Zwei Jahre nach Beginn des „arabischen Frühlings“: Die entscheidenden Fragen der Zusammenarbeit bleiben bislang unbeantwortet

Zwei Jahre nach Beginn des „arabischen Frühlings“: Die entscheidenden Fragen der Zusammenarbeit bleiben bislang unbeantwortet

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Houdret, Annabelle / Markus Loewe
Die aktuelle Kolumne (2013)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 10.06.2013)

Bonn, 10.06.2013. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seitdem der „arabische Frühling“ die politischen Systeme in fünf Ländern grundlegend erschüttert hat: Im Jemen konnte das alte Regime seine Herrschaft unter neuer Führung wiederherstellen; in Syrien tobt ein verheerender Bürgerkrieg; nur in drei Ländern kam es tatsächlich zum Regierungssturz – in Ägypten, Tunesien und Libyen – doch auch hier sind die meisten Revolutionäre der ersten Stunde heute bitter enttäuscht. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal; immer wieder kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern; neue Regierungen sind aus demokratischen Prozessen hervor gegangen, doch es ist ihnen noch nicht gelungen, einen gesellschaftlichen Konsens über die Gestaltung der zukünftigen Entwicklung ihres jeweiligen Landes herzustellen. Die jüngst verhängten Haftstrafen für Mitarbeiter ausländischer politischer Stiftungen – darunter die Konrad-Adenauer-Stiftung – zeigen, dass auch unter den neuen Regimen Rechtssicherheit und die Möglichkeit politischen Engagements keineswegs gewährleistet sind.

Auch in vielen der übrigen arabischen Länder gärt Unmut über die politischen und sozioökonomischen Verhältnisse, er hat hier jedoch bisher zu keinen grundlegenden Veränderungen der autoritären Herrschaftsstrukturen geführt.

Derweil hat sich allerdings auch in der deutschen und europäischen Politik gegenüber den arabischen Ländern noch nicht viel geändert. Nach wie vor orientiert sie sich nur bedingt daran, ob ein Land demokratisch regiert wird oder nicht. Und auf zahlreiche Fragen hat sie noch keine konsistente Antwort gefunden:

Wie soll mit Autokraten umgegangen werden? Nach wie vor werden die meisten arabischen Länder von autoritären Regimen beherrscht, die keine Opposition zulassen, die freie Rede einschränken und politische Gefangene misshandeln. Sollten nicht Lehren aus der langjährigen Unterstützung Ägyptens unter Mubarak und Tunesiens unter Ben Ali für die Zusammenarbeit mit derartigen Regimen gezogen werden? Darf weiterhin von Fall zu Fall mit unterschiedlichem Maß gemessen werden? Vor dem Hintergrund des “arabischen Frühlings“ kann es ein unreflektiertes „Weiter-so-wie-bisher“ beim Umgang mit Autokraten ebenso wenig geben wie den vollständigen Abbruch der Beziehungen – schließlich will man im Dialog bleiben und Einfluss zugunsten von Reformprozessen nehmen. Zusammenarbeit mit autoritären Regimen kann sinnvoll sein – zum Beispiel, wenn sie vor allem dazu beiträgt, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Problematisch ist die Kooperation hingegen, wenn sie ein nicht-demokratisches Regime stabilisiert und dadurch den Druck zu politischen und ökonomischen Reformen sogar noch reduziert anstatt sie zu befördern.

Auf welcher Grundlage werden nach einem Regimesturz neue Kooperationspartner ausgewählt? Wie wird mit Vertretern der alten Ordnung umgegangen, wie mit neuen Machthabern? Wie reagieren wir auf Einschüchterungsversuche wie die erwähnten Haftstrafen für die Vertreter deutscher Nichtregierungsorganisationen? Wie sollen wir religiösen Akteuren begegnen und wie können wir hierbei der Vielzahl der Gruppierungen – von friedfertigen bis radikalen Strömungen – gerecht werden?

