Können die das? Wer die grüne Transformation der Weltwirtschaft voranbringen will, muss die Vereinten Nationen umbauen

Können die das? Wer die grüne Transformation der Weltwirtschaft voranbringen will, muss die Vereinten Nationen umbauen

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Simon, Nils / Marianne Beisheim / Steffen Bauer
The Current Column (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 06.06.2011)

Bonn, Berlin 06.06.2011. In einem Jahr werden sich zahlreiche Staats- und Regierungschefs zwanzig Jahre nach dem „Erdgipfel“ von 1992 erneut im brasilianischen Rio de Janeiro versammeln, um auf der UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung (UNCSD) wichtige Weichen für die Zukunft der Weltorganisation zu stellen. Wie von der UN-Generalversammlung beschlossen, werden sie sich dabei auf zwei Themen konzentrieren: die Gestaltung einer „Green Economy“ im Kontext nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung, und die Reform der institutionellen Rahmenbedingungen zur Umsetzung dieses neuen Entwicklungspfades.

Vieles deutet darauf hin, dass Diskussionen um Sinn und Zweck einer Green Economy den Gipfel dominieren werden. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat jüngst eine weit reichende Definition vorgelegt, wonach unter Green Economy eine Wirtschaftsweise zu verstehen ist, „die zu verbessertem menschlichen Wohlbefinden und mehr sozialer Gerechtigkeit führt, während sie gleichzeitig Umweltrisiken und ökologische Knappheiten deutlich verringert“. Dies passt zur nach der Wirtschaftskrise gestiegenen Unzufriedenheit mit den klassischen Wachstumsmodellen, die sich auch in den Debatten über ein neues Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität widerspiegelt.

Bewusst wird bislang darauf verzichtet, eine Definition „top down“ in Stein zu meißeln. Die sozioökonomischen Bedingungen in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern sind ohnehin viel zu verschieden, als dass man sie mit einheitlichen Instrumenten auf Nachhaltigkeit trimmen könnte. Vielmehr sind passgenaue bottom up-Ansätze zu entwickeln, die sich am Leitbild der Green Economy orientieren. Allerdings müssen die Regierungsvertreter aufpassen, dass ausufernde Diskussionen über Definitionen und Konzepte nicht als Ausrede für schwammige Maßnahmen und business as usual herhalten. Die globalen Risiken, die sich aus einer ungebremsten Überschreitung ökologischer Grenzen ergeben, erlauben keine weiteren Verzögerungen und „Aktionspläne“, die nur auf dem Papier stehen.

Benötigt werden konkrete Gipfel-Entscheidungen, die der Staatengemeinschaft den Übergang zu einer grünen Ökonomie weltweit erleichtern. Das bedeutet u. a., handlungswillige Länder darin zu unterstützen, innovative Infrastrukturen aufzubauen, Ressourceneffizienz zu steigern und verstärkt erneuerbare Energiequellen zu erschließen. Dies eröffnet Chancen für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer. So beabsichtigt die Europäische Union, im Rahmen einer Green Economy Roadmap maßgeschneiderte Unterstützung für Staaten anzubieten, die sich ernsthaft für eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft interessieren, und nationale Green Economy-Pläne bis 2030 umsetzen wollen. Das klingt viel versprechend, muss aber weiter konkretisiert und mit finanziellen Zusagen verknüpft werden, um Wirkung entfalten zu können.

Das zweite Gipfelthema, die Reform der Vereinten Nationen im Bereich Umwelt und nachhaltige Entwicklung, ist ein weiterer Lackmustest für die Ernsthaftigkeit des beabsichtigten Transformationsprozesses. Die von vielen Beobachtern als nebensächlich wahrgenommene Neuausrichtung der relevanten UN-Institutionen würde den visionären Green Economy-Ideen erst das nötige Fundament liefern. Momentan sind die Vereinten Nationen schlicht nicht in der Lage, die von ihnen erwartete Unterstützung für einen Umbau der Weltwirtschaft zu leisten: Die institutionelle Architektur der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik ist hochgradig fragmentiert, unterfinanziert und insgesamt kaum schlagkräftig. So werden etwa die vielfältigen multilateralen Umweltabkommen bestenfalls lose miteinander koordiniert, zugesagte Finanzmittel fließen unregelmäßig und unzuverlässig.

