Stellen wir die richtigen Fragen, wenn es um China geht?

Stellen wir die richtigen Fragen, wenn es um China geht?

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Fischer, Doris
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 24.01.2011)

Bonn, 24.01.2011. Kurz vor der Ankunft Hu Jintaos in den USA berichtete die Financial Times (FT) am 18.01.2011, dass die chinesische Entwicklungsbank sowie die Im- und Export Bank Chinas in den letzten beiden Jahren gemeinsam mehr Kredite an Entwicklungsländer vergeben hätten als die Weltbank. Hinter dieser Berechnung liegen veröffentlichte Statistiken der Weltbank und Berechnungen der FT auf der Basis von Medienberichten über Kredite der beiden Banken (da diese entsprechende Statistiken nicht veröffentlichen). Diese Nachricht wurde in westlichen Medien mit einiger Aufgeregtheit verarbeitet, in chinesischen Medien weitgehend unkommentiert veröffentlicht.

In der täglichen Medienflut spielt die Nachricht sicher nur eine kleine Rolle. Aber sie zeigt trotzdem eines: Noch immer scheint sich die westliche Welt nicht daran gewöhnt zu haben, dass China wichtig geworden ist. Noch immer reagieren wir auf Berichte, die den wachsenden Einfluss Chinas unterstreichen, mit latenter Angst, häufig Vorurteilen und wenig Selbstbewusstsein. In der Nachricht, dass zwei chinesische Banken mehr Kredite an Entwicklungsländer vergeben haben könnten als die Weltbank, schwingt unterschwellig mit „Ja dürfen die denn das? Wird die Weltbank jetzt bedeutungslos? Was sollen wir dagegen tun?“ Es wird nicht berichtet oder zumindest die Frage gestellt, wie viele Kredite von anderen Ländern an Entwicklungsländer vergeben wurden oder ob die ermittelten Zahlen für die chinesischen Banken überhaupt vergleichbar sind mit den Zahlen, welche die Weltbank über ihre Kreditvergabe veröffentlicht.

Die Tatsache, dass China wichtiger wird und global mitspielt, sollte für uns kein Problem sein. Wir wollen, dass sich die Entwicklungsländer entwickeln und irgendwann keine Entwicklungsländer mehr sind. Insofern ist China auf dem richtigen Weg. Eine Herausforderung besteht aber sicher darin, dass China so groß ist. Zu groß, um ignoriert zu werden, zu groß, um unauffällig in die Gruppe der entwickelten Länder hineinzurutschen. Die zweite und vielleicht eigentliche Herausforderung ist, dass China für die meisten Menschen im Westen nicht transparent ist, dass dieses China so schwer zu verstehen ist. Da wird ein Land groß und wichtig, spielt international mit, aber es mangelt an Verständnis und Einsicht, was dieses Land, seine Menschen und seine Politiker bewegt.

Transparenz und das darauf basierende Verstehen ist durchaus eine vielschichtige Angelegenheit. Zum einen bedarf es des Zugangs zu Informationen, die diese Transparenz herstellen können. Zum zweiten braucht es den Willen und die Fähigkeit, die zugängigen Informationen zu verarbeiten. Zweifel an der Transparenz sind in der Vergangenheit häufig im Zusammenhang mit der Kommunikation chinesischer Politik gestellt worden. In den ersten Jahrzehnten nach der Öffnung war es ein bekanntes Phänomen, dass viele politische Dokumente als „intern“ klassifiziert und nur ausgewählten Kreisen zugängig waren. Zugleich wurde aber durchaus erwartet, dass den in diesen internen Dokumenten festgelegten Regeln gefolgt wurde. Dies hat sich deutlich verändert.

Die Menge der Informationen, die heute über Webseiten und andere Medien zugänglich sind, ist enorm. Die meisten Regeln sind heute in Gesetzen und Verordnungen festgelegt, die veröffentlicht werden. Trotzdem ist der Zugang zu Informationen immer noch ein Thema. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Lektüre der beiden wichtigsten englischsprachigen Zeitungen des Landes (China Daily und Global Times) in der Regel einen deutlich anderen Eindruck von China vermittelt als die Lektüre chinesischsprachiger Zeitungen. Wissenschaftskollegen aus China betonen immer noch, wie wichtig gute Kontakte zu bestimmten Institutionen sind, um an die „richtigen“ Daten zu kommen (im Gegensatz zu den allgemein zugänglichen). Vor diesem Hintergrund ist die für uns wichtige Frage: Warum veröffentlichen die beiden staatlichen Banken im Unterschied zur Weltbank keine Statistiken über die Höhe ihrer Kreditzusagen und an wen sie die Kredite vergeben.

Um Transparenz und Verständnis zu erreichen, bedarf es aber eben auch des Willens und der Fähigkeit, vorhandene Informationen richtig zu nutzen. Die Addition der von den beiden Kreditinstituten laut Pressemeldungen an Entwicklungsländer vergebenen Kredite entspricht sicher nicht dem tatsächlich vergebenen Kreditvolumen. Nicht alles wird von der Presse berichtet, aber auch nicht jeder Kredit, der medienwirksam verkündet wird, kommt notwendig zur Auszahlung. Die Frage, ob dieses Kreditvolumen beeindruckend groß, normal oder gar klein ist, lässt sich auch nicht alleine über den Vergleich mit den Weltbankdaten klären. Dieser Vergleich lässt vielleicht die Aussage zu, dass das Kreditvolumen über die Jahre hinweg stärker gestiegen ist als das der Weltbank. Aber vielleicht gilt das auch für andere Länder? Vielleicht ist das chinesische Kreditvolumen nur proportional zu seinem wirtschaftlichen Wachstum gewachsen?

Hilfreich wäre ein Vergleich mit Daten der USA, der EU oder anderen Ländern. Hier jedoch ergibt sich ein Problem: Daten, die diese Länder bzw. Regionen für ihre finanzielle Entwicklungszusammenarbeit ausweisen, sind nicht vergleichbar mit den chinesischen Daten. Die von der Financial Times gesammelten Daten ergeben allenfalls Bruttowerte, während die EZ-Statistiken einzelner Länder i.d.R. mit Nettowerten arbeiten (die für 2010 noch nicht abschließend vorliegen). Zudem fallen die chinesischen Kredite nicht komplett unter das Kriterium der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance - ODA). Die chinesische Regierung versteht ihre Kooperation mit anderen Entwicklungsländern in erster Linie als Wirtschaftskooperation und die Kredite der Import- und Exportbank dienen sicher zum großen Teil der Förderung chinesischer Exporte.

Nach all diesen Überlegungen ist die Schlagzeile, dass China mehr Kredite an Entwicklungsländer vergeben habe als die Weltbank, plötzlich kaum mehr einer Schlagzeile wert: Der Vergleich ist kaum relevant, statistisch steht er auf schwachen Beinen und selbst wenn die Aussage stimmt, lässt sich noch fragen „Ja und“? Es ließen sich viele andere und vielleicht wichtigere Beispiele finden, in denen wir vorschnell dazu neigen, aus einer Meldung zu China ein Urteil über China zu fällen, ohne die richtigen Fragen gestellt zu haben.

Wir müssen lernen, mit der wachsenden Bedeutung Chinas umzugehen. Aber nicht aus Angst vor dem großen Unbekannten, sondern mit dem ernsthaften Anspruch, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen.

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