Ein Hoch auf Kenias neue Verfassung

Ein Hoch auf Kenias neue Verfassung

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Brown, Stephen
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 09.08.2010)

Bonn, Ottawa 09.08.2010. In 20 Ländern Afrikas haben Millionen von Menschen in diesem Jahr die Gelegenheit, an den Wahlurnen ihre Stimmen abzugeben. Eine der am meisten beobachteten Wahlen fand am 4. August in Kenia statt, bei der es um die Verabschiedung einer neuen Verfassung ging. Die Verfassungsreform erfuhr zuvor bereits die Unterstützung von Präsident, Premier und der Mehrheit der Parlamentsmitglieder. Meinungsumfragen ließen keinen Zweifel daran, dass das kenianische Volk ebenfalls zustimmen würde, dennoch gab es die Befürchtung, die Wahlen könnten wie die umstrittene Präsidentschaftswahl im Jahre 2007 zu erneuter Gewalt führen. Damals starben mindestens 1.500 Menschen, Hunderttausende mussten fliehen.

Und erst kürzlich gab es im Juni einen Granatenanschlag auf eine Versammlung der Reformgegner, wodurch sechs Menschen ums Leben kamen. Seitdem gab es jedoch keinerlei nennenswerte Vorfälle und die meisten der Regierungsgegner haben ihre Niederlage akzeptiert. Die Verfassungsreform ist eine bemerkenswerte Leistung zur Modernisierung von Kenias Regierungssystem und für die demokratischen Strukturen des Landes.

Die vorherige Verfassung hat eher zu einer autoritären Regierung eines Einparteiensystems gepasst. Als Kenia im Jahre 1992 zum Mehrparteiensystem zurückkehrte, behielt die Verfassung ihre undemokratischen Grundpfeiler, die dem Präsidenten ohne echte Kontrollgremien eine überproportionale Fülle an Macht garantierten. Somit konnte der starke Mann Kenias, Daniel arap Moi, ohne echten Widerstand der gespaltenen Opposition für ein weiteres Jahrzehnt die Macht des Landes in seinen Händen behalten.

2002, als die Opposition die Wahlen gewann, versprach Präsident Mwai Kibaki innerhalb von 100 Tagen eine neue Verfassung. Die erlangte Machtfülle war jedoch zu reizvoll, um sie gleich wieder aufzugeben. 2005 sprachen sich die Kenianer in einem Referendum gegen einen Verfassungsentwurf aus, da sie Handlungsunfähigkeit durch Machtdezentralisierung befürchteten. Die nun verabschiedete Verfassung schafft hingegen Möglichkeiten, den Präsidenten zu kontrollieren und schafft neue Institutionen, die zu einer weiteren Machtaufteilung führen – darunter 47 Kommunalregierungen und eine, dem US-Senat nachempfundene, obere Kammer im Parlament.

Aber auch die neue Verfassung verfügt über stark umstrittene Passagen. Viele christliche Geistliche schlossen sich Kampagnen gegen die Reform an. Zum einen, weil die neue Verfassung Abtreibungen legalisiert, sobald das Leben der Mutter in Gefahr ist, was von vielen jedoch als generelle Abtreibungslegalisierung fehlinterpretiert wird. Außerdem steht die Anerkennung der Kadhi-Gerichte zur Disposition, die de facto seit Kolonialzeiten in Familien- und Besitzfragen hohe Legitimität genießen.

Es ist bedauerlich, dass die wichtigsten christlichen Führer des Landes sich für eine Beibehaltung des Status quo stark gemacht haben, weil sie lediglich mit zwei Punkten nicht einverstanden sind. Dies ist vor allem deshalb schade, da die Kirchen in den Neunzigern an der Spitze des Kampfes für Demokratie und konstitutionelle Reformen standen.