Was soll durch die Kooperation mit arabischen Ländern überhaupt erreicht werden? In Anbetracht des Umfangs und der Bandbreite deutscher und europäischer Zusammenarbeit bedarf es eines klaren Leitbilds. Geht es vor allem um die Verbesserung der sozioökonomischen Lebensbedingungen der Menschen? Oder auch um Menschenrechte, politische Mitsprache und gute Regierungsführung? Oder ist das Ziel vielmehr die Stabilisierung der politischen Ordnung – ganz egal, ob diese nun demokratisch ist oder nicht – oder gar die Sicherung von Absatzmärkten für deutsche Produkte?

Wie wird mit Zielkonflikten umgegangen? Natürlich kann Kooperation mehreren der oben genannten Ziele zugleich dienen. Dann stellt sich aber die Frage, wie im Falle eines Zielkonflikts entschieden wird. Wenn zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit Landwirtschaft und Industrie fördert, deren Produkte aber aufgrund der Handelspolitik der Europäischen Union keine Chance haben, nach Europa exportiert zu werden. Oder wenn Rechtsstaatlichkeit gepredigt wird, zugleich aber Rüstungsgüter geliefert werden, mit denen sich auch Demonstrationen niederschlagen lassen. Und wie wird zukünftig mit dem Dilemma ‚Sicherheit versus Demokratie‘ umgegangen? Allzu lange hat auch Deutschland zugunsten einer vermeintlichen Stabilität eng mit den Autokraten in Ägypten, Libyen und Tunesien zusammengearbeitet und zum Beispiel bis zum Schluss Geheimdienste, Internetzensur und Sicherheitskräfte unterstützt.

In diesem Zusammenhang wird oft ein Gegensatz zwischen einer Interessen- und einer Werteorientierung der Zusammenarbeit diagnostiziert. So räumte mancher Entscheidungsträger in der Vergangenheit ein, dass es Deutschland und Europa bei der Entwicklungszusammenarbeit mit arabischen Ländern gar nicht um Entwicklung und Armutsbekämpfung sondern um Stabilität am Suezkanal, an den Öl- und Gasquellen und für Israel gehe. Trotz wiederholter Warnungen von Regionalexperten sahen viele nicht ein, dass eine solche Politik die arabischen Partnerländer nur kurzfristig und oberflächlich und auf Kosten von Menschenrechten und demokratischen Prinzipien stabilisierte.

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass sich Interessen und Werte der Entwicklungszusammenarbeit nicht widersprechen müssen: langfristig dient Deutschland und Europa genau das, was auch den Menschen in den arabischen Ländern nutzt. Wichtiger als eine kurzfristige Verbesserung der europäischen Handelsbilanzen sollte uns die nachhaltige sozioökonomische und politische Stabilisierung der arabischen Länder sein. Ohne sie wird es keinen Frieden geben, und der Migrationsdruck nach Europa wird in einem bislang nicht vorstellbaren Maße anwachsen.

Was können Deutschland und Europa den arabischen Ländern überhaupt bieten? Was können wir tun, um die soziale, wirtschaftliche, politische und ökologische Entwicklung in diesem Teil der Welt zu befördern und im Sinne der oben erwähnten Zielvorstellungen zu beeinflussen?

Der Handlungsspielraum der Entwicklungszusammenarbeit reicht hierfür bei Weitem nicht aus. Zudem sind wir weder die einzigen noch die wichtigsten ausländischen Akteure in dieser Region. Zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und der Etablierung demokratischer Prinzipien und Prozesse wird es wohl erst dann kommen, wenn die Menschen in den arabischen Ländern für sich eine realistische Perspektive auf ein besseres Leben in der Zukunft sehen. Eine solche Perspektive können Deutschland und Europa jedoch nur bieten, wenn sie die wesentlichen Bereiche ihrer außenorientierten Politik in diesem Sinne strategisch koordinieren: Von der Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik bis hin zur Umwelt-, Rüstungs- und Migrationspolitik gibt es hier Handlungsspielraum. In Osteuropa verlief die Transformation nach 1989 trotz sozialer Verwerfungen vor allem deswegen friedlich und ohne größere Rückschläge, weil den Ländern die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union in Aussicht gestellt wurde. Ein solches Angebot gibt es für die arabischen Länder nicht. Zumindest sollte Europa ihnen aber eine umfassende Öffnung der Märkte für Waren und Dienstleistungen sowie eine großzügigere Migrationspolitik anbieten.

Über die Autor*innen

Houdret, Annabelle

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Loewe

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