Die Rosenmontags-Kolumne: und wer entwickelt uns?

Die Rosenmontags-Kolumne: und wer entwickelt uns?

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von Haldenwang, Christian
The Current Column (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 20.02.2012)

Bonn, 20.02.2012. Es war beim Länderspiel unserer Fußballnationalmannschaft gegen Belgien im Oktober letzten Jahres, als die Kommentatorin Katrin Müller-Hohenstein wieder mal zu großer Form auflief. Gerade hatte Mesut Özil das 1:0 für Deutschland erzielt, da vermerkte M-H, dass er damit die Erwartungen seiner „Landsleute“ in der Türkei ganz sicher erfüllt habe. Wenn ihr Gegenüber im Studio in diesem Moment geistig ähnlich flink gewesen wäre wie seinerzeit auf der Torlinie, hätte er vielleicht erwidert, dass Özils Landsleute, nämlich wir Deutschen, in der Tat begeistert von seinen Spielkünsten sein dürften. Dem hätte sich ein Austausch darüber anschließen können, wie bunt unsere Nationalmannschaft geworden ist, und wie „más integración“ den deutschen Fußball herausfordert und verändert.

Aber nicht nur im Fußball: an vielen Stellen ändern sich gegenwärtig die Koordinaten, an denen wir uns die vergangenen 50 Jahre orientieren konnten. Früher galten wir weltweit als sparsame Haushälter, arbeitsame Tüftler und effiziente Organisatoren, etwas hüftsteif vielleicht und nicht unbedingt die Lustigsten, aber ehrliche Häute allemal. Die Entwicklungszusammenarbeit hat viel dazu beigetragen, dieses Bild in die Welt hinaus zu transportieren.

Nun aber müssen wir in China und anderswo Kapital einwerben, um die Eurokrise in den Griff zu bekommen. Wir konkurrieren mit anderen Ländern um Fachkräfte, weil wir aufgrund obsoleter Bildungs- und Steuerpolitiken dabei versagt haben, die eigenen Humanressourcen (Frauen, junge Leute mit Migrationshintergrund) angemessen zu fördern. Wir müssen uns anhören, wie Lateinamerika (!) uns Ratschläge zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise gibt. Und bei alledem müssen wir auch noch immer mehr internationale Führungsaufgaben übernehmen, ohne dass unser Führungspersonal übertrieben viel Ahnung von modernen Managementmethoden hätte. Kleiner Tipp: Anraunzen wird als Mittel zur Motivationssteigerung befreundeter Regierungen oft überschätzt.

Keine Frage, wir müssen uns weiterentwickeln und den veränderten globalen Bedingungen anpassen. Aber wer (außer Özil, Gómez und Co.) kann uns dabei helfen? An dieser Stelle könnte man wieder einmal auf das segensreiche Wirken des Karnevals verweisen, von dem auch die protestantischste aller Pastorentöchter noch lernen kann, wie man sich verhält, wenn alles geht, aber nichts richtig funktioniert. Griechische Verhältnisse, sozusagen. Karneval lebt bekanntlich von der Umkehrung der Rollen. Der Diener macht sich zum Herren, der Zivilist zum Gardeoffizier, die Wäscherin zur Bürgermeisterin. Man hält sich den Zerrspiegel vors eigene Gesicht und probiert gemeinsam neue Verhaltensmuster aus – teilweise mit überraschend realen Ergebnissen, wenn man den Geburtsstationen der rheinischen Kliniken Glauben schenken darf.

Aber der Karneval endet bekanntlich am Aschermittwoch und lässt uns verkatert zurück. Gibt es denn niemanden, der uns auch abseits des närrischen Treibens durch die turbulenten Zeiten lotsen kann? Glücklicherweise doch: Kein Politikfeld ist so um Aufbruch zu neuen Ufern bemüht wie die Entwicklungspolitik. Zwar wird von boshaften Kleingeistern immer noch gerne erwähnt, dass der eine oder andere Minister vor Amtsantritt eigentlich darauf aus war, sein Haus (nennen wir es mal, wie die FAZ am 26.01.2012, das „BMWZ“) abzuschaffen. Nicht mal der Bundespräsident (Sie erinnern sich: Christian Wulff) konnte sich bei der Feier zum 50. Geburtstag des BMZ einen derartigen Hinweis verkneifen. Manche behaupten sogar, dass dieser Plan immer noch existiert und aktuell auf perfide Weise umgesetzt wird. Ungerecht! Blödsinn! Nichts deutet darauf hin, dass die Führungsspitze des BMZ zu einem solchen Verhalten imstande wäre.

Stattdessen wächst und gedeiht das Ministerium nach allen Regeln der Kunst. Auch die Medienkompetenz in den entwicklungspolitischen Organisationen nimmt unentwegt zu. Der mittlerweile zum Alltag gewordene Umgang mit Facebook, Google+ und Twitter hat zum obersten Ziel, eine entwicklungsmüde gewordene Öffentlichkeit für jene Themen zu begeistern, welche die Grenzen des Euroraums überschreiten und deshalb von unserer Regierung nicht im Alleingang durchgesetzt werden können. So wird die entwicklungsministeriale Baumarktwerbung: „Wir machen Zukunft - machen Sie mit!“ aufs schönste umgesetzt. Klar machen wir mit, denn wer will die Zukunft schon so, wie sie sich aktuell darstellt?

Die deutsche Entwicklungspolitik hat die Zeichen der Zeit insofern nicht nur erkannt, sie setzt sie gewissermaßen selber in den Sand der Geschichte: Bei der Suche nach neuen Politikmodellen dürfen wir uns nicht mehr auf altbewährte Tugenden und überlieferte Traditionen verlassen, sondern müssen neue Kräfte mobilisieren. Kühnheit ist gefragt, und sie schlägt sich nirgendwo so eindrucksvoll nieder wie in den Mitteilungen aus der Chefetage des BMZ: „In Deutschland gibt es nicht nur Wut-Bürger, sondern auch ganz viele Mut-Bürger“, schreibt man dort anlässlich der Eröffnung der Servicestelle „Engagement Global“, und setzt gleich noch einen drauf: „Wir wollen diese Mut-Bürger zu Tut-Bürgern machen!“

Welcher Gutbürger mag dem nicht zustimmen? Engagement total ist die Parole, und wenn man die Hinterteile Bonner Stadtbusse betrachtet, auf denen Werbung für die neue Entwicklungspolitik gemacht wird, könnte man sogar von einer „Tut-Tut-Bürgerschaft“ sprechen. Man spürt förmlich, wie die schon von Edmund Stoiber ins Spiel gebrachte „gludernde Lot“ uns erfasst und eine Flut entwicklungspolitischer Initiativen in Gang setzt, mit Bürgern, Unternehmen und staatlichen Behörden einträchtig Hand in Hand. Nur Mut, ihr Jecken: Das wird ganz bestimmt „een superjeile Zick“!

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