Den Naturschutz entkolonialisieren

Warum die neuen globalen Biodiversitätsziele rechtebasierten Naturschutz umfassen sollten

Warum die neuen globalen Biodiversitätsziele rechtebasierten Naturschutz umfassen sollten

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Rodríguez de Francisco, Jean Carlo
Die aktuelle Kolumne (2021)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 11.10.2021

Vom 11. bis 15. Oktober 2021 und vom 25. April bis 8. Mai 2022 findet in Kunming, China, die 15. Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) statt. Auf der Konferenz werden Länder aus aller Welt zusammenkommen, um sich auf eine Reihe neuer Biodiversitätsziele für das kommende Jahrzehnt (Global Biodiversity Framework, GBF) zu einigen. Diese Ziele werden die Meilensteine für das Erreichen von Ergebnissen bis zum Jahr 2050 sein. Die einundzwanzig Ziele für 2030 sehen unter anderem vor, weltweit 30 % der Land- und Meeresflächen als Schutzgebiete auszuweisen. Sie beabsichtigen, invasive gebietsfremde Arten zu bekämpfen, die Verschmutzung durch Nährstoffe, Pestizide und Kunststoffe erheblich zu reduzieren und naturbasierte Lösungen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel umzusetzen. Darüber hinaus schlagen sie vor, Anreize, die der biologischen Vielfalt schaden, zu verringern und die internationalen Finanzströme für biodiversitätsfreundliche Aktivitäten im globalen Süden (200 Milliarden Dollar jährlich) zu erhöhen.


Im Vorfeld dieses entscheidenden Treffens wird der erste Entwurf des GBF den indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften (IPLCs) jedoch nicht gerecht, da es kein entsprechendes Ziel gibt, das die Bedeutung der rechtlichen Anerkennung der Rechte von IPLCs auf Land und andere Ressourcen für den Naturschutz festhält.


In diesem ersten Entwurf der GBF zielt Ziel 3 darauf ab, bis 2030 mindestens 30 % der weltweiten Landflächen und Ozeane durch die Ausweisung von Schutzgebieten zu schützen (auch als 30*30-Ziel bekannt). Allerdings gibt es weder auf globaler noch auf lokaler Ebene Garantien dafür, dass die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in vollem Umfang respektiert und gefördert werden. Heute werden 52 % der weltweiten Schutzgebiete unter der strikten Prämisse verwaltet, dass der Mensch von der Natur ausgeschlossen werden muss, damit sie gedeihen kann. Diese Prämisse hat ihren Ursprung im Kolonialismus, in dem die Kolonialmächte unter dem Vorwand einer höherrangigen Religion, Rasse oder besseren Wissens angestammte Gebiete der indigenen Bevölkerung exklusiv kontrollierten. Heute wie damals hat der ausschließende Naturschutz (oder „Festungsschutz“) für die IPLCs schlimme Folgen: Sie werden aus ihren Häusern und von ihrem angestammten Land vertrieben, ihre traditionellen Lebensgrundlagen werden kriminalisiert und ihre Menschenrechte auf Leben, Gesundheit, Wasser, Nahrung, einen angemessenen Lebensstandard und kulturelle Rechte werden verletzt. Mit anderen Worten: Indigene Völker werden nicht nur den Preis zahlen für ein ökologisches Problem, welches sie nicht verursacht haben. Auch ihr Beitrag zur biologischen Vielfalt wird übersehen.


Weltweit leben 1,87 Milliarden Angehörige indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in den wichtigsten Hotspots der biologischen Vielfalt, die 47 % der Erdoberfläche ausmachen; 363 Millionen von ihnen leben in bestehenden Schutzgebieten. Dennoch ist die rechtliche Anerkennung des Eigentums von IPLCs auf nur etwa 10 % dieser Gebiete beschränkt. IPLCs haben bewiesen, dass sie Wälder, Ökosysteme und die biologische Vielfalt durch kollektives Eigentum, Governance-Mechanismen und traditionelles ökologisches Wissen effektiv erhalten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigt, dass von IPLCs geführte Gebiete mit formal anerkannten kollektiven Landrechten wesentlich besser zum Erhalt von Umwelt und Ressourcen beitragen als benachbarte privat oder staatlich verwaltete Schutzgebiete, etwa bei der Eindämmung der Entwaldung – und dies selbst bei zunehmender gewaltsamer Bedrohung der IPLCs.


Aus diesen Gründen müssen sich die weltweiten Naturschutzbemühungen vom „Festungsschutz“ weg und hin zu einem auf Rechten basierenden Schutz bewegen. Rechtebasierter Naturschutz stellt sicher, dass die Rechte von IPLCs auf Land, Binnengewässer und Ressourcen anerkannt, formalisiert und gesichert werden. Sie erhalten angemessene Unterstützung und Schutz, einschließlich finanzieller Mittel, um ihren wichtigsten Beitrag zum Naturschutz zu erhalten. Würden die globalen Biodiversitätsziele rechtebasierte Ansätze im Naturschutz verankern, wäre dies ein wichtiger Beitrag dazu, den Naturschutz zu entkolonialisieren. Auf diese Weise könnten lokale Gemeinschaften ihre Gebiete besser verteidigen, etwa gegen die Agrarindustrie, legale und illegale Rohstoffgewinnung, korrupte Politiker, Landspekulanten und Ressourcenraub.


In diesem Zusammenhang sollte die GBF der Stärkung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, der substanziellen Beteiligung auf lokaler Ebene und darüber hinaus sowie der rechtlichen Anerkennung ihrer Menschen-, Land- und Eigentumsrechte Vorrang einräumen. Schließlich muss die Bedeutung von Fortschritten bei der rechtlichen Anerkennung der Rechte von IPLCs auf Land und andere Ressourcen für den Schutz der Natur in den globalen gebietsbezogenen Zielen für die Zeit nach 2020 kodifiziert und mit einem eigenen Ziel versehen werden. Der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen schlägt die Aufnahme des folgenden Ziels vor (als neues Ziel 3 oder als Zusatz zu Ziel 21), das starke Unterstützung finden sollte: „Bis 2030 die rechtliche Anerkennung und Sicherung der Eigentumsrechte von IPLCs an allen Ländereien, Gewässern und anderen natürlichen Ressourcen, die sie gewohnheitsmäßig oder anderweitig besitzen, bewirtschaften oder nutzen, sicherstellen, mit besonderem Augenmerk auf kommunale Rechte und die Eigentumsrechte von Frauen und Jugendlichen innerhalb dieser Gruppen“.

Über den Autor

Rodríguez de Francisco, Jean Carlo

Ökologische Ökonomie

Rodríguez de Francisco

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