Nachhaltige Energie für alle: utopisch oder realisierbar?

Nachhaltige Energie für alle: utopisch oder realisierbar?

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Ruchser, Matthias / Rebekka Hilz
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 13.02.2012)

Bonn, 13.02.2012. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2012 zum „Internationalen Jahr der nachhaltigen Energien für alle“ (International Year of Sustainable Energy for All) ausgerufen. Doch was heißt das konkret, und wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Nähern wir uns zunächst der Begrifflichkeit. Im Februar 2000 hat der 14. Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ eingesetzt. Im Verständnis der Kommission muss eine nachhaltige Energieerzeugung und -nutzung drei Ziele verfolgen: sie muss sozial verträglich sein, langfristig die Ressourcen schonen und das Klima schützen. Die Hauptaussage der Kommission war damals, dass „das heutige Energieversorgungssystem u. a. wegen der zu hohen CO2-Emissionen und wegen des fehlenden Zugangs vieler Menschen zu grundlegenden Energiedienstleistungen in wesentlichen Aspekten nicht nachhaltig“ ist.

Doch wie viele Menschen haben gegenwärtig keinen Zugang zu einer stabilen Energieversorgung? Wir erinnern uns: Ende Oktober 2011 verkündeten die Vereinten Nationen die symbolische Geburt des siebenmilliardsten Menschen. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht in ihrem aktuellen „World Energy Outlook“ davon aus, dass von diesen 7 Mrd. Menschen über 1,3 Mrd. keinen Zugang zu Elektrizität und 2,7 Mrd. Menschen keine modernen Kochmöglichkeiten haben. Über 95 % dieser Menschen leben entweder in Subsahara-Afrika oder den Entwicklungsländern Asiens. Was muss getan werden, dass auch sie Zugang zu einer Energieversorgung erhalten und wie muss diese aussehen, damit sie nachhaltig ist? Oder sollte die Nachhaltigkeit bei der Energieversorgung für die Armen etwa keine Rolle spielen?

Tatsache ist: Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts brachte eine Renaissance der Kohle, in dieser Zeit nahm die weltweite Kohlenachfrage um 55 % zu (siehe hierzu „Die aktuelle Kolumne“ vom 16.01.2012). Mit einem Anteil von 40 % ist und bleibt Kohle das Rückgrat der globalen Stromerzeugung, auch wenn im Jahr 2010 bereits die Hälfte der neuen Energieerzeugungskapazitäten auf erneuerbaren Energien basierte. Trotzdem tragen die Erneuerbaren erst 16 % zur Endenergie bei. Die IEA geht davon aus, dass jährlich 48 Mrd. USD investiert werden müssen, damit bis zum Jahr 2030 alle Menschen Zugang zu modernen Energieversorgungssystemen haben werden. Im Jahr 2009, so die IEA, wurden jedoch nur 9,1 Mrd. USD in die Stromversorgung von Privathaushalten und in den Zugang zu modernen Kochgelegenheiten investiert. Den größten Finanzierungsanteil hatten dabei die multilateralen Organisationen (34 %) und die Nationalstaaten (30 %), gefolgt von privaten Investoren (22 %) und der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (14 %). Woher sollen also die fehlenden Mittel kommen, und welche Akteure sind hier besonderes in der Pflicht?

