Klimawandel ist nicht alles – Die Ursachen von Flucht und Migration sind vielfältig

Klimawandel ist nicht alles – Die Ursachen von Flucht und Migration sind vielfältig

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Schraven, Benjamin
Die aktuelle Kolumne (2017)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 06.06.2017)

Bonn, 06.06.2017. Das Thema „Klimamigration“ – also der Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Migration – gewinnt in Zeiten zahlreicher Flüchtlingskrisen und der (Anti-)Klimaschutzpolitik von US-Präsident Donald Trump zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Relevanz. Bereits kurz bevor Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete, befürchtete Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, dass ein solcher Schritt ein maßgeblicher Beitrag für noch größere Migrationsströme nach Europa wäre. Passend dazu diskutierte Ende Mai zum ersten Mal die Task Force on Displacement der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC über den Umgang mit dem Thema Vertreibung als Folge des Klimawandels. Welche Bedeutung aber muss dem Faktor Klimawandel im Kontext von Flucht und Migration eigentlich beigemessen werden und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?

Mit der Frage, welche Rolle der Klimawandel für Migrationsentscheidungen eigentlich spielt, beschäftigen sich die Wissenschaft und verschiedene internationale Organisationen schon länger und tun sich damit bisweilen auch durchaus schwer. Der erst vor kurzem von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit herausgegebene „Atlas der Umweltmigration“ etwa bemüht sich redlich mit unzähligen, z.T. sehr aufwendig gestalteten Illustrationen, das Phänomen Umwelt- bzw. Klimamigration in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten und zu erklären. Allerdings bleibt man nach über 160 Seiten Lektüre auch etwas ratlos zurück. Haften bleibt vor allem der Eindruck, dass dies alles sehr komplex ist.

Komplex ist dieser Zusammenhang in der Tat – ebenso wie die Migrationsentscheidungen selbst. Sie können von ökologischen aber sehr häufig auch von vielen anderen Faktoren und Motiven wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller oder demographischer Natur beeinflusst werden. Vieles deutet darauf hin, dass die immer noch weit verbreitete Annahme eines Automatismus zwischen Klimawandel und Migration – getreu einer Formel „weniger Regen oder mehr Dürren führt zu mehr Migration“ – stark angezweifelt werden muss. Ein solch genereller „Ökodeterminismus“ ist empirisch nicht haltbar. Menschen, die besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben, sind vor allem sehr arme Bevölkerungsgruppen in weiten Teilen des globalen Südens. Ihnen fehlen oft die notwendigen Ressourcen um überhaupt migrieren zu können bzw. diese werden durch die Auswirkungen des Klimawandels etwa in Form von Missernten noch zusätzlich erodiert. Nicht selten ist also eine fatale Immobilität statt Mobilität die Folge globaler Erwärmung. Menschliche Migration ist somit nicht unbedingt ein guter Gradmesser dafür, wie stark der Klimawandel und seine Folgen die Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika treffen.

Gerade auch akute Fluchtsituationen entstehen häufig aus komplexen Gemengelagen heraus. Zwar wird der Begriff des „Klimaflüchtlings“ immer noch gern und häufig benutzt, aber tatsächlich bilden bewaffnete Konflikte weltweit den Hauptfluchtgrund. Umweltfaktoren mögen neben historischen, ethnischen oder politischen Faktoren eine gewisse Rolle beim Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen spielen – den Klimawandel aber als Hauptgrund etwa für den Syrien-Krieg zu bewerten, wie es immer wieder in Medienberichten zumindest angedeutet wird, ist völlig haltlos. Ebenso hängt es bei Naturkatastrophen von verschiedenen Faktoren, wie etwa dem Vorhandensein oder den Kapazitäten des örtlichen Katastrophenschutzes wie auch generell der Leistungsfähigkeit und Legitimität der staatlichen Strukturen, ab, ob es aus einer Katastrophe eine Flucht resultiert oder nicht.

Bei Bemühungen um bessere Lösungen und mehr Schutz von Flüchtlingen und Migranten ist es somit zwar unabdingbar, sich mit der Rolle des Klimawandels für Migrations- und Fluchtprozesse auseinanderzusetzen. Allerdings sind beim Ringen um konkrete politische Maßnahmen Fragen danach, ob bei dieser Flucht oder jener Migration die globale Erwärmung nun der dominante Auslöser war oder nicht, aus den genannten Gründen oft nur schwer zu beantworten. Wir müssen vielmehr auch eine Antwort auf die Frage finden, was mit Menschen ist, deren Fluchtgründe definitiv nichts mit ökologischen Faktoren zu tun haben, diese aber auch nicht von der sehr engen Definition der Genfer Flüchtlingskonvention abgedeckt sind. Die Konvention bezieht sich lediglich auf individuelle oder gruppenspezifische Verfolgung. Auch für „Nicht-Konventionsflüchtlinge“ müssen bessere Lösungen gefunden und von den reichen Industrieländern des globalen Nordens getragen werden. Denn Verantwortung kann man hier nicht nur ableiten aus (historischen) Treibhausgasemissionen. Vielmehr spielen auch koloniale Ausbeutung oder unfairer Welthandel eine Rolle. Diese mögen keine Hauptgründe für Konflikte, Flucht und Migration sein. Sie tragen aber dennoch ihr Scherflein bei.

Über den Autor

Schraven, Benjamin

Politikwissenschaftler

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