„Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?“

Die neue deutsch-französische Allianz für den Multilateralismus

Die neue deutsch-französische Allianz für den Multilateralismus

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Kaplan, Lennart / Niels Keijzer
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 16.09.2019)

Bonn, 16.09.2019. Während der 74. Sitzung des UN-Generalversammlung, die am 17. September in New York beginnt, werden Deutschland und Frankreich eine Allianz für den Multilateralismus initiieren. Die Allianz soll das multilaterale System gegenüber aktuellen unilateralen Tendenzen in den internationalen Beziehungen festigen und schützen. Zu diesem Zweck sollen die Mitglieder der Allianz gegen Verletzungen internationalen Rechts einstehen, mehr Finanzmittel für globale Herausforderungen garantieren und adäquate Regulierungen für neue Herausforderungen sicherstellen. Deutschland und Frankreich hatten die Initiative bereits Mitte Februar unter dem Slogan „Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?“ angekündigt.

„Wann, wenn nicht jetzt?“ – Unilaterale Dynamiken

In den vergangenen Jahren ist eine Trendwende hin zu unilateralen Ansätzen festzustellen. Besonders prägnante Beispiele sind der mögliche EU-Ausstieg Großbritanniens, der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und die Schwächung der Welthandelsorganisation. Bereits nach dem 11. September 2001 gab es verstärkte unilaterale Bestrebungen, zum Beispiel als der amerikanische Präsident George W. Bush sich weigerte, das Kyoto Protokoll gegen den Klimawandel zu unterzeichnen. Jedoch hat die heutige Situation eine weitaus stärkere geopolitische Dimension. Gerade vor dem Hintergrund bedrohter globaler öffentlicher Güter können nur multilaterale Lösungsansätze zielführend sein, sei es beim Klimawandel, Sicherheitsfragen in der Sahel-Region oder der Bekämpfung von Steuerflucht. Aktuelle unilaterale Prozesse stellen jedoch globale nachhaltige Entwicklung in Frage und versinnbildlichen, dass die bisher führenden Staaten nicht mehr bereit sind, ihrer internationalen Verantwortung nachzukommen. Insgesamt steht die multilaterale Weltordnung auf dem Prüfstand. Wie kann diese Trendwende zurückgedreht werden?

„Wer, wenn nicht wir?“ – Das Deutsch-Französische Tandem

Es kommt nicht von ungefähr, dass gerade Deutschland und Frankreich eine Allianz mit diesem Anspruch initiieren. Erst im Januar 2019 haben Macron und Merkel den Élysee-Vertrag mit einem erweiterten Freundschaftsvertrag in Aachen erneuert und dabei deutlich ihre Unterstützung des multilateralen Systems hervorgehoben. Beide Länder sind – aufgrund der temporären deutschen Mitgliedschaft 2019-2020 – derzeit gemeinsam im VN-Sicherheitsrat vertreten. Frankreich unterstützt zudem den deutschen Wunsch nach einer permanenten Mitgliedschaft. Die aufeinanderfolgende Präsidentschaft im Sicherheitsrat in den Monaten März und April 2019 nutzte das deutsch-französische Tandem bereits, um internationale Konflikte, Terrorismusbekämpfung und Friedenskonsolidierung auf die Agenda zu setzen. In der Entwicklungszusammenarbeit sind Deutschland und Frankreich wichtige Geber und verteilen ein Drittel ihrer Finanzströme über multilaterale Organe. Außerdem waren die beiden Staaten in den letzten Jahren maßgeblich an internationalen Initiativen für nachhaltige Entwicklung beteiligt.

„Aber was, wenn wir nicht handeln?“ – zwei Herausforderungen

Es wird zuerst wichtig sein, dass die Allianz klare inhaltliche Akzente setzt. Unter anderem ist geplant, dass die Allianz auf aktuelle Herausforderungen wie regionale Krisen, eine gezielte Manipulation von Informationen und Missbrauch von Digitalisierung reagiert. Kritiker könnten aber betonen, dass Deutschland und Frankreich diese Allianz hauptsächlich aus eigenen Interessen initiieren. Beide sind großen Handelsnationen, die in einer unilateralen Weltordnung viel zu verlieren hätten und so Interesse am Fortbestehen des aktuellen Systems haben. Daher ist es umso wichtiger zu zeigen, dass die Allianz nicht auf Einzelinteressen, sondern auf das globale Gemeinwohl hinarbeitet und diesbezüglich zu Reformen bereit ist. Die Attraktivität unilateraler Politik in einflussreichen Staaten ist nicht nur aus den nationalen politischen Realitäten heraus zu verstehen. Sie ist auch eine Reaktion auf ein enttäuschtes Vertrauen in die internationale Zusammenarbeit sowie die negativen Effekte der Globalisierung.

Eine größere Herausforderung wird es somit sein, möglichst viele Staaten von der Sinnhaftigkeit der Allianz für den Multilateralismus zu überzeugen. Bisher haben bereits Kanada, Japan und überraschenderweise auch China ihr Teilnahme zugesagt. Im EU-Vertrag haben die 28 Mitgliedstaaten sich rechtlich zu multilateralen Lösungen verpflichtet, und sollten sich ebenfalls hinter diese Initiative stellen. Die fehlende Einigkeit im Rahmen des Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration im Jahr 2017 und der aktuelle Streit bezüglich schiffbrüchiger Geflüchteter im Mittelmeer illustrieren aber auch die Herausforderung für Europa, tatsächliche multilaterale Lösungen zu finden und umzusetzen. Es wird entscheidend sein, inwiefern es der Allianz gelingen wird, langfristig die USA als einen gestaltenden Akteur der Weltpolitik mit einzubeziehen. Deutschland und Frankreich haben jedenfalls klar betont, dass die Allianz sich nicht gegen spezifische Akteure richtet, und ein Bekenntnis zu den Zielen der Allianz eingefordert. Wer genau die Unterstützer der Allianz sein werden und wann sie ihre Kooperation in Taten umsetzen, wird spannend zu beobachten sein.

Über die Autor*innen

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