Im Jahr 2010 wurden weltweit 409 Mrd. USD an Subventionen für fossile Energieträger aufgebracht. Volkswirtschaftlich macht diese starke Subventionierung fossiler Energieträger keinen Sinn, denn sie beschränkt auf lange Sicht das wirtschaftliche Wachstum, indem sie sich nachteilig auf einen effizienten Ressourceneinsatz auswirkt. Ein gängiges Argument für fossile Energiesubventionen in Entwicklungs- und Schwellenländern ist, dass sie die Lebensbedingungen armer Bevölkerungsgruppen verbessern, indem sie ihnen den Zugang zu einer grundlegenden Energieversorgung ermöglichen. Doch dieses Argument ist hinlänglich widerlegt: So zeigen Berechnungen der IEA, dass im Jahr 2010 nur 8 % der (Konsum-)Subventionen auf fossile Energieträger, also 33 Mrd. USD, bei den ärmsten 20 % der Bevölkerung ankommen. In Ländern wie Südafrika oder Sri Lanka liegt dieser Anteil sogar nur bei knapp über 2 %. Es profitieren eher Bevölkerungsgruppen mit höheren Einkommen, da sie in der Regel mehr Energie konsumieren. Für eine effektive Armutsbekämpfung sollten bessere Instrumente eingesetzt werden, um arme Bevölkerungsteile zielgenauer zu erreichen. Subventionen für fossile Energieträger sind also nicht nur in ökologischer und ökonomischer Hinsicht nicht nachhaltig, sondern auch unter sozialen Gesichtspunkten. Und sie stellen in Zeiten steigender Energiepreise wachsende Posten in den Staatshaushalten dar. Zudem sind Subventionen für fossile Energieträger in der Regel nicht zeitlich befristet, im Gegensatz zu den Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien. Damit belasten die fossilen Subventionen nationale Budgets nicht nur in steigendem Ausmaß, sondern auch dauerhaft.

Um allen Menschen bis 2030 den Zugang zu einer nachhaltigen Energieversorgung bieten zu können, sind Investitionen in Höhe von einer Billion USD erforderlich. Die IEA schätzt, dass bis 2030 die bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit jährlich 18 Mrd. USD sowie der Privatsektor und die Entwicklungsländer selbst jeweils 15 Mrd. USD aufbringen müssten. Für die Mobilisierung der erforderlichen staatlichen Mittel in den Entwicklungs- und Schwellenländern muss der Abbau von Subventionen auf fossile Energieträger ein erster Schritt in Richtung „Sustainable Energy for All“ sein. Die durch einen Subventionsabbau freiwerdenden Mittel sollten in den Ausbau des Zugangs zu Energie investiert werden, z. B. in den Ausbau von Energieinfrastruktur in ländlichen Gebieten und zielgenaue Maßnahmen zur Unterstützung armer Bevölkerungsgruppen. Weiterhin ist die Schaffung von Rechtssicherheit und vorteilhaften Investitionsbedingungen im Energiesektor essentiell, um die benötigten Investitionen der Privatwirtschaft zu mobilisieren. Ein Beispiel für die Schaffung von sicheren Rahmenbedingungen für private Investoren ist die Einführung degressiver (d. h. sinkender) Einspeisetarife für erneuerbare Energien. Dies erfordert jedoch den Aufbau eines starken regulatorischen Rahmens von Seiten der Politik. Bi- und multilaterale Geber können hier unterstützend tätig werden, indem sie sich auch finanziell für ein stärkeres Engagement des Privatsektors und die Entwicklung entsprechender Geschäftsmodelle einsetzen.

Die G 20 hat sich auf den Gipfeln von Pittsburgh und Toronto zum Abbau von fossilen Energiesubventionen verpflichtet. Fast die Hälfte aller Länder, die den Konsum von Energie aus fossilen Energieträgern subventionieren, hat im Jahr 2010 Reformen ihrer Energiesubventionen umgesetzt oder zumindest angekündigt. Weltweit sind die Energiesubventionen in den vergangenen Jahren jedoch nicht dauerhaft zurückgegangen. Im Gegenteil, bedingt durch den Arabischen Frühling wurden die Subventionen im Nahen Osten und Nordafrika massiv ausgeweitet. Das „Internationale Jahr der nachhaltigen Energien für alle“ bietet einen guten Anlass für alle Staaten der internationalen Gemeinschaft, auf eine nachhaltige Energiepolitik umzusteuern und zu zeigen, wie ernst sie es mit einer sozial, ökonomisch und ökologisch verträglichen Energieversorgung für alle wirklich meinen.

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