Klimapolitik als Baukasten: der Gipfel in Cancún überrascht mit Teilerfolgen und ist ein Fingerzeig für eine künftige institutionelle Architektur

Klimapolitik als Baukasten: der Gipfel in Cancún überrascht mit Teilerfolgen und ist ein Fingerzeig für eine künftige institutionelle Architektur

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Zelli, Fariborz
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 13.12.2010)

Bonn, 13.12.2010. Es hätte schlimmer kommen können auf der Baustelle globaler Klimapolitik. Der Gipfel in Cancún ist mit beachtlichen Fortschritten am Wochenende zu Ende gegangen. Zwar wurde wie schon in Kopenhagen kein bindendes Vertragswerk aus der Taufe gehoben. Aber die Unterhändler konnten gleich bei mehreren Themen Einigung erzielen und ein umfassendes Paket von Entscheidungen verabschieden.

Hierzu zählt ein neuer Anlauf für eine Verlängerung oder gar einen Nachfolger des in zwei Jahren auslaufenden Kyoto-Protokolls. Als Teil dieses Verhandlungs-Fahrplans wird jedes Industrieland eine Strategie für seine treibhausgasarme Entwicklung vorlegen. Außerdem wurden die in Kopenhagen gemachten Finanzierungsversprechen festgeschrieben. Bis 2012 erhalten die Entwicklungsländer zunächst US$ 30 Mrd. zur Unterstützung ihrer klimapolitischen Anstrengungen. Bis 2020 sollen sogar US$ 100 Mrd. jährlich mobilisiert werden. Zu diesem Zweck wollen Industrie- und Entwicklungsländer in den nächsten Monaten einen umfangreichen Klima-Fonds mit fairer Stimmenverteilung aushandeln. Die Delegierten riefen auch einen Mechanismus zur Verbreitung klimafreundlicher Technologien ins Leben sowie ein neues Rahmenprogramm zur Planung und Durchführung von Projekten zur Anpassung an den Klimawandel. Hinzu kommen wichtige konzeptionelle und methodische Kompromisse bei den Themen Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen durch Entwaldung und Aufbau von Kapazitäten in Entwicklungsländern.

Die überraschend lange Liste von Resultaten ist das Ergebnis einer neuen Sachlichkeit bei den Klima-Gesprächen. Als Lehre aus dem Scheitern des Kopenhagener Gipfels im Dezember 2009 hat sich eine realistischere Verhandlungskultur entwickelt, die das bisher übliche Prozedere auf den Kopf stellt. 1997 wurde in Kyoto noch ein sehr abstrakter Vertrag erstritten, um dann in jahrelanger Detailarbeit mühsam nachzubessern. In Cancún lief es genau umgekehrt. Konkrete Beschlüsse wurden vorgezogen, das große Ganze vertagt. Dabei kam man im Bausatz-System und mit zwei Geschwindigkeiten voran. Wo Einigungen greifbar waren, wurden sie auch getroffen. Auf Kompromisse zu strittigeren Themen wurde nicht länger gewartet. So gab es zwar auch diesmal kaum Fortschritte bei der zentralen Diskussion um ein gemeinsames verbindliches Ziel aller Industrieländer für die Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen. Doch stand diese schwerfällige und moralisch aufgeladene Debatte nicht mehr anderen Entscheidungen im Weg.

Ein solches Stückwerk wird sicher keine unbändige Euphorie entfachen. Mit Blick auf die Dringlichkeit des Problems der globalen Erwärmung ist eine Klimapolitik der kleinen Schritte immer noch zu wenig. Dennoch: gemessen an den Nachrufen, die in den letzten Monaten angestimmt wurden, erwiesen sich die UN-Klimaverhandlungen dieses Mal als erstaunlich robust und beschlussfähig. Nicht wenige Beobachter hatten zuvor die aufgeblähten und überforderten Klimagipfel zum Teil des Problems erklärt. Als gangbare Alternative priesen sie stattdessen kleinere multilaterale Arenen an, verbunden mit einem stärkeren Fokus auf nationale Klima-Strategien. Zu solchen Arenen gehören unter anderem die G-20-Gipfel, die von Washington angestoßenen Klima-Meetings großer Volkswirtschaften und die zunehmende Zahl von Technologie-Partnerschaften.

