Doha-Endspurt oder das Ende der Doha-Runde: Süd-Süd-Kooperation als Alternative zu Multilateralismus?

Doha-Endspurt oder das Ende der Doha-Runde: Süd-Süd-Kooperation als Alternative zu Multilateralismus?

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Brandi, Clara
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 30.05.2011)

Bonn, 30.05.2011. Nach fast 10 Jahren ist die Doha-Runde am Rande des Abgrunds. Am 31. Mai wird Pascal Lamy, der Generaldirektor der World Trade Organization (WTO), am Ende einer mehrwöchigen Reflexionsphase aller Voraussicht nach erneut eine ernüchternde Bilanz ziehen. Ein Abschluss der Doha-Runde in diesem Jahr wird kaum mehr möglich sein – die Differenzen zwischen einigen großen Ländern sind zu groß. Die Entwicklungsländer wären die klaren Verlierer des endgültigen Kollapses der multilateralen Doha-Verhandlungen.

Für den Fall des Scheiterns der Doha-Runde wird hinter den Kulissen bereits seit einigen Wochen ein möglicher Plan B mit verschiedenen Varianten diskutiert. Ein prominenter Vorschlag sieht vor, nur einige ausgewählte Aspekte der Doha-Runde abzuschließen und umstrittene Themen wie Landwirtschaft und Industrieprodukte beiseite zu lassen. Als weitere Option des Plan B kursiert der Vorschlag, den am wenigsten entwickelten Ländern zoll- und quotenfreien Marktzugang zu eröffnen. Ein drittes Szenario sieht vor, die Doha-Runde zu suspendieren, um sich neueren Zukunftsthemen zuwenden zu können. Wie auch immer ein möglicher Plan B für die Doha Development Agenda aussähe, er sollte in jedem Fall die Belange der weniger entwickelten Länder im Blick haben.

Die größte Hürde für den Abschluss der Doha-Runde stellt zurzeit der Zollabbau für Industrieprodukte dar. Insbesondere die USA verlangen einen besseren Marktzugang zu Schwellenländern, den diese verweigern. Schwellenländer und weniger entwickelte Länder argumentieren, sie hätten bereits genügend „Zugeständnisse“ in der Doha-Runde auf den Verhandlungstisch gelegt. Sie argumentieren auch, dass die Industrieländer im Rahmen der Doha-Runde den Entwicklungsländern besseren Zugang zu ihren Märkten einräumen sollten. Doch obwohl Zugang zu OECD-Märkten für Entwicklungsländer wichtig ist, ist das nur die eine Seite der Medaille. Wenn Entwicklungsländer maximale Gewinne aus multilateraler Handelsliberalisierung ziehen möchten, müssen sie ihre Märkte auch gegenseitig öffnen und den Süd-Süd-Handel weiter stärken.

Aktuell ist Süd-Süd-Handel zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern nach wie vor durch größere Handelsschranken beeinträchtigt als Nord-Süd- oder Nord-Nord-Handel. Süd-Süd-Handelsbarrieren sind fast drei Mal so hoch wie die für Nord-Nord-Handel. Bilateraler Handel zwischen den ärmsten Ländern ist tendenziell sogar von den höchsten Zollbarrieren betroffen.

Der Abbau von Süd-Süd-Handelshemmnissen birgt beachtliche Chancen für Entwicklungsländer. Im Schnitt kann eine Zollreduktion der Entwicklungsländer von 10 Prozent durch verstärkten Süd-Süd-Handel laut OECD fast 6 Milliarden US-Dollar zusätzliche Exporteinnahmen bringen. Es gibt also ein beträchtliches Potenzial, den Handel zwischen Niedrigeinkommensländern zu steigern und so wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und Armut zu bekämpfen.

Das Potenzial von Süd-Süd-Handel zeigt sich durch den Boom der letzten Jahre. Süd-Süd-Handel überflügelt die Wachstumsraten sowohl von Nord-Nord- als auch von Nord-Süd-Handel. Während der weltweite Handel in den letzten zwei Dekaden um das Vierfache stieg, nahm der Süd-Süd-Handel um mehr als das Zehnfache zu – allerdings hauptsächlich zwischen Mitteleinkommensländern. Dass Süd-Süd-Handel schneller als andere Handelsströme expandiert, obwohl er von höheren Handelshemmnissen beeinträchtigt ist, legt nahe, dass handelsfördernde Maßnahmen wie die Modernisierung von handelsrelevanter Infrastruktur wie Häfen und Straßen großes entwicklungspolitisches Potential haben.

