Entwicklungspolitische Beiträge zu einer europäischen Flüchtlingspolitik

Entwicklungspolitische Beiträge zu einer europäischen Flüchtlingspolitik

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Hackenesch, Christine / Julia Leininger
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 05.05.2015)

Bonn, 05.05.2015. Wie kann und sollte Europa auf die steigenden Flüchtlingszahlen und den Tod von Tausenden von Flüchtlingen im Mittelmeer reagieren? Entwicklungsminister Gerd Müller fordert zusätzlich zehn Mrd. Euro zur Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern. Theo Sommer hat auf ZEIT Online in seinem Artikel „Kein Hilfsgeld für korrupte Kleptokraten“ dagegen argumentiert, dass zusätzliche Entwicklungsgelder wenig zur Lösung der Flüchtlingskrise beitrügen. Die Gelder würden eher in den Fängen korrupter Politiker der Entwicklungsländer versickern.

Fluchtursachen begegnen – auch und gerade in Staaten mit korrupten Regierungen
Die Konsequenz von Theo Sommers Argumentation wäre, dass sich Flüchtlingspolitik allein auf Grenzschutz und Seenotrettung beschränken würde. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dadurch Flüchtlingszahlen kurz- bis mittelfristig zurückgehen. Es wäre außerdem mit einem erheblichen Ansehensverlust für Europa verbunden, wenn sich die Antwort auf die Flüchtlingskrise auf mehr Gelder für die ‚Operation Triton‘ beschränken würde.

Die Einhegung von Fluchtursachen in afrikanischen Gesellschaften bleibt alternativlos. Doch heißt das mehr Geld für korrupte Regierungen? Die von Theo Sommer formulierte Kritik geht an der entwicklungspolitischen Realität vorbei und tappt in die „Allzuständigkeitsfalle“. Verfehlte Entwicklungspolitik und Korruption können nicht für alle Entwicklungsprobleme verantwortlich gemacht werden.

Keineswegs verschwindet jeder Euro in den Taschen korrupter Kleptokraten. Stattdessen ist Korruptionsbekämpfung auch eine entwicklungspolitische Aufgabe. Europäische Steuergelder werden genutzt, um Rechnungshöfe aufzubauen oder Nichtregierungsorganisationen in Anti-Korruptionskampagnen zu unterstützen. Die Ergebnisse sind gemischt, zugegeben. Nichts spricht jedoch dafür, korrupte Machenschaften sich selbst zu überlassen.

Gleichzeitig dürfen die Möglichkeiten von Entwicklungspolitik nicht überschätzt werden. Deshalb muss auch die Forderung nach mehr Geld mit einer klaren Strategie verbunden sein, wo und wie dieses Geld einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation von 1,1 Mrd. Afrikanern leisten kann.

Unterschiede erkennen
Die Gründe, warum Menschen aus Syrien, Eritrea, Somalia, Nigeria, Mali oder Senegal nach Europa fliehen, sind sehr unterschiedlich. Dementsprechend müssen auch die politischen Maßnahmen gegen Fluchtursachen an die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten einzelner Gesellschaften anknüpfen. In einigen Fällen kann und sollte Entwicklungspolitik eine noch wichtigere Rolle spielen. In anderen nicht.

In Syrien und dem Irak herrscht Bürgerkrieg. Eritrea ist eine der repressivsten Diktaturen weltweit. In Somalia gibt es quasi keine staatlichen Strukturen. Nigeria bleibt zwar die größte afrikanische Wirtschaftsmacht, doch ist die Regierung im Norden durch Boko Haram massiv unter Druck geraten. Senegal ist inzwischen ein Land mit mittlerem Einkommen, das politisch vergleichsweise offen ist. Entgegen des von Theo Sommer gezeichneten Chaosszenarios existieren im Süden von Mali, wo 94 % der Malier wohnen, staatliche Strukturen.

In Ländern wie Senegal oder Mali wird eine Grundvoraussetzung für entwicklungspolitischen Erfolg erfüllt: Die Bereitschaft politischer Eliten, sich mit Fragen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung auseinanderzusetzen. Die Beratung von Ministerien zur Verbesserung von Basisdienstleistungen wie den Ausbau und die Vernetzung lokaler Märkte können einen Unterschied für die wirtschaftliche Zukunft dieser Länder machen.

Schwieriger ist es in Fällen wie Eritrea oder Somalia. Eritrea ist seit Jahren international isoliert und erhält derzeit kaum Entwicklungsgelder. Hier bietet sich vor allem die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft an, auch wenn dies nur einen winzigen Beitrag zu einem Öffnungsprozess leisten kann. In Somalia und Somaliland sind die Möglichkeiten von Entwicklungspolitik zweifellos äußerst begrenzt. Die Länder sich selbst zu überlassen oder allein auf die Bekämpfung der Piraten zu fokussieren, ist allerdings keine Alternative.

Keine Angst vor politischer Strukturreform!
Fluchtursachen können nur durch strukturelle Staatsreformen in afrikanischen Ländern nachhaltig eingehegt werden. Ohne funktionierenden Staat und gutes Regieren werden beispielsweise keine Arbeitsplätze geschaffen oder Investitionen angelockt. Auch die von Bundesminister Müller geforderte Einbindung der Wirtschaft darf daher nicht fehlen. Doch die Forderungen nach kurzfristig angelegten Infrastrukturmaßnahmen oder Investitionen in Ausbildung reichen nicht aus. Es bedarf eines Staates, der Bildungssysteme entwickelt und Straßen in Stand hält. Daher kann und sollte Entwicklungspolitik auch Strukturreformen fördern.

Schließlich kann Entwicklungspolitik Fluchtursachen nicht im Alleingang begegnen. Gerade in der Flüchtlingspolitik müssen Entwicklungs-, Außen- und Innenpolitik sehr eng zusammenarbeiten und sich darüber hinaus als ‚Sicherheitspolitik für die Menschen‘ qualifizieren. Nur dann kann auch ein stärkeres entwicklungspolitisches Engagement einen nachhaltigen Beitrag zur Flüchtlingspolitik leisten.

Über die Autor*innen

Hackenesch, Christine

Politikwissenschaft

Hackenesch

Leininger, Julia

Politikwissenschaftlerin

Leininger

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