Ein friedlicher Wahltag in Mali garantiert noch keinen Frieden

Ein friedlicher Wahltag in Mali garantiert noch keinen Frieden

Download PDF 183 KB

Leininger, Julia
Die aktuelle Kolumne (2013)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 29.07.2013)

Bonn, 29.07.2013. Die Angst vor Unruhen und Anschlägen war vor der Präsidentschaftswahl am 28.07.2013 in Mali groß. Doch die befürchteten Gewaltausbrüche blieben am Wahltag aus. Der Gang zur Urne verlief für die meisten Malier und Malierinnen friedlich – auch in den Zentren des dünn besiedelten Nordens. Hier haben die Kämpfe seit der französischen Militärintervention im Januar 2013 zwar nachgelassen, aber etwa eine Million Menschen leiden in Gao, Kidal und Timbuktu immer noch unter der anhaltenden Gewalt. So gaben Stimmen aus der malischen Bevölkerung und politischen Opposition zu bedenken, dass die Wahlen verfrüht, und wahrscheinlich eine Quelle für mehr Gewalt und Leid sein würden.

Alarmierende und skeptische Einschätzungen gehören im Vorfeld von demokratischen Wahlen in Sub-Sahara Afrika zur Tagesordnung. Und dies obwohl friedliche Wahlausgänge auf dem Kontinent eher die Regel als die Ausnahme geworden sind. So stand im Nachbarland Senegal bei der Wahl 2012 zu befürchten, dass die Anhänger des amtierenden Präsidenten Wade gegen die Opposition vorgehen würden. Im ostafrikanischen Kenia galt es, die ethnisch aufgeladenen Gewaltausbrüche von 2008 bei den diesjährigen Wahlen nicht zu wiederholen. In beiden Fällen blieb die Situation stabil. Die Wählerinnen und Wähler konnten ihre Stimmen in einem ruhigen Umfeld abgeben. Auch Mali hat sich mit dem friedlichen Wahlverlauf in diesen afrikanischen Trend eingereiht.

Frieden heute...
Die malischen Medien berichten von begeisterten Bürgern und Bürgerinnen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen wollten. Ein Blick auf die vergangenen zwölf Monate zeigt, warum diese Begeisterung am Wahltag nicht in Gewalt umschlug. Kurz vor den für April 2012 geplanten Wahlen putschten Militärs erfolgreich gegen den mittlerweile im Exil lebenden Präsidenten Amadou Toumani Touré. Damit hatten die Soldaten ein Zeichen gegen die herrschende politische Klasse und den desolaten Zustand der Armee gesetzt. In der Bevölkerung bekamen sie hierfür großen Rückhalt. Doch anstatt mehr Sicherheit in den umkämpften Nordregionen zu schaffen, hatte der Putsch der organisierten Kriminalität und Gewalt Vorschub geleistet. Es kam zu einem Krieg zwischen militanten Tuareg, algerisch-stämmigen Islamisten und dem malischen Staat. Mindestens 450.000 Menschen flohen ins Landesinnere und in die Nachbarländer. Nur wenige sind seitdem in ihre Heimatdörfer zurück gekehrt. Gleichzeitig ging der Alltag für die ca. 13,5 Millionen Malierinnen und Malier, die südlich von Timbuktu leben, weiter.

In der jüngeren Geschichte hat es von 1990 bis 1996 bereits einen Krieg zwischen Tuareg und dem malischen Staat gegeben. Die Erinnerungen an diesen Schrecken sitzen in Mali noch tief. Nun hoffen die Menschen, dass die Lösung von damals auch heute greift. Die erste demokratische Regierung unter Präsident Konaré ab 1992 hatte für Frieden gesorgt. Umfragen in Bamako und Mopti – den Regionen mit den meisten Wählerinnen und Wählern – haben gezeigt, dass sich die Menschen heute eine starke Persönlichkeit an der Spitze des Staates wünschen. Diese demokratisch gewählte Exekutive soll die massiven Probleme des Landes lösen, ganz so wie einst Konaré. Dementsprechend waren die Wahlen in der Bevölkerung gewünscht, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. 80 % plädierten dafür, den Wahltermin zu verlegen bis der Konflikt im Norden gelöst sei. Doch angesichts der komplexen Gemengelage und massiven wirtschaftlichen Interessen der politischen Eliten am Schmuggel in der Sahara, hätte dies die Demokratie auf die lange Bank geschoben.

