Internationale Institutionen reformieren: Vom Wunschdenken zur Realität

Internationale Institutionen reformieren: Vom Wunschdenken zur Realität

Download PDF 34 KB

Hulsman, John C.
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 20.04.2009)

Bonn, 20.04.2009. Ich war überrascht, als ich jüngst im Deutschen Institut für Entwicklungs­politik (DIE) in Bonn an einer kleinen Konferenz zu „Global Governance at a Crossroads“ teilnahm, deren Inhalt sich am besten mit dem Satz „wie man die Welt dazu bringt, effektiver mit politischen Problemen umzugehen, die uns alle angehen“ umschreibt. Ich werde diese Konferenz als Rarität unter den wenigen, die es lohnt, dabei gewesen zu sein, in Erinnerung behalten.

Die weitaus größte Mehrheit der 30 Anwesenden aus Ägypten, Brasilien, China, Indien, Indo­nesien, Mexiko, Südafrika, USA und Deutschland bewegten sich weit jenseits eines Wunsch­denkens. Sehr rasch begannen wir vorrangig über das, „was geht“ zu sprechen, als über „das, was wir in einer perfekten Welt tun sollten.“ Was immer der oder die einzelne dachte, so wurde diese Diskussion angesichts der internationalen Institutionen, die als vitale Instrumente für die Umsetzung von Global Governance genutzt werden sollten, sich aber in einer schlechten Ver­fassung befinden, ausnahmsweise zur absolut richtigen Zeit geführt.

Vier vorrangige Schlussfolgerungen brachte diese Zusammenkunft hervor.

    1. Nationalstaaten werden weiterhin das Fundament der internationalen Ordnung da­rstellen, und mit ihnen muss als primärer politisch-gestaltender Block internationalen Organisationen gerechnet werden.

Wir sind mitnichten auf dem Weg in ein goldenes Zeitalter, in dem sich Staaten selbst auflösen oder etwa ihre Vorrechte abgeben würden. Dies umso mehr, als die aufstrebenden Mächte, wie Brasilien, Russland, Indien und China, viel mehr als ältere Großmächte, wie etwa die Vereinigten Staaten, keineswegs darauf Wert legen, mit der EU und ihrem Ideal der Abgabe eines großen Teils der Souveränität übereinstimmen zu wollen. Tatsache ist, dass der Nationalstaat als primäre politische Einheit des internationalen Systems quicklebendig ist. Wer dies nicht glaubt, frage doch die Chinesen, Russen oder Inder, ob sie wesentliche Teile ihrer Macht and die Vereinten Nationen oder eine regionale Organisation abgeben würden.

    2. Wenn es stimmt, dass Staaten, die sich im Kontext internationaler Institutionen zu internationalen Lösungen verpflichten, ein wenig in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt würden, dann müssen sie davon überzeugt werden, dass dies in ihrem Interesse geschieht.

Wenn es internationale Aktivisten nicht schaffen, politische Entscheidungsträger zu überzeugen, dass eine bestimmte globale Initiative für das jeweilige Land sinnvoll ist, dann hat es diese Aktion auch verdient zu scheitern. Aber es kann etwas getan werden. Einer meiner mexika­nischen Kollegen hat sich während dieser Konferenz für einen amerikanischen Anschub im Sinne eines Nach-Kyoto-Protokolls eingesetzt, indem er ganz neutral sagte: „Amerika könnte jetzt etwa 1% seines Bruttosozialprodukts oder später auch das Zehnfache zahlen, jeweils direkt im Anschluss an eine Umweltkatastrophe.“ Das ist mal ein Argument, weit entfernt von den üblichen Larifari-Forderungen unsichtbarer internationaler Bürokraten, mit dem die Vereinigten Staaten ihre Interessen mal zurückstellen und ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden könnten. Das hätte in den Washingtoner Machthallen ein beachtliches Echo zur Folge.

    3. Wenn internationale Organisationen auch in Zukunft arbeitsfähig bleiben wollen, müssen sie Machtrealitäten zur Kenntnis nehmen und sich diese nicht wegwünschen.

Warum funktioniert der UN Sicherheitsrat nicht richtig? Weil er ganz einfach die Machtverhält­nisse von 1945 widerspiegelt – und nicht die von heute. Warum haben Großbritannien, Frankreich und Russland drei Sitze im Sicherheitsrat, während die weltweit zweit- und viertgrößten Ökonomien, nämlich Japan und Deutschland, über keine permanente Vertretung verfügen? Ganz einfach: Sie haben den II. Weltkrieg verloren – was allerdings nach mehr als 60 Jahren überhaupt keinen Sinn mehr ergibt. Zudem sind die Vereinten Nationen nicht die einzigen Schuldigen. Die Stimmengewichte im Internationalen Währungsfond (IWF) liegen auf Seiten der Beneluxstaaten anstatt auf dem ökonomisch vitalen China. Dieser Wahnsinn kann so nicht weitergehen. Ein indischer Kollege und ich stimmten auf dieser Konferenz ziemlich rasch darin überein, dass die internationalen Institutionen weit mehr als nur warme Worte an die aufstei­genden Mächte zu richten hätten, wenn Global Governance eine Zukunft haben soll. Auch Instrumente, wie die G20, in denen die aufsteigenden Mächte gleichberechtigte Mitglieder sind, müssen gezwungen werden, eine gewichtigere Rolle einzunehmen. Wir benötigen dringend Institutionen, die die richtigen Leute zu sich holen; nämlich solche, die über die erforderlichen Mittel und Wege verfügen, um die ärgsten Probleme unserer Epoche in Angriff zu nehmen.

    4- Die andere Seite der Machtteilung allerdings erfordert von den aufstrebenden Mächten auch größere Bereitschaft zur Lastenteilung.

Um also umgekehrt Chinas wachsendes Gewicht und seine Bedeutung in der gegenwärtigen Ordnung abzubilden, muss es im Verlauf der Zeit ein gutes Stück mehr tun, um ein wirklicher Akteur und Garant dieser Ordnung zu werden. Beispielsweise sollte ein großer Teil der benö­tigten neuen Kapitalaufstockung für den IWF aus Beijing kommen. Insgesamt sollte die Verbindung zwischen wachsender Machtteilung und steigender Lastenteilung eindeutig verankert werden. Für Europa und die USA, die sich mit verschiedenen Formen des Niedergangs zu befassen haben, sind die Verpflichtungen dieser neuen Mächte gegenüber internationalen Institutionen sowohl politisch als auch praktisch notwendig, wenn sie nach wie vor das Heft in der Hand behalten wollen, um die kompliziertesten Probleme dieser Welt zu lösen.
Gelinde gesagt, solcherart Festlegungen sind keineswegs die Regel. Vielleicht wird der alte, falsche Moralismus, der die Debatte über diese Fragen so lange vergiftet hat, durch eine andere Form des Moralismus ersetzt werden, die erstmals von dem anglo-irischen Philosophen und Parlamentarier Edmund Burke (1729-1797) angeboten wurde: Um die Welt zu verbessern, müssen wir erst einmal sehen, wie sie ist, mit allem, auch die Warzen.

Dr. John C. Hulsman ist Präsident und Mitbegründer der John C. Hulsman Enterprises (www.john-hulsman.com), einer Beratungsfirma, die Geschäftswelt und Regierungen Expertise im Bereich der Analyse internationaler Beziehungen und amerikanischer Politik. Kürzlich ist sein viertes Buch erschienen: The Godfather Doctrine: A Foreign Policy Parable, mit Ko-Autor A. Wess Mitchell (Princeton University Press, 2009).

Weitere Expert*innen zu diesem Thema