WBGU stellt Sondergutachten vor: „Kassensturz für den Weltklimavertrag: Der Budgetansatz"

Pressemitteilung vom 01.09.2009

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat einen neuartigen Ansatz zur Bewältigung des Klimaproblems erarbeitet. Zentraler Bestandteil dabei ist die Einigung der Staatengemeinschaft auf eine Obergrenze für die noch zu emittierende Gesamtmenge an Kohlendioxid bis zum Jahr 2050. Mit diesem „Budgetansatz" können nach Ansicht der Wissenschaftler, unter ihnen Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), die im Dezember in Kopenhagen stattfindenden UN-Klimaverhandlungen zum Erfolg geführt werden: „Ohne einen Erfolg der Weltklimakonferenz in Kopenhagen ist eine erfolgreiche Armutsbekämpfung unmöglich. Der WBGU hat eine internationale Klimaformel entwickelt, die Kopenhagen zum Durchbruch verhelfen kann, weil sie fair und transparent ist und zugleich Weichen in Richtung einer klimaverträglichen Weltwirtschaft stellt“, so Messner anlässlich der heutigen Übergabe des WBGU-Sondergutachtens „Kassensturz für den Weltklimavertrag: Der Budgetansatz" an die Bundesregierung. „Für Industrie- und Entwicklungsländer würden sich Energie- und Treibhausgaseffizienz lohnen. Die Studie zeigt auch, dass die Welt vor einer historischen Herausforderungen steht. Das fossile Zeitalter muss in wenigen Dekaden beendet werden. Ohne eine enge Kooperation von Industrie- und Entwicklungsländern ist dieser Umbruch nicht zu schaffen“, so der stellvertretende WBGU-Vorsitzende Messner.

L'Aquila war ein wichtiger Zwischenschritt
Der Budgetansatz des WBGU orientiert sich am Ziel, die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen. „Der Budgetansatz ist einfach, transparent, gerecht und soll der internationalen Klimapolitik als Orientierungsrahmen dienen. Er kann die Verhandlungen auf dem Klimagipfel wesentlich erleichtern", sagt der WBGU-Vorsitzende Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber. Die Bedeutung dieser sog. „2°C-Leitplanke" wurde im Juli in L'Aquila von den 16 führenden Wirtschaftsmächten anerkannt. Nach Ansicht des WBGU kommt es nach diesem wichtigen Zwischenschritt jetzt darauf an, diese Temperaturgrenze völkerrechtlich verbindlich zu vereinbaren. Dafür ist engagiertes und zielgerichtetes Handeln führender Staats- und Regierungschefs erforderlich.

Das Konzept
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass bis zum Jahr 2050 nur noch eine begrenzte Menge an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen darf, um einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Deswegen schlägt der WBGU eine globale Obergrenze für Kohlendioxid aus fossilen Quellen („Globalbudget") vor. Da jedem Menschen gleiche Emissionsrechte zustehen sollten, wird diese Menge Kohlendioxid gemäß der Bevölkerungsstärke auf die einzelnen Staaten verteilt. Daraus ergeben sich nationale Emissionsbudgets, aus denen Reduktionsverpflichtungen für einzelne Staaten abgeleitet werden können. Verhandelt werden müssen bei dem vom WBGU entwickelten Verfahren nur noch wenige politische Parameter.

Alle Staaten wären gefordert, auf der Grundlage der noch erlaubten nationalen Kohlendioxidmengen nachhaltige und überprüfbare Strategien für eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise zu entwickeln. Die Industrieländer müssen aufgrund ihrer höheren Emissionen in der Vergangenheit die Entwicklungs- und Schwellenländer mit Finanz- und Technologietransfer dabei unterstützen.

