Demokratie auf dem Prüfstand?

Demokratisierung und Demokratieversprechen im heutigen Afrika

Demokratisierung und Demokratieversprechen im heutigen Afrika

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Isbell, Thomas
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 20.11.2023

Bonn, 20. November 2023. Den Zustand der Demokratie in Afrika zu beurteilen, gestaltet sich zunehmend schwieriger. Angesichts der Schlagzeilen und Trends sind sich Beobachter*innen uneins darüber, ob die Demokratisierung in den meisten Ländern des Kontinents „ausgedient hat“ oder noch „Kurs hält“.

Die Demokratie steht weltweit unter Druck, was sich etwa an demokratischen Rückschritten oder dem wachsenden Autoritarismus und Populismus erkennen lässt. Dieser Trend geht auch an Afrika nicht spurlos vorüber – manipulierte oder unfaire Wahlen in Sierra Leone, Simbabwe und Côte d’Ivoire oder schrumpfende Räume für politische Opposition und Zivilgesellschaft in Benin, Senegal, Uganda und anderswo sind nur einige Beispiele. Viele demokratische Freiheiten schwanden in den letzten Jahren, als viele Regierungen die bürgerlichen Freiheiten im Zuge der Corona-Pandemie eingeschränkt und die Staatsgewalt militarisiert haben. Diese Entwicklung hält bis heute an.

Die jüngste Putschwelle in West- und Zentralafrika hat die Demokratie in diesen Ländern weiter ins Wanken gebracht. Da neue globale Player, wie etwa Russland, sich bei den Putschisten und selbst ernannten Regierungschefs anbiedern, ist es unwahrscheinlich, dass diese Akteure demokratische Werte in der Region übernehmen wollen, schließlich könnten diese ihren Interessen zuwiderlaufen.

Aufgrund dieser Ereignisse sehen Experten den Zustand der Demokratie und die diesbezüglichen Aussichten in vielen afrikanischen Ländern zunehmend kritisch. Beispiele aus jüngster Zeit zeigen jedoch, wie sich der Abwärtstrend aufhalten lässt und wie die richtigen Hebel demokratische Elemente erneut zum Erstarken bringen könnten. Auf dem Kontinent gab es in Sachen Demokratie einige positive Entwicklungen: Die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Malawi vom Februar 2020, die von Unregelmäßigkeiten geprägten Präsidentschaftswahlen von 2019 zu annullieren, die erfolgreichen Präsidentschaftswahlen in Gambia im Jahr 2021, der Regierungswechsel in Sambia 2021 und der erste demokratische Machtwechsel auf den Seychellen (2020).

Bei der Bewertung der Demokratie sowie in Demokratie-Indizes wird allerdings oft die Frage ausgespart, ob sich die Mehrheit der Afrikaner*innen für die Demokratie ausspricht und ob diese Präferenz stärker ist als die Tendenz, nicht-demokratische Alternativen in Betracht zu ziehen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Zustand der Demokratie und der Lebenswirklichkeit der Menschen in Ländern, in denen die Demokratie in Gefahr und der Autoritarismus auf dem Vormarsch ist. Das heißt, ein demokratischer Rückschritt „passiert“ nicht einfach so.

Eine aktuelle, für die jeweiligen Staaten repräsentative Umfrage von Afrobarometer zeigt, dass die Unterstützung für die Demokratie unter den Afrikaner*innen seit 2014 bemerkenswert stabil geblieben ist. Etwa zwei Drittel ziehen die Demokratie jeder anderen Regierungsform vor. Ebenso lehnt eine beträchtliche Mehrheit regelmäßig eine Ein-Mann-Herrschaft (~80 %) und eine Einparteienherrschaft (~80 %) ab. Natürlich gibt es dabei einige wichtige länderspezifische Unterschiede. Im Vergleich zu 2014 ist die Unterstützung für die Demokratie in Sierra Leone (+25 Prozentpunkte), Tansania (+22) und Uganda (+17) am stärksten gewachsen, während sie in Mali (-36), Burkina Faso (-26) und Südafrika (-21) am stärksten abgenommen hat.

Der Großteil der Befragten unterstützt demokratische Normen und Institutionen, wie z. B. regelmäßige freie und faire Wahlen (75 % Unterstützung in den Jahren 2021/22), der Respekt gegenüber Gerichtsurteilen durch den Präsidenten (75 %) und die begrenzte Amtszeit des Präsidenten (74 %).

Während die Mehrheit der Befragten zwar die Demokratie zu befürworten scheint, sprechen viele gleichzeitig von einem Demokratiedefizit. In der Vergangenheit gab nur etwa die Hälfte der Befragten an, in einer Demokratie zu leben, und sei es nur in einer mangelhaften. Noch weniger Menschen (~38 % im Jahr 2021/22) zeigten sich mit dem Funktionieren der Demokratie in ihrem Land zufrieden. Natürlich ließe sich hier argumentieren, dass diese subjektiven Eindrücke viel zu positiv ausfallen, blickt man auf die deutlich düsteren Bewertungen der Demokratie durch Fachleute. Grundsätzlich wird anhand der Umfragen vor allem erkennbar, dass die Demokratieversprechen auf dem gesamten Kontinent hinter den Erwartungen und Wünschen der Bevölkerung zurückbleiben.

Dieses Missverhältnis könnte die Unterstützung der Bevölkerung für die Demokratie mit der Zeit aushöhlen. Während die Befragten bestimmte Alternativen zur Demokratie, wie etwa die Ein-Mann- und Einparteienherrschaft, deutlich stärker ablehnen, als dass sie die Demokratie als Regierungsform befürworten, ist die Zahl derer, die eine Militärherrschaft ausdrücklich ablehnen, im Laufe der Zeit zurückgegangen. Etwa die Hälfte der Befragten hält es inzwischen für legitim, dass das Militär die Kontrolle über die Regierung übernimmt, wenn die gewählten Regierungschefs die Macht für eigene Zwecke missbrauchen. Da immer mehr Menschen von Machtmissbrauch seitens der politischen Führung berichten, könnte in immer mehr Ländern die Zustimmung zu militärischen Interventionen wachsen. Die Demokratie steht auf dem Prüfstand.


Thomas Isbell war Assoziierter Wissenschaftler am IDOS im Programm Transformation politischer (Un-)Ordnung. Er ist Politikwissenschaftler und arbeitet derzeit als Postdoctoral Research Fellow an der Universität Kapstadt und bei Afrobarometer.

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