Kann die EU Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Ungleichheit helfen?

Kann die EU Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Ungleichheit helfen?

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Furness, Mark / Mario Negre
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 08.10.2012 )

Bonn, 08.10.2012. Schon seit Längerem werden im Zusammenhang mit Wachstum die Adjektive „nachhaltig“ und „inklusiv“ verwendet. Das Hauptaugenmerk aktueller Konzepte für inklusives und nachhaltiges Wachstum liegt auf dem Aspekt der Nachhaltigkeit – sowohl eines wirtschaftlichen Wachstums wie auch im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit einer zunehmend „grünen“ Wirtschaft. Heute meint der Begriff „inklusives Wachstum“ in der Regel eine Entwicklungsstrategie, die über die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts – das als solches auch nicht nachhaltig sein kann – hinausgeht und seine Prozesse und Ergebnisse berücksichtigt.

Einiges deutet darauf hin, dass Wachstum kaum nachhaltig oder inklusiv sein kann, solange es nicht gelingt, die Zunahme von Ungleichheit aufzuhalten und umzukehren. Das globale Einkommen ist äußerst ungleich verteilt: Die wohlhabendsten 20 % der Weltbevölkerung verfügten 2011 über 80 % des Welteinkommens, verglichen mit weniger als 2 % für die ärmsten 20 %. Studien des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und des Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) kommen zum gleichen Ergebnis: Längere Wachstumsphasen sind fast immer mit einer gerechteren Einkommensverteilung verbunden. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) stellte 2011 in seinem Weltentwicklungsbericht fest, dass eine weltweit nachhaltige Entwicklung mutigere Maßnahmen gegen innere Ungleichgewichte und Umweltrisiken verlangt. Historisch (ostasiatisches „Wunder“) wie auch empirisch (Entwicklungsforschungsgruppe der Weltbank) zeigt sich, dass zwischen Wachstum und Gleichheit ein positiver Zusammenhang besteht: Volkswirtschaften wachsen stärker und Wachstumszyklen dauern länger, wenn im gleichen Atemzug Ungleichheit abgebaut wird.

In die Entwicklungspolitik haben Ansätze Eingang gefunden, die als „armutsorientiert“ oder „inklusiv“ bezeichnet werden. Auf Politikebene heißt das, Programme umzusetzen, die ein breitenwirksames Wachstum fördern sollen, vor allem mithilfe der Privatwirtschaft. Das umgeht die Trickle-down-Theorien, die Politiken mit dem alleinigen Ziel der Wachstumsförderung stützen – zu viele haben es nicht geschafft, Armut zu reduzieren oder die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern. In Lateinamerika haben Programme wie das brasilianische Bolsa Famila zu einer spürbaren Verringerung von Einkommensungleichheit geführt. Die Asiatische Entwicklungsbank hat begonnen, Indikatoren für die Messung eines inklusiven Wachstums zu entwickeln, die mehrere Dimensionen sozioökonomischer Ungleichheit, zum Beispiel Geschlechtergerechtigkeit, erfassen. Die Internationale Arbeitsorganisation billigte vor Kurzem die Empfehlung einer Beratungsgruppe unter Leitung der ehemaligen Präsidentin Chiles, Michelle Bachalet, über soziale Basisschutzniveaus wie Gesundheitsvorsorge und elementare Einkommenssicherheit für Kinder, Berufstätige und Pensionäre.

Trotz dieses allgemeinen Konsenses gehen jedoch die Meinungen weit auseinander, welchen Umfang auf Verteilungsfragen abzielende öffentliche Politiken und private Investitionen haben sollten. Diese Uneinigkeit ist besonders relevant für die Europäische Union. Bei internen EU-Angelegenheiten setzt sich die Europäische Kommission für sozialen Zusammenhalt ein, was auch Abbau wirtschaftlicher Ungleichheit bedeutet. Außerhalb Europas dagegen, in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der EU, hat dieses Engagement nicht nennenswert Gestalt angenommen.

