Wälder - (k)eine Frage des Geldes?!

Wälder - (k)eine Frage des Geldes?!

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Schmidt, Lars / Pierre Ibisch
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 16.03.2009)

Bonn, 16.03.2009. Waldökosysteme bedecken ca. 30 % der Landfläche der Erde und sind ein unersetzbarer Bestandteil der Biosphäre. Wälder sind ein Schlüsselelement zur Stabilisierung des globalen Klimas und sie beherbergen einen Großteil der biologischen Vielfalt der Erde. Auf lokaler Ebene erzeugen bzw. regenerieren sie Niederschlag, sorgen für eine bessere Trinkwasserqualität, schützen den Boden vor Erosion und puffern die Auswirkungen von Wetterextremen ab. Und trotz alledem wird jährlich eine Fläche von der Größe Griechenlands entwaldet. Unser vorherrschendes Modell menschlicher Entwicklung steht der Erhaltung von Wäldern geradezu entgegen. Die Geschichte des menschlichen Fortschritts, die Geschichte der Zivilisation, ist größtenteils eine Geschichte der Waldzerstörung und ganz allgemein, eine Geschichte der Degradierung der Ökosysteme dieses Planeten. Immerhin gab es und gibt es (noch) Gesellschaften, welche der Tragfähigkeit ihrer (Wald)ökosysteme angemessen verhalten. Weil diese Anpassung allerdings auch eine Begrenzung der Entwicklungsmöglichkeiten bedeutet, hat sich diese Form der waldverträglichen menschlichen Entwicklung gegenüber unserem aktuellen Entwicklungsmodell nicht durchgesetzt. Der Klügere gab nach!?

Es gibt etliche historische Beispiele dafür, dass die Degradierung von Ökosystemen, z. B. durch Entwaldung, zum Kollaps von Gesellschaften führte. Den industrialisierten Gesellschaften ist Entwaldung bislang nicht zum Verhängnis geworden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Erkenntnis, dass nur nachhaltige Entwicklung langfristig die Stabilität und Fortbestand einer Gesellschaft garantiert gehört leider nicht dazu.

Entscheidend für den Fortbestand unserer industrialisierten Gesellschaft und unseres aktuellen Lebensstandards war und ist die räumliche Verlagerung der Degradierung und Zerstörung der Ökosysteme im Zuge der Kolonialisierung und später der Globalisierung. Wald weicht menschlicher Entwicklung: Früher für Zuckerrohr zum Nulltarif, heute für Soja, Rindfleisch, Palmöl und Tropenholzmöbel zu Weltmarktpreisen. Auch die Entwicklungsländern folgen dem Vorbild der frühen industrialisierten Länder und Entwicklung erfolgt auf Kosten der Integrität von Wäldern und anderen Ökosystemen.

Dass dies auf lange Sicht nicht gut gehen kann, ist schon lange klar. Aber welcher Politiker oder Unternehmer kann es sich leisten, Nachhaltigkeit auf Kosten von Arbeitsplätzen, kurzfristigem Wohlstand oder Rendite zu fordern? „Weniger“ ist keine Option. Ein verhängnisvolles System, in Zeiten der Globalisierung zudem ein System ohne akzeptablen Notausgang.

Folgt man hingegen der systemimmanenten Logik, so ist der Grund für Entwaldung ein anderer. It’s the economy, stupid! Anders gesagt, Wälder haben einen zu geringen ökonomischen Wert. Dieses Argument hat aus systemkonformer Sicht durchaus seine Richtigkeit, impliziert aber auch ganz klar: Selbst wenn wir Wald erhalten wollen, er aber einen zu geringen ökonomischen Wert hat, können wir ihn schlicht nicht erhalten. Unsere Entscheidungen, unsere Kultur, werden von unserem ökonomischen System bestimmt. Sagt das nicht eine ganze Menge über unsere Kultur und unsere Entscheidungsfreiheit aus?

Im Rahmen des Waldforums und der Umsetzung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt der Vereinten Nationen wurde Walderhaltung bisher nicht ernsthaft betrieben. Es gab schließlich keinen ökonomischen Anreiz, zumindest keinen der ausgereicht hätte, politischen Willen für effektiven Waldschutz zu erzeugen.

