G-7: Klimapolitische Trendwende oder Worthülsen?

G-7: Klimapolitische Trendwende oder Worthülsen?

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Lütkenhorst, Wilfried / Anna Pegels
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 15.06.2015)

Bonn, 15.06.2015. Der österreichische Dichter Johann Nestroy befand, der Fortschritt sei ein Scheinriese und habe es so an sich, „dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist“. Das entspricht in der Regel noch heute unserer Erfahrung. Große Visionen und Erwartungen, oft gefolgt von kleinen Resultaten. Frei nach Horaz, der Berg kreißt und gebiert eine Maus. Vielleicht war es beim G-7-Gipfel in den bayerischen Bergen aber ganz anders. Es könnte nämlich gut sein, dass die klimapolitischen Teile der Abschlusserklärung im Rückblick eher an Bedeutung gewinnen werden. Haben wir es mit einer Trendwende zu tun?

Alter Wein in neuen Schläuchen…
Natürlich sind viele Absichtserklärungen des Schlussdokuments ‘alte Bekannte’. Das globale Ziel eines auf 2 °C begrenzten weltweiten Temperaturanstiegs wird zwar in unverbindlicher Form bestätigt, geht aber schon auf die Kopenhagener Klimakonferenz 2009 zurück. Auch die Finanzierungszusagen für Klimamaßnahmen in Entwicklungsländern (100 Mrd. USD jährlich ab 2020) wurden bereits in Kopenhagen akkordiert. Sie beziehen sich zudem etwas nebulös auf eine „Vielzahl sowohl öffentlicher als auch privater Quellen”, sind also im Zweifelsfall nicht in vollem Umfang steuerbar.

…mit einem bemerkenswerten Unterschied
Der vielleicht entscheidende Passus der Abschlusserklärung erscheint en passant und enthält die Forderung nach einer „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“. Das mag man zwar leicht als hehres und sehr langfristiges Ziel abtun. Es ist aber in seiner Signalwirkung keinesfalls zu unterschätzen. Das Ende der fossilen Wirtschaftsweise ist damit eingeläutet und wird sich auf der globalen Agenda festsetzen. Die Katze ist aus dem Sack.

Dekarbonisierung: Steigender Druck
Das globale CO2-Budget (gemessen am 2 °C-Ziel) ist weitgehend aufgebraucht. Die bekannten Reserven fossiler Energieträger (davon zwei Drittel in Form von Kohle) übersteigen deren bis 2050 tolerierbare Nutzung um das Fünffache. Damit ist jede Klimapolitik, die nicht auf radikale Dekarbonisierung setzt, reine Makulatur. Das bedeutet freilich eine schon heute spürbare Entwertung von Vermögenswerten, die der überkommenen CO2-Ökonomie geschuldet sind. Was im Energiesektor bereits manifest ist – die allmähliche Abdankung der Öl- und Kohlebarone – wird andere Sektoren bald ebenfalls erreichen. Die traditionellen Automobilhersteller sind ‘next in line’.

Einige wichtige Trends kommen hier zusammen: Da ist zum einen der zunehmende Druck der Finanzmärkte. Aktienkurse fossiler Energiekonzerne brechen bereits in einigen Märkten ein; institutionelle Anleger, wie z. B. der staatliche norwegische Ölfonds, schichten ihre Portfolios um und ziehen sich bereits heute aus Kohleinvestitionen zurück. Hinzu kommt die steigende Konkurrenzfähigkeit erneuerbarer Energien. Pläne eines auf EU-Ebene integrierten Netzausbaus könnten hier eine weitere Schubwirkung entfalten. Gleichzeitig fließen mehr öffentliche Mittel in die Förderung innovativer, umweltverträglicher Technologien. Schon werden Forderungen laut nach einem internationalen ‚Apollo-Programm‘ mit dem Ziel, Kohle durch saubere Energien zu ersetzen.

Optimismus mit Schönheitsfehlern
Im Kontext solcher finanziellen und technologischen Faktoren, die zunehmend in Richtung einer grünen Transformation wirken, kann die Bedeutung des G-7-Bekenntnisses zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft kaum überschätzt werden. Das gibt Anlass zu verhaltenem Optimismus. Die Schlinge um die Zukunft fossiler Unternehmen und Profite wird enger. Die politische Botschaft ist eindeutig: Kohle und Öl waren gestern. Einerseits.

Andererseits sind zwei Schönheitsfehler nicht zu übersehen. Erstens sind Absichtserklärungen für den Rest des Jahrhunderts wohlfeil. Was davon in der politischen Realität ankommt, wird sich zeigen müssen. Zudem lässt sich der Anachronismus der G7 im Klimakontext leicht quantifizieren: Alle Mitglieder dieses illustren Klubs waren 2013 für einen CO2-Ausstoß von 8.900 Megatonnen verantwortlich. Das ist viel, zu viel, keine Frage. Es ist aber gleichzeitig weniger als in China alleine und entspricht nur etwa einem Viertel der weltweiten CO2-Emissionen. So gesehen müssen die klimapolitischen G-7-Beschlüsse stark relativiert werden. Sie sind nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ein Aufgalopp für die internationale Klimakonferenz COP 21 in Paris.

Verantwortliches globales Handeln ist unabdingbar. Nicht nur Experten wissen, dass das 2 °C-Limit kaum einzuhalten ist. Prognosen der Internationalen Energieagentur sehen den unvermeidbaren Temperaturanstieg bei knapp 4 °C – wesentlich bestimmt durch fossile Energie-, Transport- und Gebäudekapazitäten, die in ihren Auswirkungen nur ebenso langsam zu bremsen sind wie der sprichwörtliche Tanker auf See (‘carbon lock-in’). Sich mit einer Erwärmung von 4 °C bis zum Ende dieses Jahrhunderts einfach abzufinden, hätte jedoch buchstäblich katastrophale Folgen. Die G-7-Signale kommen genau zur rechten Zeit. Es bleibt zu hoffen, dass den Visionen Taten folgen.

Über die Autorin

Pegels, Anna

Ökonomin

Pegels

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