Entzweit im Norden und im Süden : ein Sahelkrieg droht

Entzweit im Norden und im Süden : ein Sahelkrieg droht

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Leininger, Julia
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 16.07.2012)

Bonn, 16.07.2012. Im Sahel breitet sich ein Krieg aus. Innerhalb von drei Monaten hat er im Norden Malis die Städte eines Gebiets erfasst, das größer als Frankreich ist. 365 000 Menschen befinden sich auf der Flucht innerhalb des Landes und in die Nachbarstaaten Burkina Faso, Mauretanien und Niger. Doch der Krieg ist nicht die einzige Katastrophe im Norden Malis. Die Menschen fliehen nicht nur vor der Gewalt, die sie an den Tuareg-Krieg zwischen 1990 und 1992 erinnert. Sie flüchten auch, um der Dürreperiode und dem Hunger zu entkommen. Über Fakten und Entwicklungen dringt wenig an die Weltöffentlichkeit. Journalisten, Ausländer und die meisten westlichen Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen. Die Lage ist zu gefährlich. Telefonisch kommen Informationen allenfalls aus den Grenzstädten Gao, Kidal und Timbuktu. Unbesiedelte Wüstengegenden sind von modernen Kommunikationsmitteln abgeschnitten.

Und dennoch zeichnen Berichte über die Region ein klares Bild von Gut und Böse. Aufnahmen von Grabschändungen in Timbuktu zeigen wie islamistische Kämpfer und Tuareg ein jahrhundertealtes Weltkulturerbe zerstören. Den Bewohnern Timbuktus scheint nichts zu bleiben, als dem grausamen Schauspiel der bewaffneten und verschleierten Männer hilflos zuzusehen. In Gao, einer Grenzstadt an der malisch-nigrischen Grenze, soll die „Bewegung für die Einzigartigkeit und den Dschihad in Westafrika“ (MUJAO) die gesamte Bevölkerung als Geisel genommen haben. Ein Gürtel mit Landminen soll wohl dafür sorgen, dass niemand die Flucht ergreift.

Es scheint ein klarer Fall zu sein. Extreme Islamisten und Tuareg gegen den malischen Staat. Doch ganz so einfach ist es nicht. Hinter islamistischen Drohgebärden der al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), der MUJAO und der Ansar Eddine verbirgt sich eine Gemengelage harter wirtschaftlicher Interessen, Streitigkeiten zwischen alteingesessenen Clans und Kämpfe für einen unabhängigen Tuareg-Staat „Azawad“. Die Autonomie vom malischen Staat wird von der Tuareg-Gruppe „Bewegung für die Befreiung des Azawad“ (MNLA) gefordert. Sie hatte sich erst mit der Ansar Eddine verbündet, um ihre Kräfte zu stärken. Entzweit haben sich die Gruppen jedoch an der Religionsfrage. Während die MNLA für eine säkularen Staat eintritt, verfolgen die anderen drei Gruppen offiziell die Etablierung eines islamischen Gottesstaates im westlichen Afrika. Doch die Trennlinien zwischen Tuareg und Islamisten scheinen offensichtlicher als sie es tatsächlich sind. Die Ansar Eddine steht unter der Leitung des angesehenen Tuareg Iyad Ag Ghali. Er hatte sich die Führung der MNLA versprochen. Als dies scheiterte, gründete er die Ansar Eddine, blieb seinem Tuareg-Clan aber weiterhin verbunden. Angeblich erhält er zudem Rückendeckung von der AQIM, die aus einer algerischen Salafistenbewegung entstand. Sie soll vor allem aus Algeriern und Mauretaniern zusammengesetzt sein und agiert grenzübergreifend im westlichen Sahelgebiet.

Hinter den religiös aufgeladenen Kulissen verbinden alle gewaltbereiten Gruppen – egal ob Tuareg oder AQIM, MUJAO oder Ansar Eddine - mehrere Gemeinsamkeiten. Erstens stehen sie mit internationalen Schmuggelgeschäften in Verbindung. Nur in einer regierungslosen Sahelzone kann der lukrative Drogenhandel von Lateinamerika nach Europa florieren und können andere Schmuggelwaren ihren Weg zu den Konsumenten in Afrika, Asien und Europa finden. Zweitens findet ihre Gewalt in der toleranten und konsensorientierten malischen Gesellschaft keinen Rückhalt. Auch stößt die Einführung eines wahabitisch und salafistisch geprägten Islam in der Sufi-Tradition der malischen Gläubigen auf keine Zustimmung. Drittens profitieren die gewaltbereiten Gruppen vom Zusammenbruch des Ghaddafi-Regimes. Unzählige Tuareg, die in den Reihen der libyschen Armee kämpften, kehrten teilweise schwer bewaffnet in ihre Wüstenheimat in Mali, Niger und in den Tschad zurück. Ausgebildet als Soldaten, lassen sie sich für den Kampf im Norden Malis rekrutieren. Die Kampf- und Waffenstärke der Rückkehrer ist bedrohlich, auch wenn sie eine unbekannte Dunkelziffer bleibt. Schließlich nutzen die Kämpfer im Norden Malis das Machtvakuum, das in der Hauptstadt des Landes seit März 2012 durch einen Militärputsch vorherrscht.