27 Kandidaten, darunter eine Frau, haben sich am vergangenen Sonntag um die Präsidentschaft und damit um die bevorstehende politische und soziale Mammutaufgabe in Mali beworben. Bereits kurz nachdem die ersten Ergebnisse aus den Wahlbüros eintrafen, hat die Öffentlichkeit einen Favoriten gekürt: Ibrahim Boubakar Keïta, in der malischen Bevölkerung als „IBK“ bekannt, soll bereits im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit erreicht haben. Auch wenn das endgültige Ergebnis noch offen ist, steht fest, dass ein Vertreter der alten politischen Klasse die Nase vorn hat. Sowohl IBK als auch sein Hauptgegner Soumaïla Cissé haben als Premier und Minister hohe Regierungsämter bekleidet. Beide haben schon 2012 bei den letztlich abgesagten Wahlen für das Präsidentenamt kandidiert.

Im Zeichen der Kontinuität steht auch die von internationalen Beobachtern kritisierte mangelhafte Wahlvorbereitung. Das Wahlregister ist nach wie vor unvollständig und die Sicherheitslage hält Bürgerinnen und Bürger potenziell vom Wählen ab. Doch hier besteht kaum ein Unterschied zu den Wahlvorbereitungen von 2012. Das Wahlregister war bis auf einige Verbesserungen im Laufe des vergangenen Jahres fast das Gleiche. Und wie die nomadische Bevölkerung im Norden erreicht werden kann, beispielsweise durch mobile Wahlstationen, wird seit der Einführung demokratischer Wahlen 1991 diskutiert. Dennoch waren die Bedenken wegen der mangelhaften Wahlvorbereitung nun größer als im Jahr 2012 – auch von Seiten internationaler Geber, die die Wahlen unterstützt hatten. Dabei war es gerade die technische Vorbereitung von 2012, die die rasche Durchführung der Wahl jetzt erst ermöglichte.

...verheißt nicht automatisch Frieden morgen
Die Aufgaben, die der zukünftige Präsident Malis übernimmt, sind enorm. Das steht außer Frage. Die Fortsetzung des Friedens über den Wahltag hinaus steht auf wackligen Beinen. Und zwar nicht nur in den drei Nordregionen. Neben den dortigen Sicherheitsproblemen, trägt der Präsident mehr denn je die Verantwortung auch für den sozialen Frieden im gesamten Land. Die Bevölkerung erwartet nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch mehr Ernährungssicherheit, bessere Gesundheitssysteme und Bildungsmöglichkeiten. Vor allem wird erwartet, dass sich die politische Elite erneuert und der unheilvollen Verquickung von Staat, Schmuggel und wirtschaftlichen Partikularinteressen ein Ende setzt. Ob dies einem Präsidenten gelingen wird, der wahrscheinlich von korrupten Netzwerken im Staat und damit indirekt vom Schmuggel im Norden profitiert hat, ist fragwürdig.

Ob die Ergebnisse genauso positiv aufgenommen werden wie der Wahltag selbst, bleibt abzuwarten. Noch sind die Stimmen nicht vollständig ausgezählt. Die Berichterstattungen aus Mali feiern die hohe Wahlbeteiligung – teilweise bis zu 65 %. Sollte sich dies bewahrheiten, könnte in der Tat von einer kleinen Sensation gesprochen werden. Denn die Wahlbeteiligung lag früher lediglich bei maximal 38 %. Doch garantiert die vermeintlich hohe Partizipationsrate weder eine ausgewogene Repräsentation der Bevölkerung, noch vermag sie automatisch die Legitimität der Regierung zu erhöhen. Die fehlerhaften und unvollständigen Register lassen keinen Schluss darüber zu, wie viel Prozent der Wählerschaft an den Urnen war. Lokalen Berichten zufolge konnten viele Menschen auch deshalb nicht wählen, weil sie ihren Namen auf den ausgehängten Listen nicht gefunden haben. Hinzu kommt, dass Flüchtlinge aus dem Norden von der Wahl ausgeschlossen wurden. Bemühungen, die Wahlen in Flüchtlingslagern durchzuführen, haben nur bedingt Früchte getragen.

So steht der neue Präsident nicht nur vor einer politischen Herkulesaufgabe, sondern muss auch sein Amt behaupten. Um den sozialen Frieden zu wahren und den Sicherheitsproblemen zu begegnen, muss er sich als Präsident aller Malier und Malierinnen – im Norden und Süden – verstehen. Glaubwürdigkeit wird er nur erlangen können, wenn er ernsthaft eine Staatsreform angeht und auf neue Reformkräfte in seiner Regierung baut. Langfristige Veränderungen bedürfen jedoch eines Generationenwechsels in der politischen Klasse. So würde der neue Präsident gut daran tun, in die Entwicklung des politischen Nachwuchses zu investieren.

Über die Autorin

Leininger, Julia

Politikwissenschaftlerin

Leininger

Weitere Expert*innen zu diesem Thema