Genderpolitische Schmalspuragenda

Genderpolitische Schmalspuragenda

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Köhler-Rahm, Anette
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 02.03.2009)

Bonn, 02.03.2009. Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Zahlreiche Veranstaltungen und Veröffentlichungen werden zu diesem Anlass einmal mehr darauf hinweisen, dass die Welt ein für Frauen und Männer sehr unterschiedlicher Ort ist. Frauen leisten weltweit zwei Drittel aller Arbeit, erhalten dafür aber nur ein Zehntel des Einkommens und besitzen nur ein Prozent des Eigentums. 70 Prozent der extrem Armen sind Frauen und Mädchen. „Die Gleichstellung der Geschlechter ist der Schlüssel zur Überwindung von Armut“, sagte Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul deshalb folgerichtig bei der Präsentation des Weltbevölkerungsberichtes 2008 im vergangenen November. Aber spiegelt sich diese Einsicht in der Entwicklungspolitik wider?

Im Jahr 2000 haben sich 189 Staaten in der Millenniumserklärung verpflichtet, mit der Umsetzung von acht Millenium Development Goals (MDGs) zur weltweiten Armutsbekämpfung beizutragen. Die demonstrative Einigkeit der Akteure auf der Bühne der internationalen Entwicklungspolitik, ihren gut gemeinten Absichtserklärungen bis 2015 nun auch gut gemachte Taten folgen zu lassen, mag eine positive Überraschung gewesen sein und hat zu großer internationaler Aufmerksamkeit geführt. Aber die aus der Millenniumserklärung abgeleiteten Ziele sind nicht übertrieben innovativ. Vor allem im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit können die MDGs sogar als Rückschritt betrachtet werden. So war etwa die Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 schon sehr viel breiter angelegt, konkreter formuliert und in ihren Forderungen erheblich konsequenter.

Also darf – nicht nur anlässlich des Internationalen Frauentages und weil die Halbzeitmarke für die Erreichung der MDGs gerade überschritten ist – die Frage gestellt werden, wie bedeutsam die MDGs im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit überhaupt sind. Zunächst ist grundsätzlich positiv zu bewerten, dass MDG 3 die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und die Ermächtigung von Frauen ausdrücklich thematisiert. Aber die hier zur Konkretisierung formulierte Zielvorgabe, das Geschlechtergefälle in der Grund- und Sekundarschulbildung zu beseitigen, steht bemerkenswert isoliert und blendet andere wesentliche Faktoren zur Durchsetzung von Gleichberechtigung aus. In seinen Indikatoren zur Überprüfung der Zielerreichung bezieht sich MDG 3 zwar auf die Teilhabe von Frauen an Bildung, Erwerbsarbeit und politischer Entscheidungsfindung. Aber das in MDG 3 geforderte Empowerment von Frauen wird in der Gesamtschau der Ziele zu einem Nebenelement. In den MDGs drückt sich nur die Erkenntnis aus, dass Frauen von Armut häufiger und stärker betroffen sind als Männer. Diese Erkenntnis ist nicht neu und zweifellos auch wahr. Aber ihre Rolle als wesentliche Akteurinnen in Entwicklungsprozessen bleibt unberücksichtigt und bestehende Machtverhältnisse bleiben unangetastet. Dabei ist doch eigentlich unbestritten, was Kofi Annan sehr richtig auf den Punkt brachte: "Die Zukunft der Welt ist abhängig von den Frauen."

An anderen Stellen im Zielkatalog wird auf Frauen vor allem im Zusammenhang mit ihrer traditionellen Geschlechterrolle eingegangen: als Schwangere (MDG 4) und Mütter (MDG 5). MDG 1 (Beseitigung der extremen Armut und des Hungers) geht immerhin in einer Zielvorgabe, die „produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle, einschließlich Frauen und junger Menschen“ fordert, direkt auf Frauen ein. Und die in MDG 2 geforderte Verwirklichung der allgemeinen Grundschulbildung soll – höchst erfreulich – gleichermaßen für Jungen wie Mädchen gelten. Aber damit ist die genderpolitische Schmalspuragenda der MDGs leider auch schon vollständig dargestellt.

Geschlechtergerechtigkeit wird in den MDGs also allenfalls punktuell, aber nicht als Querschnittsthema berücksichtigt, wie man es im Sinne von Gender Mainstreaming eigentlich hätte erwarten dürfen. Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hemmt Entwicklung. Aber ein durchgängiges Verständnis davon, wie sich Fortschritte im Bereich der Gleichberechtigung unmittelbar positiv auf Armutsreduzierung auswirken, drückt sich in den MDGs nicht aus. Auch reichen die rein quantitativen Vorgaben der Ziele nicht aus, um Geschlechterungerechtigkeiten zu verringern. Selbst wenn weltweit 100 Prozent der Mädchen Bildungsangebote in Anspruch nehmen können ist damit nicht unbedingt gewährleistet, dass über die vermittelten Inhalte auch bestehende Diskriminierungen abgebaut werden. Bildung, die zwar Lesen und Schreiben lehrt, aber traditionelle Rollenbilder fortschreibt, reduziert höchstwahrscheinlich die Zahl der Analphabetinnen. Die gesellschaftliche Position der Frauen stärkt sie nicht.

Für das Jahr 2009 fordert Dr. Renée Ernst von der UN-Millenniumskampagne Deutschland: „Die Diskriminierung von Frauen muss aufhören. Sie stellt einen der Haupthinderungsgründe bei der Erreichung der Millenniumsziele dar, denn nur gleichberechtigte Frauen können ihren Beitrag zur Entwicklung einer Gesellschaft voll leisten.“ Gewalt gegen Frauen ist so eine hässliche Tatsache, deren Auswirkungen die Umsetzung sämtlicher MDGs massiv behindern, die aber an keiner Stelle im Zielkatalog explizit erwähnt ist. Gewalt gegen Frauen beeinträchtigt ihre Arbeitskraft und verursacht hohe Kosten für medizinische Versorgung. Mädchen, die Opfer von Missbrauch sind, können ihre Schulbildung nicht in dem Maße verfolgen, wie es nötig wäre. Sexuelle Belästigung beeinträchtigt Frauen in der Ausübung von Erwerbsarbeit. Genitalverstümmelung verursacht Komplikationen bei Geburten. Schwangerschaften sehr junger Mädchen bergen ein erhöhtes Gesundheitsrisiko für Mutter und Kind. Vergewaltigung setzt Frauen einem erhöhten Risiko aus, mit HIV infiziert zu werden. ... Die Liste ist erschreckend unvollständig.

Für 2009 kündigte die Bundesentwicklungsministerin an, 60 Millionen Euro im Rahmen des „MDG 3 Global Call to Action“ auszugeben, einer vom dänischen Außenministerium gestarteten Initiative zur intensiveren Bemühung um das dritte Millenniumsziel. Diese Bemühungen werden nur Erfolg haben, wenn Frauenrechte sehr viel breiter als bisher in den MDGs verankert werden. Frauen nur als Zielgruppe für Investitionen in Bildung und Gesundheitswesen darzustellen ist jedenfalls eher Minimum als Millennium.

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