Ausblick auf das Jahr 2022

Gesundheit, Klima und geopolitisches Miteinander

Gesundheit, Klima und geopolitisches Miteinander

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Hornidge, Anna-Katharina
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 17.01.2022

„Erst am Ende eines Jahres weiß man, wie sein Anfang war.“ Wie lässt uns dieses zum Jahreswechsel gern rezipierte Zitat von Friedrich Nietzsche in das Jahr 2022 blicken?

Bereits der Jahresbeginn ist gemischt: eine neue Bundesregierung lädt zum Aufbruch ein. Die deutsche G7-Präsidentschaft 2022 und die NATO-Russland-Gespräche weisen auf die Bereitschaft zum transregionalen Dialog hin. Gleichzeitig erinnern Angriffe auf Demokratie und Meinungsfreiheit in Hong Kong, Russland, Kasachstan, an gravierende Werte- und Systemdifferenzen. Differenzen, die Dialogbereitschaft und gemeinsames Handeln in Frage stellen.

Ein Blick in die Jahresauftaktkolumne des DIE 2021 lädt zur weiteren Reflexion ein. Die Rede war vom ‚Superjahr 2021‘, in dem Großveranstaltungen der internationalen Umwelt- und Klimapolitik mit der Bewältigung von Covid-19 zusammenfielen. In den Klimaverhandlungen in Glasgow stand das ‚wie‘, nicht das ‚ob‘ des klimaneutralen Umbaus im Fokus. Die getätigten Zusagen reichen aber nicht aus. In der Biodiversitätspolitik gab es kaum Fortschritte, und Covid-19 wütet weiterhin. In Retrospektive stellen wir fest: der Jahresanfang 2021 war erwartungsvoll, ambitioniert, optimistisch. Aber ein ‚Superjahr‘ war 2021 nicht.

Das Jahr 2022 steht unter dem Stern drei globaler Aufgaben: (a) die Bewältigung der Covid-19-Pandemie, (b) der klimastabilisierende Umbau unserer Wirtschafts- und Sozialsysteme, (c) die Aushandlung einer multipolaren und regelbasierten Weltordnung. 

Der Zugang zu Covid-19-Impfstoffen und Finanzhilfen für den ökonomischen Wiederaufbau klafft weiter je nach Region, Wirtschaftskraft und sozialer Gruppe auseinander. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in Europa oder Nordamerika Zugang zu mindestens einer Impfung hatte, liegt heute bei 70-75%, in Afrika bei 14%. Weitere Virusvarianten entstehen und die globale Kooperation bleibt unzureichend. Im Umgang mit Omikron helfen zwar Lernerfolge – Risikoeindämmung durch Impfungen, Masken, Distanzregeln. Gleichzeitig werden die Lerndefizite deutlich: Vorschnelle Grenzschließungen mit gravierenden Folgen für die Ökonomien Subsahara-Afrikas, obwohl Omikron bereits in Europa nachgewiesen war. Eine ‚wir-versus-ihr‘-Logik überwiegt einem gemeinsamen Krisenmanagement.

Gleiches gilt für den klimastabilisierenden Umbau unserer Energie- und Produktionssysteme: Er ist nur im globalen Schulterschluss möglich. Die Ambitionssteigerungen von Glasgow, nationale Langfriststrategien und Selbstverpflichtungen aus der Wirtschaft begrenzen jedoch die Erderwärmung nur auf 2,4°C. Eine weitere Reduktion globaler Treibhausgasemissionen um ca. 45% bis 2030 ist notwendig für den 1,5°C-Pfad. Das geht nur durch den rasanten Umbau der Energie- und Produktionssysteme weltweit. Der internationale Dialog hingegen wird durch die nicht weiterverhandelte Thematik klimabedingter Schäden und Verluste (‚Loss & Damage‘) zusätzlich erschwert.  

So zieht sich durch globales Covid-19-Krisenmanagement und Klimapolitik die dritte zentrale Herausforderung: trotz Werte- und Systemdifferenzen im geopolitischen Miteinander eine multipolare und regelbasierte Weltordnung sicherzustellen. Der Abzug aus Afghanistan, Krim, Nord Stream 2 und Menschenrechtsverletzungen in China stehen beispielhaft für die Aushandlung, wer entlang welcher Wertvorstellungen über Zukunft entscheidet, sie aktiv gestaltet und für künftige Generationen offenhält. Es geht darum, trotz Differenzen, im Dialog, gemeinsame Handlungsfähigkeit und Schlagkraft im Umgang mit Pandemie und Klimakrise sicherzustellen. Hierfür bedarf es Einigkeit bezüglich der gemeinsamen Ziele, Respekt voreinander und starker regionaler und multilateraler Institutionen.

Was erwarten wir, am Jahresende 2022 über das nun beginnende Jahr sagen zu können?

Wir werden erleichtert feststellen, dass der Beschluss der G7-Länder, im Rahmen der deutschen Präsidentschaft den Fokus auf Pandemiebewältigung, Klimakrise und transregionalen Dialog zu legen, ein global ausgeglichenes ‚recover forward‘ ermöglicht und beschleunigt hat. Covid-19-Finanzzusagen werden zunehmend für den klimastabilisierenden und sozialgerechten Umbau der Wirtschaft eingesetzt. Die globale Impfrate liegt bei 90%. Entwicklung und Verbreitung neuer Virusvarianten sind eingedämmt.

Die 27. UN-Klimaverhandlungen im November in Sharm El-Sheikh konnten im Rahmen von G7, G20 und G77+China so vorbereitet werden, dass Beschlüsse auch bzgl. Loss & Damage getroffen wurden und die Implementierung eingeleitet werden konnte.

Im geopolitischen Austausch konnten mittels der G7-Präsidentschaft Deutschlands 2022 und dem Brückenbau zur G20 unter indonesischer Präsidentschaft regionale und multilaterale Institutionen für den wirksamen Umgang mit Pandemie und Klimakrise gestärkt werden. Der AU-EU-Gipfel im Februar hat die gemeinsame Formulierung von Transformationsfeldern für den partnerschaftlichen Austausch ermöglicht und der vernetzte Ansatz der Team Europe-Initiativen auf Ebene der EU erhöht die Wirksamkeit europäischen Außenhandelns.

Das Jahr 2022 hat zur Aufgabe, die Bewältigung der Pandemie, den sozial-gerechten, klimastabilisierenden Umbau unserer Wirtschafts- und Sozialsysteme und die Aushandlung einer multipolaren und regelbasierten Weltordnung signifikant voranzubringen. Dem gebührt unsere ganze Erwartungshaltung, unser Tatendrang. Es ist ein weiteres ‚Superjahr‘.

Über die Autorin

Hornidge, Anna-Katharina

Entwicklungs- und Wissenssoziologie

Hornidge

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