Entwicklung durch „zirkuläre Migration“?

Entwicklung durch „zirkuläre Migration“?

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García, Andrea Ancira / Asiye Öztürk
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 13.04.2009)

Bonn, 13.04.2009. Die globale Bedeutung des Themas Migration muss angesichts von weltweit über 200 Millionen Migranten – von denen die Mehrheit in Europa lebt, gefolgt von Asien, Nordamerika und Afrika – nicht besonders unterstrichen werden. Hauptursachen der Migration sind neben dem globalen Lohngefälle auch hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Bildungsmöglichkeiten in den Entsendestaaten. Daneben führen auch Kriege, politische Verfolgung und der Klimawandel zu einer Zunahme von globalen Migrationsströmen.

Ein Konzept, das immer größere Aufmerksamkeit bekommt, ist das der zirkulären Migration. Grundidee ist, dass Migranten für eine begrenzte Zeit von Zielländern mit Arbeitskräftemangel aufgenommen werden und nach Ablauf der Frist – eventuell unter Beibehaltung einer Wiederkehroption – in ihre Heimatländer zurückkehren. Die Industriestaaten versprechen sich so eine Eindämmung und Kontrolle der internationalen Migrationsströme.

Zirkuläre Migration ist daher ein auf den ersten Blick interessantes Konzept. Ein genauerer Blick nährt jedoch Befürchtungen, dass damit die Fehler der „Gastarbeiter“-Politik der Vergangenheit wiederholt werden.

So sind die Vorteile für alle Beteiligten zunächst nicht von der Hand zuweisen. Aufnahmeländer können ihren Arbeitskräftemangel überbrücken und ihr Wirtschaftswachstum ankurbeln. Gerade klassische Einwanderungsländer, wie Kanada, Australien oder Neuseeland, profitieren von hochqualifizierten Einwanderern. Entsendeländer profitieren von steigenden Auslandsüberweisungen ihrer entsendeten Arbeitskräfte, die auf jährlich 250-400 Milliarden US-Dollar geschätzt werden und mittlerweile die zweitwichtigste Finanzquelle nach den ausländischen Direktinvestitionen sind. Da die Überweisungen oftmals auch als Rücklage für die Migranten dienen und in die Verbesserung der familiären Lebensumstände oder die eigene Selbstständigkeit investiert werden, können dadurch auch der Aufbau lokaler Wirtschaftsstrukturen gefördert und neue Entwicklungsimpulse freigesetzt werden. Ferner verbessern Rückkehrer aufgrund ihrer im Ausland erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen ihre Aussichten auf eine Tätigkeit auf dem nationalen Arbeitsmarkt.

Angesichts dieser Vorteile gilt „zirkuläre Migration“ als Alternative zu den diskreditierten „Gastarbeiter“-Programmen, die dazu beitragen soll, die Vorteile einer globalen Mobilität möglichst umfassend auszunutzen. Gerade für Arbeitskräfte aus Entwicklungsländern eröffnen sich neue Möglichkeiten, die durch eine flexiblere Visavergabepolitik der Industrieländer gefördert werden könnten. Jedoch gehen die Antworten der Industrieländer oftmals in eine andere Richtung, indem mit restriktiveren Einwanderungsgesetzen und Regulierungen sowie verstärkten Grenzkontrollen Migranten eher abgeschreckt werden. Ferner gibt es einen potenziellen Zielkonflikt zwischen Aufnahmeländern und Entsendestaaten: Während erstere an der Einwanderung von hochqualifiziertem Personal interessiert sind, zielen Entsendeländer eher auf die Entsendung von weniger qualifizierten Hilfskräften, um die Arbeitslosigkeit im eigenen Land zu senken.

Ein weiterer vernachlässigter Punkt sind die Auswirkungen der temporären Migration auf die sozioökonomische Mobilität des einzelnen Migranten im Aufnahmeland. Denn oft werden sie unter ihrer Qualifikation beschäftigt oder bekommen nur selten die Möglichkeiten zur Fortbildung, wie beispielsweise Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder ausgebildete Akademiker deren Abschlüsse im Aufnahmeland nicht anerkannt werden. Offen bleibt auch, wie die Aufnahmeländer die Rückkehr der Migranten tatsächlich sichern wollen. Dem Konzept der zirkulären Migration zufolge müssten Migranten abgeschoben werden – auch wenn sie nach Ablauf der vorgesehenen Zeit im Aufnahmeland bleiben möchten. Inwiefern würde sich solch eine Abschiebepraxis mit menschenrechtlichen Prinzipien vertragen?

Hinzu kommt, dass im Konzept keine Integrationsstrategien angedacht sind, da ja die Grundannahme die ist, dass die temporären Arbeitskräfte wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Dabei haben die Migrationserfahrungen Deutschlands, der USA oder auch Großbritanniens in den letzten Jahrzehnten genau das Gegenteil gezeigt, als deutlich wurde, dass Millionen von „Gastarbeitern“ gekommen waren, um zu bleiben. Eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit ist, dass fehlende Integration von Migranten – seien es temporäre oder dauerhafte – sie verwundbarer macht gegenüber rassistischer und ausländerfeindlicher Agitation im Aufnahmeland. Gleichzeitig erschwert sie aber auch ihre ökonomische und soziokulturelle Integration in die Mehrheitsgesellschaft.

Die Ansicht, dass zirkuläre Migration entwicklungsfördernd ist, muss daher differenzierter betrachtet werden. Dem Konzept liegt der ambivalente Gedanke zu Grunde, dass Migration per se ein Problem sei, das eingedämmt und kontrolliert werden müsse. Das stimmt bedenklich. Denn gerade Europa wird aufgrund seiner abnehmenden Bevölkerung mittelfristig auf dauerhafte Einwanderung angewiesen sein, um seine Wirtschaftskraft und sozialen Wohlstand bewahren zu können. Deshalb müssen Migrationspolitiken den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht werden. Leitmotiv müssen menschenrechtliche Prinzipien sein und nicht nur wirtschaftliche Überlegungen der Industriestaaten.

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