Doch wäre ein solcher Mix von multilateralen und nationalen Ansätzen, also ein institutioneller Flickenteppich außerhalb der UN-Verhandlungen, wirklich effektiver? Zweifellos sind viele externe Foren mit ihrer geringen Zahl an Mitgliedern und ihren überschaubaren Agenden handlicher als ein Klimagipfel mit zahllosen Verhandlungs-Themen und derzeit 194 Vertragsstaaten. Im kleinen Kreis der G-20 oder G-8+5-Gespräche konnten in der Tat wichtige klimapolitische Anstöße gegeben werden. So geschehen im vergangenen Jahr mit der gemeinsamen Erklärung, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 2°C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Auch bieten solche Arenen unverbrauchte Plattformen für die stärkere Einbeziehung von Bremsern, insbesondere den USA, die das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert haben.

Die möglichen Nachteile sind freilich nicht minder beträchtlich. Erstens sind bei den genannten Foren Industrie- und Schwellenländer unter sich. Die von der globalen Erwärmung besonders betroffenen ärmsten Entwicklungsländer und kleinen Inselstaaten sind nicht eingeladen. Die Interessen dieser Länder, insbesondere ihre Unterstützung bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, werden in diesen Arenen kaum berücksichtigt. Und zweitens sind unverbunden nebeneinander stehende nationale Treibhausgasziele noch kein Ersatz für einen gemeinsamen Richtwert und koordiniertes Handeln. Rechnet man sämtliche bis dato gemachten Zusicherungen für das Jahr 2020 zusammen, verfehlen die Industriestaaten die vom Weltklimarat angemahnte Marke um gewaltige 9 Gigatonnen Kohlendioxid.

Wie also sollte die künftige internationale Klima-Architektur aussehen? Und wie lassen sich die jüngsten Gipfel-Ergebnisse hierfür deuten? Das Vermächtnis von Kopenhagen war ein Ende der Utopie: die globalen Verhandlungen sind keine Wundertüte, aus der sich ein allumfassender Vertrag zur Rettung des Klimas zaubern lässt. Und sie sind schon lange nicht mehr das einzige Parkett, auf dem internationale Klimapolitik gemacht wird. Die Lehre aus Cancún sollte ein Ende des Defätismus sein: die UN-Klimagipfel sind keine Zeitverschwendung. Sie sind alternativlos – als die fairsten und wichtigsten Entscheidungsgremien zur Bekämpfung der globalen Erwärmung.

Doch der Ausbruch aus der Spirale von Gipfel-Hysterie einerseits und Gipfel-Skepsis andererseits ist noch keine Lösung. Für die nächsten Verhandlungsrunden braucht es eine Vision, die über das gegenwärtige Flickwerk und die Koexistenz verschiedener Foren deutlich hinausgeht. Kurzum: Ziel muss eine Balance und Arbeitsteilung sein. Auf der einen Seite sollten die globalen Verhandlungen auch in Zukunft den Rahmen für die internationale Klimapolitik abstecken – und damit als Bezugspunkt und Legitimationsquelle für andere Arenen und nationale Politiken dienen. Hierzu gehören alle Aspekte, für die es einer gerechten und universellen Basis von Verständnissen, Standards und Konditionen bedarf, zum Beispiel: globale Ziele für Treibhausgasemissionen, gemeinsame Richtlinien für Finanzierungsinstrumente sowie einen übergreifend Mechanismus zur Überprüfung von Regelbefolgungen.

Auf der anderen Seite können viele technische Punkte und Detailfragen rascher und kompetenter von kleineren Foren aufgegriffen werden. Neben den bereits bestehenden Partnerschaften zur Verbreitung von Technologien wären auch regionale Abkommen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels wünschenswert. Die diversen Arenen müssen freilich enger als bisher mit dem UN-Prozess abgestimmt werden. Kooperationsverträge mit dem Klima-Sekretariat wären eine Möglichkeit, die Aufgabenverteilung zu optimieren und zugleich das Bekenntnis zu gemeinsamen Prinzipien einzuholen. Schließlich könnte die Koordination verschiedener Klimapolitiken national, also an Ort und Stelle, geleistet werden, anstatt sie den globalen Verhandlungen aufzubürden.

Der Gipfel von Cancún hat wichtige Bausteine für eine solche verbesserte Arbeitsteilung zwischen den Institutionen geliefert – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nun gilt es, die Teile zusammenzufügen, damit Klimapolitik keine Dauerbaustelle bleibt.

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