Ein „Weiter-so-wie-bisher" führt in die Klimakrise
Dieser „Kassensturz" vor der Klimakonferenz in Kopenhagen zeigt auch, dass sehr ehrgeizige Minderungsziele vereinbart werden müssen, die möglichst frühzeitig eine weitgehende Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß nach sich ziehen. „Die Weltwirtschaft ist auf dem Weg in die CO2-Insolvenz. Für rund zwei Drittel aller Länder ist eine Weiter-so-Politik keine Option mehr. Um gefährliche Klimaänderungen zu vermeiden, müssen alle Staaten heute schon die Weichen für die Transformation in eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise stellen. Das schließt auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit ein. Die ganze Welt muss an einem Strang ziehen, um die Klimakrise zu überwinden", so DIE-Direktor Messner.

Globaler Kohlendioxid-Ausstoß muss bis 2050 drastisch sinken
Bis zum Jahr 2050 dürfen global nicht viel mehr als 750 Mrd. Tonnen Kohlendioxid aus der Nutzung fossiler Energieträger ausgestoßen werden, um einen gefährlichen Klimawandel noch zu vermeiden. Gegenwärtig werden weltweit jährlich 30 Mrd. Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Setzt sich der Kohlendioxidausstoß auf heutigem Niveau fort, wäre das Globalbudget daher schon in etwa 25 Jahren ausgeschöpft. Noch steigen die Emissionen von Jahr zu Jahr an. Der WBGU rät dringend dazu, spätestens ab 2020 zu weltweit sinkenden Emissionen zu kommen. „Damit hat ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen", so Schellnhuber. Eine weitere Verzögerung würde später so drastische Maßnahmen erforderlich machen, dass ein gefährlicher Klimawandel kaum noch zu verhindern wäre. Ein einmal erfolgter Klimawandel ist über viele Jahrhunderte nicht rückgängig zu machen.

Gordischen Knoten der Klimapolitik durchschlagen
Weil der Klimawandel rascher voranschreitet als bislang gedacht, steigt auch der Handlungsdruck auf die internationale Klimapolitik. Der bisherige schleppende Verlauf der UN-Verhandlungen wird dieser Herausforderung nicht gerecht. Wahrscheinlich wird die Aushandlung eines neuen Klimaschutzabkommens noch komplexer und damit noch schwieriger als bisher. Dies liegt nicht zuletzt an der steigenden Zahl von Ländern, die Reduktionsverpflichtungen übernehmen müssen, um gefährliche Klimaänderungen noch zu vermeiden. „Dieser gordische Knoten der Klimapolitik kann durchschlagen werden, wenn die Verhandlungen sich am neuartigen WBGU-Budgetansatz orientieren", so Schellnhuber.

Rahmenbedingungen für eine klimaverträgliche Weltwirtschaft schaffen
Der WBGU zeigt, dass Klimapolitik einen Umbau zu einer klimaverträglichen Weltwirtschaft bedeutet und welche Rahmenbedingungen und Anreize dafür geschaffen werden müssen. Zusätzlich zur Festlegung von noch erlaubten CO2-Budgets für alle Länder sind der Ausbau eines globalen Emissionshandels, die Förderung von Technologiepartnerschaften sowie Kooperation zwischen Hoch- und Niedrigemissionsländern erforderlich. Zur Kontrolle dieser Mechanismen sowie der Dekarbonisierungsstrategien einzelner Länder soll eine Weltklimabank eingerichtet werden.

Die „2°C-Leitplanke" zur Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen
Der WBGU hat bereits 1995 den Vorschlag gemacht, eine Obergrenze für eine noch akzeptable Erhöhung der globalen Mitteltemperatur zu benennen, die sog. „2°C-Leitplanke", und davon ausgehend in einer Rückrechnung die notwendigen Emissionsreduktionen ermittelt. Der Budgetansatz des WBGU entwickelt diese Sichtweise weiter und macht sie anschlussfähig an die internationale Klimapolitik.

Rückfragen bitte an die Geschäftsstelle des WBGU, Tel. 030 263948 12 oder wbgu@wbgu.de.