Gestaltungsmacht Deutschland – Herausforderungen globalen Wandels gehören auf die Agenda

Gestaltungsmacht Deutschland – Herausforderungen globalen Wandels gehören auf die Agenda

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Messner, Dirk / Jörg Faust
Die aktuelle Kolumne (2014)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 12.02.2014)

Bonn, 12.02.2014. Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen haben die Debatte zur Rolle Deutschlands in der internationalen Politik eröffnet – und das ist auch gut so. Im Zeitalter globaler Interdependenzen gibt es keine nationalen oder europäischen Inseln der Glückseligkeit mehr. Wohlstand, Demokratie und Sicherheit Deutschlands und Europas hängen von weltweiten Dynamiken ab, auf deren Gestaltung Deutschland im Konzert mit Partnern aktiv einwirken muss. Aus einer multipolaren und sich immer stärker vernetzenden Welt ergeben sich dabei viele neue Chancen – und Deutschland ist bisher ein Globalisierungsgewinner –, aber auch Risiken. Ohne globale Kooperation drohen grenzüberschreitende Krisen, Instabilitäten, Konflikte. Die Herausforderungen für verbesserte Zusammenarbeit sind groß. Die transatlantischen Beziehungen befinden sich in turbulentem Fahrwasser. Der Westen und Russland streiten um Menschenrechte, Demokratie, Syrien, die Ukraine und Grundausrichtungen der internationalen Politik. Chinas Versuche, asiatische Führungsmacht zu werden und eine globale Ressourcensicherungspolitik zu entwickeln, wird von den meisten Akteuren kritisch beobachtet. Globale Kooperationsprozesse wie die Welthandelsorganisation (WTO) oder die Klimaverhandlungen sind auf aufstrebende Länder wie Brasilien, Indien, Südafrika oder Indonesien angewiesen, die noch ihre Rolle im Konzert der Weltpolitik suchen. Alles in allem: Es herrscht eher „kalter Friede“, so der US-Politikberater Charles Kupchan, und das in einer Situation, in der wir globale Kooperation dringender bräuchten denn je.
Welche Dynamiken gehören auf die internationale Agenda Deutschlands? Auf der Münchener Sicherheitskonferenz wurden wichtige Herausforderungen diskutiert. Sicherheitspolitik, die Stabilisierung fragiler Staaten, die Eindämmung und Verhinderung von innerstaatlicher Gewalt stehen hoch auf der Tagesordnung. Syrien, Irak, Libyen, möglicherweise Ägypten, haben das Potenzial, eine ganze Region zu destabilisieren. Mali und Süd-Sudan sind Beispiele für Rückschläge in Subsahara-Afrika, die leicht auf Nachbarstaaten übergreifen können. Wo Staaten implodieren oder Bürgerkriege toben, entstehen Einfallstore für den transnationalen Terrorismus. Zudem zeigen die Erfahrungen, dass Stabilisierung und Sicherheit sowie Entwicklungsfortschritte für breitere Bevölkerungsschichten siamesische Zwillinge sind. Daher müssen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik strategisch miteinander verquickt werden und mit langem Atem zusammenarbeiten, um in diesen Ländern erfolgreich sein zu können.
Unterbelichtet sind in der Debatte zur neuen Rolle Deutschlands in der internationalen Politik Dynamiken globalen Wandels, die die Weltwirtschaft und -gesellschaft in diesem Jahrhundert tiefgreifend verändern werden. Hierbei sind es vor allem vier miteinander verwobene Prozesse, deren Wirkungen und Richtungen Deutschland und Europa mitgestalten sollten. Erstens wird die Weltbevölkerung bis 2050 von heute sieben auf etwa neun Milliarden Menschen anwachsen. Zweitens wird daher die weltweite Nahrungsmittelproduktion um etwa 50 % gesteigert werden müssen, während Agrarflächen bereits heute zu knappen Gütern werden und die Ozeane sich in einem schlechten Zustand befinden. Drittens erlebt die Menschheit den größten Urbanisierungsschub ihrer Geschichte, wenn in den nächsten Dekaden die urbane Bevölkerung von heute drei auf etwa sechs Milliarden Menschen anwachsen wird. Folgt die Urbanisierung den Mustern der Vergangenheit, werden sich Ressourcenknappheiten weiter verschärfen und ein gefährlicher Klimawandel kaum zu vermeiden sein. Viertens steigt die globale Energienachfrage in den nächsten Dekaden stark an. Ohne eine internationale Energiewende in Richtung erneuerbarer Energien ist der Übergang zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft nicht zu schaffen.
Angesichts dieser Trends weisen Naturwissenschaftler darauf hin, dass die Menschheit in diesem Jahrhundert als Kollateralschaden des etablierten Wachstumspfades einen Erdsystemwandel mit unbekanntem Ausgang einleiten könnte, wenn nicht weltweit Wohlfahrtskonzepte „erfunden“ werden, welche die Grenzen des Planeten berücksichtigen. Die internationale Gemeinschaft kann Antworten auf diese Menschheitsherausforderungen nur gemeinsam voranbringen. Die derzeit weltweit geführte Diskussion über globale Entwicklungsziele für die Zeit nach 2015, an denen sich internationale Kooperation orientieren sollte, gehört in diesen Kontext. Bundespräsident Gauck, Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier haben eine unverzichtbare Debatte angestoßen. Damit eine Neuausrichtung der deutschen Außenbeziehungen gelingt, wird der Ball von Entwicklungsminister Müller, Umweltministerin Hendricks, Wissenschaftsministerin Wanka und Energieminister Gabriel aufgegriffen werden müssen. Denn Außenbeziehungen gehen im Zeitalter beschleunigter Globalisierung (beinahe) das gesamte Kabinett an.

Diese aktuelle Kolumne ist am 20.02.2014 auch auf Zeit online erschienen.

Über die Autor*innen

Faust, Jörg

Politikwissenschaftler

Messner, Dirk

Politikwissenschaftler

Messner

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