Die womöglich vielversprechendste aber auch umstrittenste Novelle der Verfassung ist die Verpflichtung, historische Unrechtmäßigkeiten, insbesondere Fragen des Landbesitzes und der Redistribution fruchtbarer Flächen entlang ethnischer Grenzen, zu adressieren. Die neue Verfassung will unrechtmäßig entwendetes Land an die einstigen Besitzer zurückgeben, was vor allem für all diejenigen eine Gefahr darstellt, die einst von den korrupten Systemen unter Präsident Kenyatta und unter Präsident Moi profitierten. Es verwundert daher nicht, dass sich beide öffentlich gegen die Verfassungsreform aussprachen. Die umstrittene Frage des Landbesitzes war auch eine der unterschwelligen Ursachen für die Gewalt in den Neunzigern und nach der Wahl 2007.

Andere Verfassungsneuerungen erscheinen hingegen als tatsächlich unklug und könnten in der Zukunft erneute Ausschreitungen provozieren. Zum Beispiel sorgt der nun geschaffene Senat unnötig für zusätzliche Bürokratie und Kosten, die sich das Entwicklungsland nicht leisten kann. In nur wenigen Ländern werden Parlamentsmitglieder besser bezahlt, als in Kenia. Und auch die Abgabe von Kompetenzen an Regionen, die einer bestimmten Ethnie zugerechnet werden, könnte gefährliche Nebeneffekte mit sich bringen. Es gibt die begründete Befürchtung, dass sich dadurch ethnischer Chauvinismus re-etablieren könnte und es sogar zu zwanghaften Umsiedlungen von Minderheiten kommt.

Angesichts dessen werden auch in der Zukunft zwei Institutionen eine entscheidende Rolle spielen, die schon bei den jetzigen Wahlen eine große Bedeutung hatten: Die Unabhängige Wahlkommission sicherte einen fairen und freien Wahlablauf, während die Nationale Kommission für Zusammenhalt und Integration sicherstellte, dass sich einige Parlamentsmitglieder für aufrührerische und hetzerische Rhetorik verantworten mussten.

Aber muss das bedeuten, dass die Wahlen 2012 friedlich verlaufen werden? Obwohl das Referendum und die Verabschiedung der neuen Verfassung sehr positive Schritte in Kenias Demokratisierungsprozess sind, wäre es zu früh zu einer solchen Beurteilung zu gelangen. Schließlich ging auch den Wahlen 2007 ein friedliches Referendum voraus. Im Prinzip war das Referendum 2005 gar die Ursache der Gewalt in 2007.

Daher wird die neue Konstitution an den Wahlen 2012 geprüft werden müssen. Und mit Sicherheit wird es eine wesentlich höhere Gefahr für Ausschreitungen geben, als beim diesjährigen Referendum, da viel mehr auf dem Spiel steht: der Zugriff auf staatliche Macht und die damit einhergehenden Vorteile und Vergütungen. Die neue Verfassung und die neuen Institutionen können zu einem normalen Wahlablauf beitragen, diesen jedoch nicht garantieren. Eine Verfassung und ihre Gesetze sind lediglich Dokumente – ebenso notwendig ist ein Rechtsstaat, der diese durchsetzt. Etwas, das Kenia momentan noch schmerzlich fehlt.

Zahlreiche Milizen operieren nach wie vor und es gibt Berichte, dass sich ganze Gemeinden kollektiv mit Waffen ausstatten. Dies macht weitere destabilisierende Vorfälle wahrscheinlich. Am Ende des Jahres wird jedoch der Internationale Strafgerichtshof mehrere Kenianer wegen ihrer Beteiligung an den Ausschreitungen nach der Wahl 2007 anklagen.

Die Verfassungsdebatte hat die politische Szene Kenias in den letzten Monaten beherrscht. Nun ist für die Regierung die Zeit gekommen, sich mit anderen wichtigen Themen zu befassen. Der Rest Afrikas sowie internationale Spendengeber sollten zur Kenntnis nehmen, dass vor allen Dingen stärkere institutionelle Reformen notwendig sind, um Demokratie zu schaffen. Denn in zu vielen Staaten sind bereits existierende Mehrparteienwahlen nichts weiter als blanke Augenwischerei, die desaströse Konsequenzen nach sich zieht.

Von Stephen Brown, University of Ottawa.

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