Auch im Falle des Kyoto-Protokolls hatte der Waldschutz zunächst keine hohe Priorität. Da unser Planet sich inzwischen unverkennbar aufheizt und Treibhausgas-Emissionen aus Entwaldung rund ein Fünftel der jährlichen Emissionen ausmachen, kam das Thema im Rahmen der ‚Post-2012’-Klimaverhandlungen wieder auf die Tagesordnung. Im Oktober 2006 legte der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern seine Untersuchung zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels vor. Demnach sollte es fünf Milliarden Euro jährlich kosten, um 70 % der Emissionen aus Entwaldung zu vermeiden. Und so wurde aus „Vermiedener Entwaldung“ im Fachjargon RED, dann REDD und schließlich REDD plus (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation). Schnell wurden aus fünf 15-25 Milliarden € pro Jahr, je mehr, desto besser. Gleichzeitig wuchs die Zuversicht, Entwaldung in den Griff zu bekommen, proportional mit der auszugebenden Summe, eine Bestätigung des kulturellen Zustandes der Menschheit: Alles eine Frage des Geldes, oder (nicht)? Vergessen der eigentliche Grund für Entwaldung und die zentralen Lektionen aus vielen Jahren vergeblicher Tropenwaldschutzprogramme und -projekte? „Oh, come on man. Governance was yesterday. Let’s talk carbon“.

Durch die nunmehr wahrscheinliche Einbeziehung von Wäldern in das ‚post-2012’-Klimaabkommen unter dem Akronym REDD erfährt (Tropen-)Waldschutz aktuell einen nie da gewesenen Aufschwung. Viele sehen REDD als die letzte Chance, (Tropen-)Waldschutz in großem Stil anzugehen, solange überhaupt noch großflächige Waldflächen in den Tropen vorhanden sind (und diese nicht klimawandelbedingt kollabieren). Keine Frage: Wir müssen diese Chance nutzen, wenngleich die Mobilisierung des politischen Willens durch zweistellige Milliardenbeiträge ein kulturelles Armutszeugnis ist.

Aber was ändert sich wirklich durch die Monetarisierung der Kohlenstoffspeicherfunktion des Waldes, und ist mit Ausgleichszahlungen das Problem gelöst? Wer garantiert, dass der CO2-Preis höher ist und bleibt als der Preis für Rindfleisch, Soja, Palmöl und Tropenholz? Wird eine steigende Anzahl an Menschen mit steigendem Lebensstandard weniger Rindfleisch essen und Agro-Sprit verfahren als heute? Und selbst wenn der CO2-Preis künstlich hochgehalten wird, was sollen all die Menschen machen, die mit Entwaldung ihr Geld oder ihren Lebensunterhalt verdienen? Werden Sägewerke und Papierfabriken geschlossen, weil man mit CO2 mehr verdienen kann als mit Holz, und werden all diese Arbeitskräfte reibungslos in anderen Bereichen Beschäftigung finden? Sicherlich nicht.

Machen wir uns also nichts vor. Entwaldung ernsthaft und mit langfristiger Wirkung anzugehen heißt, politische und wirtschaftliche Strukturen und Mechanismen tiefgehend zu verändern, sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. Die prospektiven Milliardenbeiträge, welche evtl. im Kontext des Klimaschutzes fließen werden, können diese Schritte versüßen, aber nicht ersetzen. Sollten wir uns hingegen weiterhin vorgaukeln, dass eine stetig zunehmende Anzahl an Menschen auf diesem Planeten so leben, essen und sich fortbewegen kann, wie wir in den Industrieländern, solange werden Wald und andere Ökosysteme weichen. Entwaldung dauerhaft zu stoppen, heißt letztlich den ökologischen Imperativ zu akzeptieren: Dieser Planet kann nur eine bestimmte Anzahl an Menschen mit einem begrenzten Lebensstandard dauerhaft versorgen. Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1972? Willkommen, abermals, an den Grenzen des Wachstums.

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