Gibt es ein multilaterales Geberdilemma?

Gibt es ein multilaterales Geberdilemma?

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Reisen, Helmut
Die aktuelle Kolumne (2014)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 06.10.2014)

Bonn, Berlin, 06.10.2014. Nach anderthalb Jahrzehnten der Konvergenz und Armutsreduktion in Entwicklungs- und Schwellenländern häufen sich Proklamationen, dass bald die extreme Armut weltweit besiegt sein werde. Die Optimisten definieren das ‚Ende der Armut‘ präzise. Im Jahr 2030 sollen nicht mehr als drei Prozent der Weltbevölkerung mit einem täglichen Tageseinkommen von 1,25 USD oder weniger auskommen müssen. Gleichzeitig wird prognostiziert, dass immer weniger Staaten berechtigt sein werden, Zuschüsse oder weiche Kredite der Weltbank und anderer multilateraler Finanzierungsinstitutionen zu erhalten. Sie verlieren ihre IDA-Berechtigung, sobald das jährliche Prokopfeinkommen eines Landes 1.195 USD übersteigt. Ergibt sich daraus ein Geberdilemma?

Es heißt oft, dass Länder mittleren Einkommens kaum Entwicklungshilfe bräuchten; andererseits seien Länder, die im Niedrigeinkommensbereich verblieben, in der Regel so fragil und unregierbar, dass Hilfe keinen Sinn mache. Sollte man also die ‚konzessionären Fenster‘der multilateralen Finanzierungsinstitutionen schließen? Die Debatte zielt hier besonders auf die International Development Association (IDA) der Weltbank, den weltgrößten multilateralen Geber von Zuschüssen und subventionierten (weichen) Krediten.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat gerade das Gutachten ‚The Future of Multilateral Concessional Finance‘ zu dieser Debatte veröffentlicht. Es nutzt die letzten IWF-Projektionen zur Quantifizierung von Graduierungs- und Armutsszenarien für das kommende Jahrzehnt. Vorgängerszenarien sind wohl zu optimistisch ausgefallen, da diese das vergangene Jahrzehnt linear fortgeschrieben haben. Das ist aber unzulässig: Die Wachstumserfolge der Entwicklungs- und Schwellenländer im letzten Jahrzehnt beruhten stark auf Chinas nicht nachhaltigen Wachstumsraten und auf der lockeren Geldpolitik der Industrieländer.

Auch im Jahr 2025, so das zentrale Szenario, werden noch rund 26 Länder (heute sind es 39) IDA-berechtigt sein. Die Anzahl extrem armer Menschen, heute gut eine Milliarde, wird dann immer noch mehr als eine halbe Milliarde betragen. Die Hälfte dieser Menschen wird neben der DR Kongo in Indien und Nigeria leben, Länder, welche aufgrund ihres Sozialproduktniveaus, wohl nicht mehr für multilaterale Hilfe berechtigt sein werden. Damit stellt sich der Gebergemeinschaft die Frage, ob sie ihre Gelder am Großteil der Armen vorbeileiten will, weil diese nicht (mehr) in Niedrigeinkommensländern leben.

Die erfolgreiche Performance rückt die Fähigkeit der Entwicklungsländer in den Blickpunkt, ihre Verteilungs- und Armutsprobleme durch progressive Steuersysteme selbst zu lösen. Das BMZ-Gutachten legt allerdings Berechnungen vor, die hier vor zu großen Illusionen warnen. Die meisten Länder bräuchten prohibitiv hohe Steuersätze und einen politisch schwierigen Finanzausgleich, um ihr Armuts- und Verteilungsproblem zu lösen.

In unserem Zeitalter des Anthropozän drohen vermehrte und intensivere Naturkatastrophen die Bekämpfung der extremen Armut zu untergraben. Die Berücksichtigung des Klimawandels in der Vergabe von Zuschüssen und weichen Krediten ruft nach neuen Allokationskriterien. Große Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren globalen Armutsentwicklung sprechen bei der institutionellen Reform der Entwicklungsbanken für einen graduellen, vorsichtigen und risikoorientierten Ansatz. Die Optionen sind:

  • Die Erneuerung der IDA-Bedürftigkeitskriterien: Um zu vermeiden, dass der überwiegende Teil der Ärmsten nicht mehr in den Genuss von multilateralen Zuschüssen und weichen Krediten kommt, kann die heutige Schwelle der IDA-Berechtigung von BIP/Kopf in Höhe von 1.195 USD verändert werden.

  • Das Abfedern der Übergangsperioden: Die BMZ-Studie greift eine frühere Schwelle der IDA-Berechtigung auf (ca. 2.000 USD), welche einen Übergang von der heutigen IDA-Schwelle für das jährliche Prokopfeinkommen (1.195 USD) definieren kann. Diese Übergangsfinanzierung würde noch abgeschwächte Subventionselemente enthalten aber stärker mit Auflagen verknüpft sein, die auf die eigenen Verteilungspolitiken und Umweltverträglichkeit der geförderten Projekte abzielt
  • Die verstärkte subnationale Kredit- und Zuschussallokation: Die rural-urbanen Armutsdifferenzen in vielen Flächenstaaten und die geografisch konzentrierten Natur- und Verarmungsrisiken können durch stärkere Direktvergabe an untergeordnete Gebietskörperschaften und Nichtregierungsorganisationen effizienter angegangen werden.
  • Die Öffnung der konzessionären Fenster für globale Kollektivgüter: Die Kosten des Klimawandels und die Existenz räumlich konzentrierter Hotspots extremer Armut und Katastrophenanfälligkeit legen nahe, beide Übel gleichzeitig durch die multilateralen Entwicklungsbanken finanzieren zu lassen.

Die Arbeitsteilung zwischen den IFIs ist neu zu regeln, um die Überlappung im zunehmend afrikanischen Schuldnerportfolio zu verhindern. Die wachsende Heterogenität der wirtschaftlichen Entwicklung und der Armutsschwerpunkte verlangt nach stärkerer Subsidiarität und regionaler Differenzierung. Die Allokation konzessionärer Mittel wird in Zukunft weniger Performance und stärker Anfälligkeitsprofile betonen müssen.

Helmut Reisen, ShiftingWealth Consult und Assoziierter Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

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