Von der Wirtschaftskrise zur Schuldenkrise?

Von der Wirtschaftskrise zur Schuldenkrise?

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Hübers, Andreas / Ulrich Volz
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 09.03.2009)

Bonn, 09.03.2009. Der französische Schriftsteller Alphonse Allais sagte einmal „Wenn der Reiche abmagert, verhungert der Arme“. Diese Weisheit könnte sich in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise leider bewahrheiten. Seit Herbst letzten Jahres hat sich die Finanzkrise von den USA und Europa auf die gesamte Weltwirtschaft übertragen, und auch Schwellen- und Entwicklungsländer sind in den Abwärtsstrudel geraten. Nach Schätzungen der Weltbank werden durch den durch die Krise verursachten Wachstumsrückgang in Entwicklungsländern 53 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze von 2 Dollar pro Tag fallen – zusätzlich zu den 130 bis 155 Millionen die im Jahr 2008 durch die Lebensmittelpreis- und Energiekrise zurück in die Armut gestoßen wurden.

Die Krise trifft Entwicklungs- und Schwellenländer unterschiedlich hart. Grundsätzlich gilt: Je stärker sich ein Land in die Weltwirtschaft integriert hat indem es sich am internationalen Handel oder den internationalen Finanzmärkten beteiligt hat, desto mehr bekommt es nun die Schattenseite der Globalisierung zu spüren.

Während sich insbesondere Schwellenländer in den letzten Jahren zu günstigen Konditionen auf den internationalen Finanzmärkten refinanzieren konnten, z. B. durch die Ausgabe von Staatsanleihen, haben sich die Finanzierungsbedingungen seit Sommer 2008 durch das Gefrieren der internationalen Kreditmärkte dramatisch verschlechtert oder die Aufnahme neuer Kredite gänzlich unmöglich gemacht. Zudem haben Finanzinstitute und Anleger aus den Industrieländern aufgrund von Liquiditätsengpässen in großem Maße Kapital aus Schwellenländern abgezogen, was in vielen Ländern unter anderem zu einem Einbruch der Börsen- und Wechselkurse geführt hat.

Der Abzug von Kapital hat insbesondere Länder hart getroffen, die ihr Wachstum die letzten Jahre über einen stetigen Zufluss von günstigem Kredit finanziert haben – wie z. B. eine ganze Reihe von ost- und zentraleuropäischen Ländern, die baltischen Staaten, sowie Schwellenländer in Asien und Lateinamerika. Das Institute of International Finance erwartet einen Rückgang der privaten Nettokapitalzuflüsse in Schwellenländer von 929 Milliarden Dollar in 2007 über geschätzte 466 Milliarden Dollar in 2008 auf nur noch 165 Milliarden Dollar im laufenden Jahr. Dies wäre ein Rückgang von 82 % innerhalb von zwei Jahren. In Anbetracht der Tatsache, dass praktisch alle Industrieländer in den kommenden Monaten große Summen auf den Kapitalmärkten aufnehmen werden um ihre nationalen Rettungspakete zu finanzieren, ist absehbar, dass sich der Zugang zu Kapital für viele Schwellenländer weiter erschweren wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) musste Ungarn, Ukraine, Island und Pakistan bereits mit etwa 50 Milliarden Dollar an Notkrediten unterstützen, und weitere Länder werden folgen. Der IWF drängt bereits auf eine Verdoppelung seiner Finanzmittel von gegenwärtig etwa 250 Milliarden Dollar, um auf die zu erwartende Nachfrage nach Notfallkrediten seiner Mitgliedsstaaten gewappnet zu sein.

Anders stellt sich die Lage für viele der ärmsten Entwicklungsländer dar, die ohnehin keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten hatten. Ihre Zahlungsbilanz hat in den letzten Jahren oftmals von steigenden Exporteinnahmen profitiert. Sie blieben aber von konzessionären Krediten von IWF und Weltbank oder anderen staatlichen Kreditgebern abhängig. Diese Länder bekommen die indirekten Folgen der Krise über einen Rückgang ihrer Exporteinnahmen und somit ihres Wachstums (und auch über einen Rückgang von Auslandsüberweisungen von im Ausland lebenden Familienangehörigen) zu spüren. In ihrem jüngsten World Economic Situation and Prospects-Report von Januar rechnen die Vereinten Nationen beispielsweise für die afrikanischen Entwicklungsländer im ungünstigsten Fall mit einem Wirtschaftswachstum von nur 0,1 % für 2009, deutlich niedriger als die 6,0 % in 2007 und die 5,1 % in 2008. Dies wird unweigerlich negative Konsequenzen für die Staatshaushalte vieler afrikanischer Staaten haben, die sich teilweise ohnehin schon in kritischem Zustand befinden.

