Ton für eine normative Neuausrichtung auf das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten angeben. Dieser Rahmen muss auf allen Ebenen der Gesellschaft mit Leben gefüllt werden. Es sind differenzierte politische Ansätze erforderlich, um das Wohlergehen der verschiedenen Gesellschaftsschichten zu fördern.

Während arme ländliche Haushalte ihren Konsum möglicherweise noch steigern müssen, um beispielsweise die Unterernährung zu überwinden, braucht die wachsende städtische Mittelschicht Anleitung und Anreize, um sich auf nachhaltigen Konsum und kohlenstoffarme Alternativen umzustellen. Kontextspezifische Forschung zu den Rahmenbedingungen für SCP und praktische internationale Zusammenarbeit können gemeinsam sowohl die Kalibrierung als auch die Anwendung eines globalen Kompasses für das Wohlergehen unterstützen. Dies wird die Macht und das Potenzial von nachfrageorientierten Lösungen erschließen.

Über die Autor*innen

Bauer, Steffen

Politikwissenschaftler

Bauer

Never, Babette

Politikwissenschaftlerin

Never

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