Hinter den Bildern von Krieg und Hunger verblasst der Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré. Doch das Fehlen einer funktionsfähigen Regierung verhindert derzeit ein effektives Vorgehen gegen Hunger, Not und Krieg im Norden des Landes. In der einstigen Musterdemokratie stehen Anhänger des alten Regimes Teilen des Militärs und jungen Maliern gegenüber, die auf einen radikalen politischen Wandel dringen. Sie berufen sich auf Forderungen, mit denen schon die alte politische Elite in den Anfängen der malischen Demokratie 1991 gegen Vertreter des autoritären Regimes angetreten war. Der Staat sollte für die Einheit der Nation sorgen und der bedrohlichen Tuareg-Rebellion (1991-1995) ein Ende setzen. Außerdem stand die alte Elite für ein Ende korrupter Politik und der Bereicherung Einzelner auf Kosten der malischen Bevölkerung. Nun wirft die zivile und militärische Opposition auch der Regierung des nach Senegal geflüchteten Touré und der verfassungsmäßigen Übergangsregierung vor, dass sie unfähig sind, Frieden im Norden und nachhaltige Entwicklung für alle Malierinnen und Malier zu bewirken. Insofern erhält der Militärputsch für viele Beobachter überraschend viel Zuspruch in der städtischen Bevölkerung. Auch ein von Burkina Faso und der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) vermitteltes Abkommen hat im verfahrenen Gerangel um die Herrschaft des Landes kaum Besserung gebracht. So hat ECOWAS die malische Übergangsregierung aufgefordert, bis spätestens 31. Juli 2012 eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und gegen den Unfrieden im Norden vorzugehen.

Internationale Unterstützung ist notwendig, um die weitere Eskalation von Gewalt im Sahelraum zu verhindern. Auf dem Kontinent diskutieren die Afrikanische Union, ECOWAS und die Anrainerstaaten Algerien und Tschad, wie solch ein Engagement aussehen könnte. Die ECOWAS hat Algerien als zentrale Verhandlungsmacht in Konflikten mit den Tuareg und der AQIM abgelöst. Jedoch birgt die neue Rolle der ECOWAS das Problem, dass Algerien und Tschad als Nicht-Mitgliedstaaten außen vor bleiben. Eine Entzweiung politischer Positionen ließ sich auch am vergangenen Wochenende auf dem Gipfel der Afrikanischen Union in Addis Abeba beobachten. Während sich die ECOWAS auf eine militärische Intervention mit 3000 Mann vorbereitet, drängt Algerien auf einen politischen Dialog mit den Kriegsparteien. Der Tschad würde sich militärisch engagieren, jedoch nicht unter der Ägide der ECOWAS. Eine nachhaltige Bewältigung des Konflikts in Nord-Mali und der regelmäßigen Dürrekatastrophen im Sahel lassen sich aber nur mit Algerien und dem Tschad bewerkstelligen. Eine Integration dieser Staaten kann nur durch eine klare Positionierung Malis, der Afrikanischen Union und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gelingen. Im Sicherheitsrat hat sich Frankreich bereits klar für ein militärisches Eingreifen positioniert, während die USA aufgrund ihres bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampfes Zurückhaltung üben. Da sich das malische Militär gegen eine Intervention ausspricht, bleibt die Übergangsregierung in Mali vorerst handlungsunfähig.

Weder die Afrikanische Union und ECOWAS noch die Vereinten Nationen werden vor dem 31. Juli aktiv werden. Bis dahin erwarten sie die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in Mali und die Berichte einer ECOWAS-Mission und des VN-Generalsekretärs über die Lage in Mali. Es bleibt zu hoffen, dass so ein genaueres Bild von den Fakten und Entwicklungen, vom Krieg und von der Not im Norden Malis entsteht. Nur auf solch einer fundierten Grundlage können die Vorzüge und Risiken einer militärischen Intervention abgeschätzt werden.

Über die Autorin

Leininger, Julia

Politikwissenschaftlerin

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