60 Jahre Menschenrechte - kein Abgesang

60 Jahre Menschenrechte - kein Abgesang

Download PDF 129 KB

Böckenförde, Markus / Oliver Schlumberger
The Current Column (2008)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 08.01.2009)

Bonn, 08.12.2008. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Grundlage für mehr als 60 internationale Menschenrechtsverträge, die das rechtliche Regime des internationalen Menschenrechtsschutzes bilden – feiert ihren 60. Geburtstag: Anlass genug, positive und negative Entwicklungen der vergangenen Dekaden im Bereich des Menschenrechtsschutzes zu beleuchten und zu überlegen, wie die Akzeptanz universell verbindlicher Menschenrechte weiter gefördert werden kann.

Um die Menschenrechte global institutionell zu stärken, wurde der UN-Menschenrechtsrat geschaffen, der die Menschenrechtskommission ablöste. Frustration über die mangelnde Effizienz auch dieses neuen Instruments stellte sich schnell ein. Resolutionen, die sich mit der Menschenrechtslage in Staaten wie Simbabwe oder dem Kongo beschäftigten, kommen meist gar nicht zustande. Zahlreiche afrikanische Regierungen sind nicht bereit, Kritik an Ländern aus ihrem geografischen Raum hinzunehmen, solange die westliche Staatengruppe nicht willens ist, Menschenrechtsverletzungen durch die USA wie im Gefangenenlager Guantanamo klar als solche zu benennen. Vielfach mögen dies Schutzbehauptungen afrikanischer Despoten sein, um eigene schwere Vergehen zu relativieren. Wahr ist aber auch, dass die westliche Welt oftmals doppelte Standards im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen anlegt und so die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen außerhalb der OECD-Welt erschwert, für ihre Bemühungen breite Zustimmung in der Zivilgesellschaft zu finden. Denn solange Teile der westlichen Gemeinschaft durch ihr Verhalten den Anschein erwecken, dass Menschenrechte nur bedingt universell und unteilbar einzufordern seien, um so schwieriger wird es, glaubhaft zu machen, dass es sich um ein internationales Rechtsregime und nicht etwa um machtpolitische Instrumente handelt.

Versetzen wir uns in die Rolle von Samia, einer sudanesischen Juristin und Menschenrechtsaktivistin. Mit Gleichgesinnten hat sie eine kleine Organisation gegründet, die bei der Bevölkerung ein breiteres Bewusstsein für verbindliche internationale Menschenrechtsstandards schaffen will. Samia stammt aus einer angesehenen Familie. Vielleicht genießt sie deshalb be­grenzte Freiräume für Ihre Organisation und kann im Kleinen Diskussionsforen anbieten. Die Teilnehmer ihrer Veranstaltungen, oft selbst Juristen, ringen teilweise noch um eigene Positionen, suchen Argumente oder wollen provozieren. In Diskussionen ist Samia somit häufig Fragen ausgesetzt, zu denen sie nur schwer überzeugende Antworten findet.

Auch im Sudan ist bekannt, dass die US-amerikanische Regierung mit Einführung des Begriffes „ungesetzliche Kombattanten“ bewusst einen rechtsfreien Raum schuf, um Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts aus dem Weg zu gehen. Dass folterartige Verhörpraktiken wie „water boarding“ in amerikanischen Einrichtungen mit Billigung und auf Anordnung der US-Regierung zur skandalösen Praxis wurden, oder dass ein System der Entführungen und der geheimen Verschleppungen von Verdächtigen in Folterstaaten und Geheimgefängnisse errichtet wurde, ist mittlerweile etabliertes Wissen. Was soll Samia auf die Frage antworten, ob sich das amerikanische Projekt des demokratischen Regimewechsels in sogenannten Schurkenstaaten bei seiner Umsetzung nicht zum Teil ähnlicher Mittel bediente, die auch afrikanische und andere Despoten beim Erhalt ihrer autoritären Regime anwenden? Und wie erklärt Samia die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen hochrangige US-Beamte und -Militärs wegen des Verdachts der Folterung in Abu Ghraib durch den deutschen Generalbundesanwalt? Als einer der Gründe hierfür wurde die Nichteinmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten genannt. Dadurch aber wird nicht nur die auf internationaler Ebene mühsam erkämpfte und in Deutschland rechtlich bereits umgesetzte Idee des Weltrechtsprinzips bei internationalen Strafverbrechen konterkariert. Samia muss nun auch beantworten, warum diese Begründung nur zur Vermeidung transatlantischer Verwerfungen angewandt werden darf, nicht aber für andere Fälle. Zudem fällt es Samia schwer, eine passende Antwort darauf zu finden, weshalb China für die wirtschaftliche Kooperation mit dem Sudan von der westlichen Welt an den Pranger gestellt wird, die engen ökonomischen Beziehungen zwischen Saudi Arabien und den USA aber kaum problematisiert werden – von den Beziehungen westlicher Staaten zu China selbst zu schweigen. Samia überlegt zu entgegnen, dass die Ausmaße der Verbrechen in Darfur ungleich gewaltiger seien, die Zahl der Opfer um ein Vielfaches höher liege, und in Darfur eine humanitäre Katastrophe herrsche. Aber sie zögert. Denn sind nach der Allgemeinen Menschenrechtserklärung nicht alle Menschen, und zwar jeder Einzelne, gleich an Würde und Rechten? Und ist das individuelle Leid eines Mädchens in Saudi Arabien, das als Opfer einer Gruppenver­gewaltigung auch noch zu 90 Peitschenhieben verurteilt wurde, geringer?