Lösungswege werden bereits seit Jahren diskutiert. Im Vorfeld der Rio-Konferenz haben sich zwei Modelle für eine Reform der einschlägigen UN-Institutionen als besonders ambitioniert herauskristallisiert: Da ist erstens der vom Gastgeberland Brasilien eingebrachte Vorschlag einer neuartigen Dachstruktur für Umwelt und nachhaltige Entwicklung, in deren Rahmen das gesamte Aufgabenspektrum der UN in diesem Bereich reorganisiert werden würde. Und zweitens – ggf. als tragende Säule eines solchen Daches – die Einrichtung einer UN-Sonderorganisation für Umwelt, die umweltpolitische Aktivitäten bündeln sowie politisch sichtbarer und umsetzungsfähiger machen soll, als dies das existierende UN-Umweltprogramm vermag.

Beide Modelle weisen deutlich über die bisherigen, kleinteiligen Reformschrittchen hinaus. Die verbleibenden Vorbereitungsgespräche zur UNCSD sollten zwingend das Ziel verfolgen, die auf absehbare Zeit einmalige Gelegenheit zu nutzen und im kommenden Jahr endlich eine weit reichende Reform zu beschließen. Das Schneckentempo der Klimaverhandlungen, die Ohnmacht des UNEP oder zuletzt das Scheitern der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung, die sich bei ihrem Jahrestreffen im Mai 2011 nicht einmal auf eine Abschlusserklärung einigen konnte, demonstrieren nachdrücklich, wie dringend eine grundlegende institutionelle Neuausrichtung der Vereinten Nationen im Bereich Umwelt und nachhaltige Entwicklung ist. Ein gestärktes Mandat, gepaart mit politischer Führungsstärke als Rückendeckung, effektivere Verhandlungsprozesse und Umsetzungsinstrumente sowie hinreichende und gesicherte finanzielle Mittel sind unerlässliche Elemente einer solchen Reform. Innovative Reformmodelle, die die Zustimmung sowohl der Industrie- als auch Entwicklungs- und Schwellenländer finden können, müssen dringend entwickelt werden.

Bis Ende dieses Jahres soll der erste Entwurf eines Abschlussdokumentes entwickelt werden. Im Rahmen internationaler Verhandlungen heißt das, es bleibt nicht mehr viel Zeit, um ambitionierte Ideen national und international abzustimmen und politische Allianzen für deren Unterstützung zu schmieden. Schließlich bedarf es am Ende der Rio-Konferenz wieder eines Konsenses der Staatengemeinschaft. Dieser muss konkrete Beschlüsse enthalten und darf sich nicht in leeren Formelkompromissen erschöpfen, wie wir sie in der Vergangenheit zu oft gesehen haben. Wann, wenn nicht in Rio 2012, soll endlich ein großer Wurf gelingen? Mehr noch: Wenn Rio 2012 scheitert, steht die Relevanz der Vereinten Nationen als Wegbereiter nachhaltiger Entwicklung vollends infrage. Umso wichtiger ist es, die verbleibende Zeit zu nutzen und bereits zum Beginn des Gipfels am 4. Juni 2012 den Staats- und Regierungschefs einen ebenso konsenstauglichen wie substantiellen Reformvorschlag vorzulegen.

Nils Simon und Dr. Marianne Beisheim, Wissenschaftliche Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Globale Fragen, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Dr. Steffen Bauer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Umweltpolitik und Ressourcenmanagement, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Die aktuelle Kolumne erscheint zeitgleich als „Kurz gesagt“ auf der Website der SWP.

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Bauer, Steffen

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