Shanghai Expo 2010: zurück zu Metropolis?

Shanghai Expo 2010: zurück zu Metropolis?

Download PDF 39 KB

Fischer, Doris
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 26.04.2010)

Bonn, 26.04.2010. Am 1. Mai beginnt in Shanghai die Expo 2010. Sie wird die Stadt in das internationale Rampenlicht rücken, so wie es die Olympischen Spiele 2008 mit Peking getan hat. Einmal mehr wird damit deutlich, dass sich Shanghai in den zwanzig Jahren seit der Schaffung der Sonderwirtschaftszone Pudong zu einer internationalen Metropole vergleichbar mit New York, Paris, London oder Tokio gemausert hat.

Obwohl die spannendsten Veränderungen in Shanghai seither am Ostufer des Huangpu (also in Pudong) stattgefunden haben, gibt es im alten Teil Shanghais ein Gebäude, das noch immer hervorsticht: Shanghai Mansion. Gebaut in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, liegt es zentral unweit vom berühmten „Bund“ und fällt wegen seiner besonderen Architektur ins Auge. Als ich Shanghai Mansion in den 1980er Jahren zum ersten Mal sah, setzte es sich deutlich vom Stil der Kolonialzeit der Gebäude am Bund und der verbreiteten Architektur des sozialistischen Realismus ab. Vor allem aber erinnerte es überraschenderweise frappierend an den Film „Metropolis“ von Fritz Lang aus dem Jahr 1927.

Es ist natürlich Zufall, dass die (fast) rekonstruierte Version des Films „Metropolis“ genau in dem Jahr in die Kinos gekommen ist, in dem die Shanghai Expo stattfindet. Aber dieser Zufall ist wegen der Botschaften, die der Film vermittelt, durchaus erhellend. „Metropolis“ enthält verschiedene Erzählstränge und vermutlich erinnern sich verschiedene Zuschauer an unterschiedliche Botschaften des Films. Doch besteht wohl ein Konsens dahingehend, dass der Film eine futuristische (zur Zeit seiner Produktion), moderne Stadt projiziert, mit Hochhäusern sowie in mehreren Ebenen gestapelten, mehrspurigen Autostraßen. Fritz Lang nahm sogar die von Fußgängern leergefegten Straßen und die notorischen Staus vorweg. Während die Reichen und Schönen den Luxus der „Oberstadt“ genießen, wird das System durch die Arbeiter in der (unterirdischen) „Unterstadt“ am Leben gehalten, deren Arbeitstakt durch die Maschinen vorgegeben wird. Das Leben vieler Arbeiter wird hier geopfert, damit die Oberstadt pulsiert.

Beim erneuten Erleben des Films Anfang dieses Jahres war es auffällig, um nicht zu sagen schockierend zu sehen, wie sehr die großen Städte Chinas, insbesondere Shanghai und Guangzhou sich bereits in Kopien von Metropolis verwandelt haben. Die erste auf Säulen gebaute Schnellstraße durch Guangzhou entstand schon in den 1980er Jahren. Heute sind mehrspurige und mehrstöckige Schnellstraßen ein wichtiger Bestandteil der städtischen Infrastruktur vieler chinesischer Städte, nicht zuletzt Shanghais. Chinas Automobilmarkt ist inzwischen der größte der Welt. Während chinesische Besucher in westlichen Ländern sich in den 1980er Jahren noch wunderten, dass es in den Städten mehr Autos als Menschen zu geben schien, so entsteht dieser Eindruck heute auch wenn man durch die Hauptstraßen chinesischer Großstädte fährt. Verkehrsstaus gehören ebenfalls zum Alltag. Außerdem sind chinesische Städte, und ganz besonders Shanghai, Orte voller Hochhäuser und futuristischer, zum Teil gewagter Architektur. Die Silhouette von Pudong ist hierfür ein beredtes Beispiel.

