Geldsendungen von Migranten

Ist Migration die bessere Entwicklungshilfe?

Ist Migration die bessere Entwicklungshilfe?

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Schraven, Benjamin
Die aktuelle Kolumne (2018)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 11.06.2018)

Bonn, 11.06.2018. Der öffentliche Diskurs über Migration wird derzeit in Europa vor allem von Fragen zu Abschottung und Rückführung bestimmt: So diskutiert man in Deutschland heftig über Horst Seehofers Ankerzentren für Asylbewerber, der neue italienische Innenminister Matteo Salvini möchte illegale Migranten so schnell wie möglich aus Italien abschieben und selbst im beschaulichen Slowenien gewinnt eine einwanderungsfeindliche Partei die Parlamentswahlen. Dabei gibt es durchaus auch die Stimmen, die differenziertere Positionen bei den Themen Flucht und Migration einbringen. Dazu zählen auch einige Ökonomen, die vor allem das gigantische Entwicklungspotential von Geldsendungen von Migranten an ihre Familien in Entwicklungs- und Schwellenländern betonen. Sie sehen diese Rücküberweisungen als die effektivste Entwicklungsintervention. Müsste dieses Potential in Zeiten, in denen zunehmend kontrovers über den Nutzen von Entwicklungszusammenarbeit zur Bekämpfung von Fluchtursachen diskutiert wird, nicht besser genutzt werden? Anders gefragt: Sind Rücküberweisungen die bessere Entwicklungshilfe?

Führt man sich die Zahlen vor Augen, könnte man dies meinen: Nach Angaben der Weltbank haben Migranten im Jahr 2017 etwa 466 Milliarden US-Dollar in die Länder des globalen Südens überwiesen. Das ist mehr als das Dreifache der gesamten Mittel der internationalen Entwicklungshilfe, welche in diese Länder geflossen ist. Dabei ist das tatsächliche Volumen der Rücküberweisungen wohl noch um einiges größer – wenngleich auch unbekannt, denn viele Migranten senden das Geld an ihre Verwandten nicht über Banken oder Geldtransferunternehmen wie Western Union, sondern transferieren es direkt „von Hand zu Hand“ oder über Mittelsmänner.

Es geht auch nicht nur um reine Zahlenspiele. Wichtig ist ebenso die Frage, wofür das Geld von den Empfängern schlussendlich ausgegeben wird. Das alte Klischee, es handle sich hauptsächlich um „demonstrativen Konsum“ – also vor allem auf das Beeindrucken von Mitmenschen angelegten Erwerb von teuren Uhren, Mobiltelefonen oder ähnlichem – ist so nicht haltbar. Rücküberweisungen werden durchaus für Gesundheitsausgaben und Bildung ausgeben. Zudem werden sie auch häufig reinvestiert. Dadurch entfalten sie auch positive wirtschaftliche Effekte über den eigentlichen Empfängerkreis hinaus. Nicht umsonst hat auch die Entwicklungszusammenarbeit wie auch Teile der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Migration die Geldsendungen von Migranten für sich entdeckt. Die Vereinten Nationen haben den 16. Juni gar zum International Day of Family Remittances ernannt.

Die Annahme, dass Rücküberweisungen Entwicklungshilfe quasi ersetzen könnten und Migranten die eigentlichen oder besseren Entwicklungshelfer seien, ist allerdings irreführend. Trotz aller positiven Effekte tun sich Ökonomen schwer damit, einen signifikanten Effekt zwischen Rücküberweisungen und nationalem Wirtschaftswachstum festzustellen. Die vermeintliche Rolle der Geldsendungen als Triebfeder wirtschaftlichen Wachstums muss also kritisch betrachtet werden. Und auch Versuche, wie es sie zum Beispiel in Mexiko gibt, Gelder von Migranten zu mobilisieren, um diese in lokale Entwicklungsprojekte in ihren Heimatkommunen zu lenken, sollten in ihrer Wirkung nicht überbewertet werden. Rücküberweisungen sind in erster Linie private Transfers, die Bereitstellung, Förderung und Erhalt öffentlicher Infrastrukturen von Gesundheit über Bildung bis hin zu Straßenverkehr nicht einfach ersetzen können. Und auch auf der Mikroebene haben Rücküberweisungen nicht nur uneingeschränkt positive Effekte. So können sie die Ungleichheit in den Herkunftsländern erhöhen, nämlich zwischen jenen Haushalten, die Geld empfangen und denen, die keines bekommen.

Eine allzu funktionalistische Betrachtungsweise von Geldsendungen blendet zudem aus, dass dieses Geld häufig unter sehr schwierigen Bedingungen verdient wird. Ausbeutung sowie harsche Lebens- und Arbeitsbedingungen gehören leider zum Alltag für viele Migranten weltweit. Vielleicht kann der derzeit verhandelte Global Compact on Migration hier wichtige Impulse setzen, um dies langfristig zu ändern. Dabei geht es um eine (nicht-verbindliche) Konvention, die im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele Regeln für eine „sichere, reguläre und geordnete“ internationalen Migration etablieren möchte. Gerade zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich hier maßgeblich für einen besseren Schutz von Migranten ein.

Fest steht, dass eine bessere Lebens- und Arbeitsumstände für Migranten nicht nur zu (noch) höheren Rücküberweisungen führen könnte. Sie würden auch andere positiven Effekte von Migration zu größerer Geltung verhelfen. Dazu gehört etwa der Transfer von Migranten erworbenem Wissen und Expertise in ihre Herkunftsländer oder auch die Rolle von Migranten als Mittler des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen Austauschs zwischen zwei Ländern. Auch dies macht das positive Entwicklungspotential von Migration aus. Bei all der Diskussion um Abschottung oder Rückführung sollten wir – neben den Rücküberweisungen – auch diese entwicklungsfördernden Beiträge von Migration nicht aus den Augen verlieren.

Über den Autor

Schraven, Benjamin

Politikwissenschaftler

Schraven

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