Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Wie die EU ihre Krisenprävention und Friedensförderung stärken kann

Wie die EU ihre Krisenprävention und Friedensförderung stärken kann

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Bergmann, Julian / Mark Furness
Die aktuelle Kolumne (2020)

German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 05.10.2020

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft seit dem 1. Juli 2020 wird von mehreren politischen Krisen überschattet, die den Frieden in Europas Nachbarschaft bedrohen. Die katastrophale Explosion im Hafen von Beirut am 4. August wird dem dysfunktionalen politischen System sowie den korrupten Eliten des Landes angelastet. Währenddessen hat der „letzte Diktator Europas“ nach den manipulierten Wahlen in Belarus am 9. August versucht, Massenproteste gewaltsam zu unterdrücken. Überdies droht der Putsch in Mali vom 18. August das Land und die gesamte Sahelzone weiter zu destabilisieren.

Trotz der jahrelangen Schwierigkeiten innerhalb der EU einen gemeinsamen Ansatz der 27 Mitgliedstaaten zu finden, erfolgte die diplomatische Reaktion der EU auf diese drei Krisen relativ schnell und mit klarer Botschaft. Im Libanon haben Besuche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron (zwei Mal), des Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel sowie des deutschen Außenministers Heiko Maas den politischen Willen für europäisches Handeln unterstrichen. Neben der Zusicherung von Geldern für den Wiederaufbau in Beirut haben alle drei Politiker dabei die Notwendigkeit von politischen Reformen deutlich angesprochen und europäische Unterstützung angeboten. Im Hinblick auf Belarus hat die Führungsspitze der EU unmissverständlich ihre Solidarität mit dem Streben der Menschen nach demokratischen Grundrechten erklärt und die Vorschläge der OSZE zur Vermittlung eines nationalen Dialogs unterstützt. Allerdings hatte Zypern die EU-Sanktionen gegen die belarussische Führung durch die Verknüpfung mit dem Konflikt über Gebietsansprüche im östlichen Mittelmeer lange blockiert. Überdies hat die EU den Putsch in Mali schnell als unangemessene Reaktion auf den tiefgreifenden sozio-politischen Konflikt des Landes verurteilt, ihre Ausbildungsmissionen ausgesetzt sowie Vermittlungsversuche der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft unterstützt.

Dabei kam keine dieser Krisen besonders überraschend – weder für die betroffene Bevölkerung im Libanon, in Weißrussland oder Mali noch für erfahrene Beobachter*innen der drei Länder. In all diesen Ländern bestehen tiefsitzende, langanhaltende, ungelöste politische Konflikte. Gleichzeitig kann die EU in diesen drei Krisensituationen auch bei der Unterstützung der Bevölkerung für eine stabilere, friedliche und demokratische Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Dabei darf die EU ihren Blick allerdings nicht nur auf diese unmittelbaren Krisen richten.  

Das Ziel der längerfristigen Stärkung der Krisenpräventionsfähigkeiten der EU sowie ihrer Kompetenzen bei der Reaktion auf langanhaltende Konflikte bildet einen Aspekt des Programms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, der bisher noch nicht viel Aufmerksamkeit erhalten hat. Auf der Basis der eigenen Erfahrungen Deutschlands bei der Verabschiedung und Umsetzung der Leitlinien der Bundesregierung: Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern besteht das Ziel hier in der Entwicklung eines Europäischen Konsens. Dahinter steht die Absicht, die existierenden Fähigkeiten und Instrumente der EU in einer umfassenderen Krisenpräventions- und Friedensförderungsstrategie zu verankern. Dies soll auch zur erfolgreichen Umsetzung des „integrierten Ansatzes“ der EU für externe Konflikte und Krisen beitragen.

Dies ist ein lohnenswertes Unterfangen und sollte insbesondere zwei Zielen dienen: Erstens sollte im Prozess der Erstellung eines solchen Dokuments ein umfassender normativer Konsens zwischen den EU Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Europäischen Parlament im Hinblick auf Grundprinzipien, Instrumente und Partnerschaften in diesem Bereich erzielt werden. Die Verabschiedung eines Europäischen Konsens würde ein starkes Signal über die politische Bedeutung, die die EU der Krisenprävention und Friedenssicherung beimisst, senden und die Mitgliedstaaten auf ein stärkeres Engagement in einzelnen Krisenkontexten verpflichten. Zweitens könnte ein Europäischer Konsens auch einen dringend benötigten, übergreifenden strategischen Rahmen für die verschiedenen EU-Aktivitäten und Instrumente zur Krisenprävention, Konfliktmanagement und Friedensförderung schaffen. Dies gewinnt angesichts der andauernden Verhandlungen über neue Finanzierungsinstrumente an Bedeutung, wie die Europäische Friedensfazilität, durch die das außenpolitische Instrumentarium der EU um den militärischen Kapazitätsaufbau – einschließlich der Bereitstellung von Waffen und Munition - ergänzt werden würde. Ohne einen klaren strategischen Rahmen, der die Politikkohärenz für nachhaltigen Frieden ins Zentrum der EU Krisenprävention sowie der Aktivitäten zur Friedensförderung rückt, wird es der EU auch weiterhin schwer fallen, eine einheitliche, effektive Antwort auf Krisen zu finden.   

Natürlich wird die Erarbeitung eines neuen Strategiedokumentes allein die EU in ihrer Reaktion auf politische Krisen und gewalttätige Konflikte nicht effektiver machen. Der Prozess auf der strategischen Ebene muss vielmehr durch echtes politisches Engagement unterstützt werden. Auch wenn die Führungsspitze der EU dies im Hinblick auf den Libanon, Belarus und Mali signalisiert hat, werden all diese Krisen das langfristige Engagement der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten auf die Probe stellen. Auch wenn dies ein relativ kleiner Punkt im Programm der deutschen EU-Präsidentschaft zu sein scheint, ist die Vereinbarung eines Europäischen Konsens zur Krisenprävention von grundlegender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der EU als internationaler Akteur, als Förderer der eigenen grundlegenden Rechte, Werte und Interessen und als Triebkraft für den Frieden weltweit.


Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, welche die EU-Ratspräsidentschaft entwicklungspolitisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

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