Die Zugpferde des Süd-Süd-Handels sind Indien, Brasilien und vor allem China. China ist seit letztem Jahr Afrikas wichtigster Handelspartner. Zwischen China und dem afrikanischen Kontinent werden jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar gehandelt. Nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise stellte sich die Frage, ob der damit verbundene Einbruch der weltweiten Nachfrage das Ende der Ära exportbasierten Wachstums eingeläutet hat. Doch das Gegenteil ist der Fall: Süd-Süd-Handel ist zu einem neuen Wachstumsmotor für Entwicklungsländer geworden. Nach der globalen Krise hat in weniger entwickelten Ländern die verstärkte Umorientierung des Handels hin zu China und anderen Schwellenländern zur relativ schnellen Erholung der Wirtschaft beigetragen. Die Schwellenländer weisen im Vergleich zu vielen westlichen Industrieländern hohe Wachstumsraten auf und fragen verstärkt Exporte aus den übrigen Entwicklungsländern nach.

Besonders groß ist die Nachfrage nach Rohstoffen wie Kupfer, seltene Erden und Rohöl aber auch nach Stahl. Rohstoffe und weniger verarbeitete Produkte spielen im Süd-Süd-Handel nach wie vor eine größere Rolle als im Nord-Süd-Handel. Doch insgesamt besteht bereits ein Drittel des Süd-Süd-Handelsvolumens aus hochwertig verarbeiteten Gütern, die ein besonders hohes Potenzial für gewinnbringende Geschäfte und die Diversifizierung der Wirtschaft in Entwicklungsländern sowie für Technologietransfer mit sich bringen.

Das Potenzial von Handel zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern kann sowohl im multilateralen Forum der WTO als auch durch Süd-Süd-Kooperation gestärkt werden. So ist eine wachsende Anzahl von regionalen Handelsabkommen zwischen Entwicklungsländern zu verzeichnen. Süd-Süd-Abkommen wie MERCOSUR, ASEAN, oder COMESA machen momentan etwa ein Viertel aller 474 gemeldeten regionalen Abkommen aus, von denen 283 in Kraft sind.

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) versucht seit Jahrzehnten, den Süd-Süd-Handel zu fördern. Vor sechs Jahren hat sie eine Verhandlungsrunde zum Global System of Trade Preferences (GSTP) ins Rollen gebracht, einem System spezieller Zollpräferenzen für den Handel der Entwicklungsländer untereinander. Im Dezember 2010 kam es in dieser Runde zu einem Durchbruch: Die Vertreter der GSTP-Parteien einigten sich, mindestens 70 Prozent ihrer gegenseitigen Zolltarife um mehr als 20 Prozent zu reduzieren. Doch das Abkommen wurde zunächst nur von acht Ländern unterzeichnet – während der wichtige Süd-Süd-Handelspartner China fehlt.

Aktuelle Schätzungen zeigen, dass nur ein Teil der potenziellen Gewinne des Süd-Süd-Handels im Zuge von regionalen Handelsabkommen und Süd-Süd-Handelspräferenzen eingefahren werden können. Multilaterale Verhandlungen stellen daher ein wichtiges Instrument für die Realisation von Süd-Süd-Handelsvorteilen dar. Neue Forschungsergebnisse unterstreichen, dass die Vorteile aus freierem Süd-Süd-Handel mindestens so umfassend wären wie die Vorteile, die Entwicklungsländer durch besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer erlangen können. Die Entwicklungsländer wären gut beraten, nicht nur mit dem Finger auf die OECD-Länder zu zeigen und mehr Konzessionen zu fordern, sondern ihre Märkte auch untereinander stärker zu öffnen, am besten im Rahmen des multilateralen Forums der WTO.

Über die Autorin

Brandi, Clara

Ökonomie und Politikwissenschaft

Brandi

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