Gleichzeitig wurde China in den letzten Jahren als „Fabrik der Welt“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die sich auf seine beispiellose Rolle in den globalen Produktions- und Handelsnetzen bezieht. Die Konzentration auf arbeitsintensive, exportorientierte Produktion gilt gemeinhin als wesentlicher Faktor des chinesischen Wirtschaftserfolges. Das wenig geheime Geheimrezept hinter dieser Erfolgsgeschichte sind unter anderem die Millionen von Wanderarbeitern, die bereit sind, für geringe Löhne lange und hart zu arbeiten, und dafür zeitlich begrenzt unter einfachen Bedingungen in speziellen Behausungen für Fabrikarbeiter zu wohnen. Diese Wanderarbeiter genießen in der Regel nicht die gleichen Rechte wie die städtischen Bürger und müssen die Stadt wieder verlassen, sobald sie länger ohne Job sind. Obwohl sie nicht im engen Sinne in einer „Unterstadt“ leben oder produzieren, ruft ihre Situation leicht Assoziationen zu der Situation der Arbeiter in „Metropolis“ hervor.

Diese „Fabrik“ der Welt hat viel zum globalen Konsum und Wohlstand wie auch zur spektakulären Verwandlung chinesischer Städte in Metropolen beigesteuert. Aber wird das auch in der Zukunft so sein? In Fritz Langs Film kollabiert das System in Folge von Arbeiterprotesten, eines einsichtigen und mitfühlenden jungen Vertreters der reichen Elite und einer Liebesgeschichte. In China sind sich sowohl die Wanderarbeiter wie auch die politischen Entscheidungsträger in jüngerer Zeit verstärkt der gesellschaftlichen Probleme bewusst geworden, die mit dem bisherigen Wachstumsmodell und der „Fabrik der Welt“ einhergehen. Während erstere weniger bereit sind, Niedrigstlöhne zu akzeptieren und zugleich nach mehr Bürgerrechten verlangen, suchen letztere nach einem neuen Wachstumsmodell, nach Sozialversicherungssystemen und Ansätzen zur Ausdehnung der Bürgerrechte der Wanderarbeiter. Sie möchten die gesellschaftliche Stabilität sichern, ohne die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte oder den Lebensstandard der heutigen wirtschaftlichen und politischen Elite zu gefährden.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das zentrale Motto der Shanghai Expo, die in der nächsten Woche beginnt, eine besondere Bedeutung: „Bessere Stadt, besseres Leben“, “Better City, Better Life” (oder „Stadt, mach das Leben schöner!“, wenn nicht die englische, sondern die chinesische Version des Mottos übersetzt wird). Es gehört zur Tradition der Weltausstellungen, dass sie künstlerische und technische Pionierleistungen der Architektur ausstellen, sowohl in Form extravaganter Ausstellungspavillons als auch durch Präsentationen in den Pavillons, die entsprechende Entwicklungen in den verschiedenen Ländern vorstellen. Es wird erwartet, dass die Shanghai Expo alle vorangegangenen hinsichtlich der teilnehmenden Länder, insbesondere Entwicklungsländer, ebenso übertreffen wird wie in der Extravaganz der Pavillons. Auch die erwartete Zahl von 70 Millionen Besuchern würde jede bisherige Expo übertreffen.

Die Weltausstellung ist eine globale Veranstaltung, die nicht nur China repräsentiert. Trotzdem scheint es so, also beziehe sich das Motto besonders auf die Herausforderungen, denen chinesische Metropolen gegenüberstehen. Wird die Expo den Erwartungen des Mottos gerecht werden? Oder werden wir wieder nur einen futuristischen Blick auf Städte bekommen, auf den schönen Teil, während die Arbeiter und Maschinen der „Unterstadt“, die den reichen und leuchtenden Teil tragen, ausgeblendet bleiben? Wird die Ausstellung die fundamentalen Herausforderungen thematisieren, die mit dem industriellen Wachstumsmodell verbunden sind, das China so erfolgreich für seine Wirtschaftsentwicklung genutzt hat? Wird die Shanghai Expo 2010 Beiträge zur Lösung der drängenden sozialen Probleme Chinas leisten? Wird die Tatsache erwähnt werden, dass sehr viele Menschen umgesiedelt wurden, damit die Ausstellung an gegenwärtigen Standort aufbauen zu können? Es wäre eine nette Geste, wenn diese umgesiedelten Bürger Ehrengäste der Expo wären. Es wäre sogar noch schöner, wenn wir erleben würden, dass Shanghais Wanderarbeiter das Geld und die Freizeit hätten, eine Expo zu besuchen, die aufzeigt, dass die Metropolis der Zukunft weniger auf sozialer Ungleichheit aufbaut.

Weitere Expert*innen zu diesem Thema