Ende des libanesischen „Nationalpakts“?

Wie die internationale Gemeinschaft den Neubeginn im Libanon unterstützen kann

Wie die internationale Gemeinschaft den Neubeginn im Libanon unterstützen kann

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Trautner, Bernhard / Mark Furness
Die aktuelle Kolumne (2020)

German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 17.08.2020

Der Libanon darf nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut nicht scheitern. Soweit sind sich die Menschen im Libanon und auch die Internationale Gemeinschaft einig. Diese Eintracht hat viele Gründe: Die Libanes*innen wollen endlich einen funktionierenden Staat anstatt ein Land, in dem Müllabfuhr und Sicherheit fehlen. Das Land hat über eine Million Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Libanon ist zudem Drehscheibe und regionaler Stützpunkt für viele Unterstützungsmaßnahmen und internationale Hilfsorganisationen.

Der Abtritt der Regierung signalisiert allerdings keinen Neustart und eine politische Erneuerung wird nicht automatisch erfolgen. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1943 haben die bisherigen Regierungen den Staat vor allem als Beute betrachtet. Bereits in der Verfassung des Landes wurde das konfessionelle Proporzsystem zementiert, das trotz seiner Bezeichnung als „Nationalpakt“ verhindert hat, dass eine am nationalen Ganzen orientierte politische Klasse entsteht. Das konfessionelle System, das mit der Machtteilung nach dem Bürgerkrieg zwischen Sunnit*innen, Schiit*innen und Christ*innen den Frieden sicherte, hat sich immer weiter ausdifferenziert – zugunsten einer Klientelpolitik und erheblicher wirtschaftlicher und politischer Korruption.

Es ist ein Dilemma: Einerseits benötigt internationale Wiederaufbauhilfe legitime, staatliche Partner. Das gilt gerade, wenn es darum geht, nachhaltige Strukturen aufzubauen, wie die libanesischen Demonstrant*innen ja nicht erst seit der Katastrophe in Beirut fordern. Schon, um einen Kreditvertrag mit den internationalen Finanzinstitutionen für Wiederaufbauhilfe zu unterzeichnen, bedarf es einer nationalen Regierung, die pro forma hierfür die Verantwortung übernimmt.

Andererseits: Je größer die Unterstützungszusagen der Internationalen Gemeinschaft für den Libanon werden, desto größer wird, zusammen mit der nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsleistung des Landes, der zu verteilende Kuchen für die politische Führung. Wie schon in den Jahren zuvor ist zu befürchten, dass die konfessionellen Führungen sich nur zusammenraufen, um Neuwahlen zu erreichen und eine weitere Technokraten-Regierung einzusetzen. Außenminister Maaß hat richtigerweise bei seinem Besuch zum Kriterium für die staatliche Wiederaufbauhilfe erhoben, dass die politische Führung die Anliegen der Bevölkerung endlich ernstnimmt.

Die Katastrophe bietet gleichwohl auch eine Reformgelegenheit für das Land. Dabei ist vorsichtiges Handeln geboten. Zum Beispiel könnte die Verantwortung für die soziale Grundsicherung im Land von den Konfessionsgruppen – und voraussichtlich gegen ihren Widerstand – weg in eine gesamtstaatliche Aufgabe überführt werden. Das von internationalen Gebern finanzierte und gemeinsam von Welternährungsprogramm (WEP) mit der lokalen Verwaltung umgesetzte System der direkten finanziellen Grundsicherung von Flüchtlingen und Aufnahmegemeinden könnte auf die libanesische Gesellschaft ausgedehnt und sukzessive stärker vom libanesischen Staat selbst finanziert werden. Das wäre gerechter und auch effizienter als die weitgehend ungezielten Subventionen von Nahrungsmitteln oder Kraftstoffen, wie sie aktuell die meisten Regierungen in der nahöstlichen Region verteilen.

Für Libanons internationale Partner ist Umsicht angesagt. Für die jetzt zu leistende Not- und Übergangshilfe sind staatliche Strukturen zunächst nur bedingt notwendig. Aufgrund der Syrienkrise sind neben dem WEP viele andere Internationale Organisationen, wie etwa das Kinderhilfswerk UNICEF, im Land. Ihre Aktivitäten im Bildungsbereich sind zwar bislang eng mit der libanesischen Regierung abgestimmt. Doch bestehen auf Verwaltungsebene hinreichend Kontakte, die zum Beispiel die Bedarfsermittlung, Projektplanung und Finanzierung für die Rehabilitierung von Schulen in Beirut stemmen könnten.

Bewährt hat sich auch die Unterstützung über private Träger: Organisationen wie etwa die Deutsche Welthungerhilfe reichen Spenden und Zuwendungen an vertraute, lokale Partner im Land weiter und stehen ihnen bei der Projektentwicklung und -umsetzung zur Seite. Hilfreich ist hierbei, dass der Libanon über eine relativ freie Zivilgesellschaft und einen im regionalen Vergleich hohen Grad an Meinungsfreiheit verfügt, die auch eine gewisse Kontrolle über die Mittelverwendung sichert.

Die katastrophale Explosion in Beiruts Hafen hat deutlich gezeigt, wie lebensgefährlich der marode, konfessionell segmentierte ‘Nationalpakt‘ geworden ist. Ein neuer Gesellschaftsvertrag muss von der libanesischen Gesellschaft selbst kommen, und Deutschland und andere internationale Partner müssen bereit sein, die lokalen, zivilgesellschaftlichen Akteure zu unterstützen: Sie sind die Träger der politischen Erneuerung und Wächter darüber, dass der Wiederaufbau zu einem echten Neubeginn führt.

Über die Autor*innen

Furness, Mark

Politikwissenschaft

Furness

Trautner, Bernhard

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Trautner

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