Für mehrere der sogenannten „HIPC“-Länder, der Gruppe von Staaten, denen in zwei großen Entschuldungsinitiativen 1999 und 2005 ein Großteil ihrer Schulden erlassen wurde, hat sich die Lage schon im letzten Jahr zugespitzt. Bereits im September 2008 kamen IWF und Weltbank zu dem Befund, dass für 14 der 23 Länder, die vollständig von den Schuldenerlassinitiativen profitiert hatten, bereits wieder ein mittleres bis hohes Risiko einer neuen Überschuldung besteht. Diese Staaten befinden sich großteils in Afrika. Nach dem Ende Februar von der Nichtregierungsorganisation erlassjahr.de veröffentlichten Schuldenreport 2009 droht sieben afrikanischen Staaten noch in diesem Jahr die Zahlungsunfähigkeit, weitere sechs weisen ein hohes Risiko von baldiger Staatsinsolvenz auf.

Aufgrund der Schuldenerlasse könnte man erwarten, dass sich die „HIPC“-Länder in einer relativ guten finanziellen Situation befinden. Die Wirklichkeit sieht aber aus zwei Gründen anders aus: Erstens reagieren diese Staaten wirtschaftlich besonders empfindlich auf Änderungen im Export-Import-Preisgefüge. Die hohen bzw. volatilen Öl- und Nahrungsmittelpreise haben vielen Ländern schwer zugesetzt. Hinzu kommt nun, dass die Nachfrage nach ihren Exportprodukten, im Regelfall Rohstoffe, stark gesunken ist und keine industrielle Basis vorhanden ist um auf andere Erzeugnisse zu setzen. Zweitens hat ihre Schuldentragfähigkeit durch die neue Aufnahme von Krediten gelitten. Im Schnitt sind diese Kredite teurer geworden, auch weil die Konditionen neuer Kreditgeber wie China nicht groß von Marktkonditionen abweichen. Aber auch multilaterale Geber wie IWF und Weltbank ersetzen zunehmend nicht-rückzahlbare (grants) durch rückzahlbare (loans) Kredite.

Die Situation vieler Entwicklungsländer, besonders in Subsahara-Afrika, ist also sehr ernst. Ohne an ihren Ursachen beteiligt zu sein, bedroht die Krise ihre weiteren Entwicklungsperspektiven. So wird die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele – wie die Bekämpfung extremer Armut und Hunger, die Erreichung vollständiger Primärschulbildung für Kinder und die Reduzierung der Kindersterblichkeit – durch die Krise bedroht und ohne externe Hilfe kaum möglich sein.

Die Probleme der ärmsten Länder dürfen in der Krisenbewältigung der G20-Staaten nicht vergessen werden. Die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken sind mit der Ausweitung der Kreditlinien für ihre „Kunden“ bereits an den Rand des finanziell Machbaren gegangen und benötigen kurzfristig weitere Unterstützung. Gerade für die schwächsten Länder sollte die Finanzierung in Form von Zuschüssen gewährt werden, um eine neue Überschuldung zu vermeiden. Einen internationalen politischen Rahmen, auf den die G20 aufbauen können gibt es bereits seit Längerem: Sowohl auf EU- als auch auf G8-Ebene sind die Geber Verpflichtungen zur Erhöhung ihrer Hilfe an die Länder des Südens eingegangen. Diese Versprechen müssen nun eingelöst werden.

Zudem ist es im Interesse der Schuldner und Gläubiger ein internationales Insolvenzverfahren zu institutionalisieren bevor für eine Reihe von Staaten die Insolvenzfalle zuschnappt. Dabei würde – ähnlich wie in der Welthandelsorganisation üblich – ein unabhängiges Schiedsgericht über den Umgang mit Schulden entscheiden wenn ein Staat zahlungsunfähig wird. Der Vorteil wäre, dass sich Zahlungsunfähigkeiten nicht mehr wie bisher jahrelang hinziehen. Die Etablierung eines internationalen Insolvenzfahrens sollte bei der gegenwärtigen Diskussion um eine Reform der internationalen Finanzarchitektur einbezogen werden.

In ihrem Communiqué von Mitte November versichern die G20 Staats- und Regierungschefs, dass sie den Schwellen- und Entwicklungsländern im gegenwärtig schwierigen Finanzumfeld helfen werden, Zugang zu Finanzierung zu erhalten, unter anderem durch Liquiditätsfonds und Budgethilfe. Diesen Worten müssen nun Taten folgen.

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