Lieferketten nachhaltig gestalten

Die Integration in globale Lieferketten ist eine vielversprechende Strategie für Entwicklungsländer, um von der Globalisierung zu profitieren. Lieferketten bringen jedoch auch Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung mit sich, sowohl in sozialer als auch in ökologischer Hinsicht. Mit vielfältigen Aktivitäten, u. a. im Forschungsnetzwerk „Nachhaltige Globale Lieferketten“, leistet das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) einen Beitrag zu Forschung und Politikberatung über die Chancen und Risiken von Lieferketten.

 

Mit zunehmend fragmentierten Produktionsprozessen über mehrere Länder hinweg findet ein gewaltiger Teil der globalen Wertschöpfung in Lieferketten statt. Großhändler oder Unternehmen, wie Supermärkte oder Textilhersteller, bestimmen oft maßgeblich die Konditionen, unter denen Lieferanten wie zum Beispiel Landwirt*innen an solchen Lieferketten teilnehmen können. Um in Lieferketten integriert zu werden, müssen sie immer höhere Anforderungen erfüllen.

 

Sowohl verpflichtende gesetzliche Vorschriften als auch freiwillige Nachhaltigkeitsstandards (Voluntary Sustainability Standards, VSS) können Lieferketten nachhaltiger machen. Für viele Produktgruppen wie Kaffee oder Kleidung haben sich Unternehmen und zivilgesellschaftliche Partner auf freiwillige Standards und Verhaltenskodizes geeinigt (z.B. Fairtrade, Fair Wear Foundation). Sie können beispielsweise grundlegende Prinzipien vorschreiben, etwa zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt oder für Verbrauchersicherheit. So hat das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahr 2019 einen freiwilligen Standard für Textilien und Bekleidung („Grüner Knopf“) auf den Weg gebracht. In einigen Ländern (Frankreich, Niederlande, Vereinigtes Königreich) zwingen die Lieferkettengesetze zumindest große Unternehmen zur Sorgfaltspflicht in denen von ihnen dominierten Lieferketten. Die deutsche Regierung arbeitet an einer eigenen Version des Gesetzes.

 

Es ist jedoch wichtig, unbeabsichtigte Folgen im Blick zu behalten: Aufgrund der Komplexität vieler Lieferketten kann es insbesondere für kleinere Akteure schwierig sein, alle relevanten gesetzlichen oder freiwilligen Anforderungen zu erfüllen. Höhere Standards können Markteintrittsbarrieren schaffen und die schwächsten Marktteilnehmer*innen, wie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oder Kleinst-, Klein- und Mittel-unternehmen (KKMU), ausschließen.

 

Um besser zu verstehen, wie das Potenzial von Lieferketten genutzt werden kann, untersuchen Forscher*innen am DIE die Chancen und Herausforderungen, die sie für Entwicklungsländer aus der Perspektive nachhaltiger Entwicklung mit sich bringen. Die Forschung am DIE, oft gemeinsam mit Partnern, liefert Erkenntnisse über die Verteilung der Erlöse auf den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette sowie Informationen über Abhängigkeitsbeziehungen, Wissenstransfer oder Umweltwirkungen im Kontext von Lieferketten. Darüber hinaus untersuchen die Forscher*innen des DIE unter anderem die Auswirkungen globaler Rahmenbedingungen, etwa von Handelsabkommen, auf die Chancen von Entwicklungsländern in globalen Wertschöpfungsketten. Sie forschen auch dazu, wie Lieferketten in Landwirtschaft und Industrie so gestaltet werden können, dass sie positive soziale Auswirkungen haben und die Belastung lokaler und globaler Ökosysteme minimiert wird. Zudem analysiert das DIE, wie sich nachhaltige öffentliche Beschaffungspraktiken durchsetzen lassen, wie sich COVID-19 und Automatisierung auf Lieferketten auswirken und, wie wir zu einer Kreislaufwirtschaft gelangen können. Die Forschung des DIE liefert damit die Grundlage für politische Ansätze, die zu besseren Ergebnissen im Sinne des globalen Gemeinwohls beitragen wollen.

Grafik: How do sustainability standards affect supply chains

Seit 2020 organisiert das DIE in Zusammenarbeit mit dem German Institute for Global and Area Studies (GIGA), dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) und der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) das neu gegründete und vom BMZ geförderte „Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten“. Dieses neue Netzwerk bringt führende internationale Forschungsinstitute im Bereich der Lieferkettenforschung zusammen. Es betreibt innovative Forschung und bietet Entscheidungsträger*innen in der Entwicklungszusammenarbeit evidenzbasierte Politikberatung. Es trägt zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit seinen Forschungsberichten, regelmäßigen Blogs, einer Podcast-Reihe und Online-Seminaren zur öffentlichen Diskussion bei.

 

In einem neuen Buch über Nachhaltigkeitsstandards und Global Governance bringen Forscher*innen des DIE und des Dialog- und Weiterbildungsprogramms Managing Global Governance (MGG) des Instituts erstmals Erkenntnisse über VSS in Schwellenländern zusammen. Das Buch unterstreicht, wie wichtig es ist, Nachhaltigkeitsstandards in aufstrebenden Volkswirtschaften zu fördern. So hat das DIE über MGG eine Reihe von nationalen Plattformen für VSS bei ihrer Gründung unterstützt und widmet dem VSS-Erfahrungsaustausch einen eigenen Arbeitsbereich.

 

Ein weiteres Beispiel für die internationale Forschungszusammenarbeit des DIE über nachhaltige Lieferketten ist ein EU-finanziertes Projekt über Wertschöpfungsketten auf Bambusbasis. Zusammen mit der indischen Foundation for Micro, Small & Medium Enterprises (MSME) erforscht das DIE das einkommensschaffende Potenzial neuer Bambusnutzungen und, wie diese in der neu entstehenden grünen Industrie Arbeitsplätze für die arme Landbevölkerung schaffen können. Im Jahr 2020 haben Forscher*innen des DIE einen Bericht des International Trade Centre (ITC) mitverfasst, der untersucht, wie VSS genutzt werden können, um Wertschöpfungsketten nachhaltiger zu gestalten und das Erreichen der SDGs zu fördern. Indem der Bericht ermittelt, welche SDG-Ziele von welchem VSS abgedeckt werden, verdeutlicht er, wie der private Sektor, aber auch die Verbraucher*innen Synergien zwischen VSS und SDGs nutzen können und welche Lücken von Entscheidungsträger*innen im öffentlichen Sektor geschlossen werden müssen.

 

Aufgrund der großen Potenziale und Herausforderungen global fragmentierter Produktionsprozesse und gestützt auf die vom DIE und seinen Partnern gewonnenen Forschungserkenntnisse ist es wichtig, dass die internationale und deutsche Entwicklungszusammenarbeit weiter auf nachhaltigere Lieferketten hinarbeitet, auch mithilfe gesetzlicher Vorgaben. Gleichzeitig ist es von größter Bedeutung, unbeabsichtigte Folgen zu erkennen und auf sie zu reagieren.

Die Autor*innen

Photo: Dr. Clara Brandi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme"

Dr. Clara Brandi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme“. Sie arbeitet zu Global Economic Governance und nachhaltiger Entwicklung mit einem Fokus auf dem Zusammenspiel von internationaler Handels- und Umweltpolitik.

Tamal Sarkar ist Direktor der Stiftung für Micro, Small & Medium Enterprises (MSME) Clusters in Indien. Er ist ein Experte für die Entwicklung industrieller Cluster.