Samia tritt auch dafür ein, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wegen der Verbrechen in Darfur aktiv wird – als Juristin weiß sie sehr genau, dass die in Khartum häufig geäußerten Empörungen über die Völkerrechtswidrigkeit eines solchen Verfahrens haltlos sind. Denn obgleich der Sudan nicht Vertragspartei des hier relevanten „Rom-Statuts“ ist, ist er dennoch Mitglied der Vereinten Nationen und damit an Resolutionen des Sicherheitsrats gebunden. Und anstatt wie in den Fällen des ehemaligen Jugoslawien oder Ruandas ein Tribunal jeweils adhoc zu errichten, kann der Sicherheitsrat eine Sache auch unmittelbar an den Strafgerichtshof verweisen, was er im Fall Darfur getan hat. Was aber Samia das Leben schwer macht, ist der Inhalt der Verweisung. In deren Paragraph 6 steht nämlich, dass von vornherein nicht gegen Angehörige eines Staates ermittelt werden darf, die auf Grundlage eines Sicherheitsratsbeschlusses im Rahmen einer UN-Mission im Sudan stationiert sind soweit deren Staat nicht Vertragspartei des Rom-Statuts ist. Sollten also ein Sudanese und ein US-amerikanischer Soldat, der im Rahmen eines UN-Einsatzes vor Ort ist, zur gleichen Zeit am gleichen Ort ein und dieselbe Straftat nach dem Rom Statut begehen, darf auf Grundlage dieser Resolution gegen den Sudanesen, nicht aber gegen Amerikaner ermittelt werden. Hierdurch werden nicht nur die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts entwertet, sondern auch die innere Struktur des Rom-Statuts. Denn danach darf nur eine „Sache“ an den IStGH verwiesen werden, nicht aber Einzelfälle. Auch Samia selbst kann sich des Verdachtes nicht erwehren, dass die Anwendung des Völkerrechts hier durch das Primat machtpolitischer Interessen überschattet wird. Ist dies der notwendige Preis, der hinzunehmen ist, um die Verantwortlichen der Darfur-Krise dingfest zu machen? Im Sudan und anderen Teilen der Welt ist dies nicht vermittelbar. Bei vielen Teilnehmern von Samias Veranstaltungen macht sich Frustration breit, die gelegentlich in Wut umschlägt; sie sind für weitere Veranstaltungen verloren.

Was sagt Samias Beispiel aus? Diktatoren ärmerer und abhängiger Länder haben es heute, 60 Jahre nach Verabschiedung der Menschenrechtserklärung, fraglos schwerer als früher, grobe Menschenrechtsverletzungen ungesühnt zu begehen. Andererseits werden von politischen und wirtschaftlichen Schwergewichten wie China oder Russland begangene Menschenrechtsverletzungen, aber auch diejenigen von Staaten wie Saudi-Arabien, auf deren Exporte die Weltwirtschaft nach wie vor angewiesen ist, nicht geahndet und wenig angeprangert. Soll die globale Akzeptanz verbindlicher und universeller Menschenrechte effektiv befördert werden, so erfordert dies zweierlei: Erstens die strikte Einhaltung der Menschenrechte innerhalb der Gemeinschaft westlicher Demokratien, um deren Einhaltung auch international glaubwürdig einfordern zu können. Dies entzöge afrikanischen und anderen Despoten ihre Argumentationsgrundlage und würde den Kreis der Unterstützer von Menschenrechten erweitern und stärken – und umgekehrt die Akzeptanz derjenigen Staaten begrenzen, die rechtlich bindende Verpflichtungen prinzipiell ablehnen oder systematisch gegen die Menschenrechte verstoßen. Kurzum: Menschenrechte beginnen „zuhause“. Zweitens sollten diejenigen Staaten, die sich zu den Verfechtern der Menschenrechte zählen, ihre Einforderung der Menschenrechte international konsistenter gestalten, um Vorwürfe doppelter Standards zu entkräften. Recht ist bekanntermaßen nur dann uneingeschränkt Recht, wenn es ohne Ansehen der Person (oder Regierung) Gültigkeit besitzt. Dies ist nicht allein eine Frage der eigenen Glaubwürdigkeit, sondern wäre ein aktiver Beitrag zur Stärkung der Position von Samia – und damit von Menschenrechtsaktivisten in aller Welt.

Samia ist dankbar für die finanzielle Unterstützung, die ihre Organisation von den USA und der EU erfährt. Anlässlich des 60. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat Samia allerdings einen dringenden Wunsch an die Mitgliedstaaten der EU und die USA: Ihr nicht nur den finanziellen Rahmen für die Durchführung ihrer Projekte zu bewilligen, sondern sich auch für eine wirkungsvolle Umsetzung der Projekte einzusetzen, damit die eingesetzten Mittel Früchte tragen können. Dies erfordert aber ein konsistenteres Auftreten der USA und der Mitgliedsstaaten der EU für die weltweite Einhaltung der Menschenrechte, im Innern und nach außen, unabhängig davon, wo und von wem sie verletzt werden. Und das wiederum bedarf größerer Anstrengungen, als nur finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Solche Anstrengungen sind unerlässlich, damit Menschenrechte für aufgeschlossene und kritische Menschen, in Afrika und anderswo, als universell und für jeden gleichermaßen gültig wahrnehmbar werden.

Further experts