Die Frage, was gegen Ungleichheit getan werden kann, beeinflusst zunehmend die Debatte über die Zukunft der europäischen Entwicklungspolitik. Die Agenda für den Wandel vom Oktober 2011 betont Inklusivität und Nachhaltigkeit und unterstreicht den Stellenwert der Privatwirtschaft. Das Wort „Ungleichheit“ fällt jedoch nur ein einziges Mal und bezieht sich auf Chancenungleichheit, nicht auf Einkommensungleichheit. Diese Lücke will die Kommission nun schließen und veröffentlichte am 20. August 2012 eine Mitteilung über Sozialschutz in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union. Das Dokument enthält eine Reihe begrüßenswerter Vorschläge, wie sich in Ländern mit mittlerem Einkommen (middle income countries – MICs) und in armen Ländern sozialer Schutz erhöhen lässt, zum Beispiel indem er in den Mittelpunkt des Dialogs mit Regierungen von Entwicklungsländern gestellt wird und nationale Steuerreformen unterstützt werden. Die Veröffentlichung der Mitteilung deutet darauf hin, dass zumindest einige entwicklungspolitische Entscheidungsträger der EU das Thema Ungleichheit in den Vordergrund rücken wollen, ein Eindruck, den auch der Schwerpunkt der bevorstehenden Europäischen Entwicklungstage vermittelt.

Offenbar nimmt diese Entwicklung Fahrt auf. Trotzdem bleibt fraglich, ob es der EU gelingen wird, einige der Absichtserklärungen in konkrete Maßnahmen zu verwandeln. Dies erscheint aus mindestens drei Gründen zweifelhaft:

Erstens: Die Kommission plant ca. 20 % ihrer Entwicklungsgelder für Programme ein, die sozialen Zusammenhalt stärken. Der größte Teil des Geldes wird jedoch für Maßnahmen ausgegeben, die Wirtschaftswachstum und gute Regierungsführung fördern sollen, zum Beispiel Polizei- und Justizreformen. Diese Maßnahmen sind sinnvoll, aber nicht direkt gegen Ungleichheit gerichtet. EUROsociAL, ein Programm, das den sozialen Zusammenhalt in Lateinamerika fördern soll, ist vielversprechend, aber klein und eher eine Randerscheinung. Die EU könnte wesentlich mehr tun, um zu beweisen, dass es ihr ernst ist mit dem Kampf gegen Ungleichheit und für inklusive Entwicklung. So könnte sie mit aller Härte gegen Steueroasen vorgehen, durch die manche Eliten in Entwicklungsländern viel Geld abzweigen können – Geld, das in sozialen Schutz und einheimische Unternehmen und damit in die Schaffung menschenwürdiger, nachhaltiger Arbeitsplätze investiert werden könnte.

Zweitens: Die EU denkt ernsthaft darüber nach, die Entwicklungszusammenarbeit mit MICs auf Länderebene einzustellen. Armut bleibt indes ein drängendes Problem in vielen dieser Länder, deren nationaler Wohlstand zwar wächst, die jedoch große Probleme haben, sicherzustellen, dass die Bevölkerungsmehrheit auch davon profitiert. Maßnahmen gegen Ungleichheit könnten zentrales Thema eines Politikdialogs und technischer Zusammenarbeit mit solchen MICs werden, die Interesse daran haben. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit sozialem und regionalem Zusammenhalt hat die EU auf beiden Ebenen viel zu bieten. Dialog und Zusammenarbeit müssen jedoch auf nationaler Ebene stattfinden, nicht, wie aktuell angedacht, nur im Rahmen regionaler und thematischer Programme.

Drittens: Die EU muss ein Beispiel geben. Eliten in Entwicklungsländern werden Politikrezepte der EU gegen Ungleichheit nicht ernst nehmen, solange die Ungleichheit in Europa wächst. Derzeit kämpft Europa mit Selbstzweifeln, was seine Zukunft und seinen Platz in der Welt betrifft. Das ist ein guter Moment, sich zu fragen, worum es beim Projekt Europa eigentlich geht: Um dauerhaften Frieden und Wohlstand für die Bürger der europäischen Mitgliedstaaten. Ein Kernelement dieses Konzepts ist sozialer Zusammenhalt. Er entwickelt sich, wo die Mehrheit der Bevölkerung einen angemessenen Lebensstandard erreicht. Eines darf nicht vergessen werden: Das Sozialmodell der EU mag von Land zu Land variieren. Seine Kernmerkmale jedoch, etwa ein geringes Maß an Ungleichheit, haben es zu einer der größten Erfolgsgeschichten Europas gemacht.

Die European Think-Tanks Group diskutiert im Rahmen des hochrangig besetzten Panels Confronting Inequality während der Europäischen Entwicklungstage am 17. Oktober Europas Strategien gegen Ungleichheit in Entwicklungsländern.
Die European Think-Tanks Group besteht aus dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Overseas Development Institute (ODI), European Centre for Development Policy Management (ECDPM), und der Fundación para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior (FRIDE).

Über die Autor*innen

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