UNRWA-Untersuchungsbericht

Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge weiterhin unterstützen

Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge weiterhin unterstützen

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Loewe, Markus
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 23.04.2024

Bonn, 23. April 2024. Nach Vorwürfen Ende Januar, dass zwölf Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge, UNRWA, am Massaker der Hamas im Oktober in Israel beteiligt gewesen seien forderte Israel dessen Auflösung und ließe keine Hilfslieferungen an UNRWA im Gaza-Streifen mehr zu. Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, froren weitere finanzielle Zusagen an UNRWA ein.

Ein gestern veröffentlichter, von UNRWA beauftragter Untersuchungsbericht identifiziert Defizite des Hilfswerks, geht aber davon aus, dass es weiterhin operieren kann. In Anbetracht der katastrophalen Not im Gaza-Streifen, der überwiegend erfolgreichen Arbeit von UNRWA, seinen Kenntnissen, Erfahrungen und vielen Aufgaben gibt es kurzfristig keine Alternative. Deutschland sollte Reformen einfordern, seine Unterstützung für UNRWA aber im Interesse der Menschen im Gaza-Streifen fortsetzen und ausweiten.

UNRWA wurde 1949 gegründet, um die Palästinenser*innen zu versorgen, die aus Israel nach Gaza, in die Westbank, ins heutige Jordanien, nach Syrien und in den Libanon flohen bzw. vertrieben wurden. Hierfür hat das Hilfswerk kein festes Budget und ist auf immer neue Finanzzusagen angewiesen. 2022 verfügte es über gut eine Milliarde Euro, von der die Vereinigten Staaten 33%, Deutschland 19% und die Europäische Kommission 11% beisteuerten.

Im Gaza-Streifen wäre die humanitäre Lage ohne UNRWA längst zusammengebrochen. Alleine dort besuchten 2022 knapp 300.000 Schüler*innen eine der 183 UNRWA-Schulen, UNRWA unterhielt 22 Krankenhäuser und Gesundheitszentren und sieben Frauen- und Gemeindezentren, und es vergab Mikrokredite an 130.000 und Sozialhilfe an 100.000 Personen. Dafür beschäftigte UNRWA 13.000 Mitarbeitende alleine im Gaza-Streifen (30.000 insgesamt).

Dass UNRWA schon vor dem Krieg ein Gros der Sozialleistungen im Gaza-Streifen erbringen musste, belegt, dass die Hamas ihrer Regierungsverantwortung dort nicht gerecht geworden ist. Andererseits konnte sie die Versorgung der knapp zwei Millionen Einwohner*innen aus ihren geringen Einnahmen gar nicht ohne externe Unterstützung finanzieren. Das kleine Gebiet lässt kaum Landwirtschaft zu, Wasser und Energie sind knapp, und der Außenhandel war von Israel abgeriegelt.

Noch bedeutsamer wurde UNRWA während des Krieges. Keine andere Organisation hat im Gaza-Streifen ähnlich viele Mitarbeitende, kennt die Lage so gut und verfügt über eine vergleichbare Logistik und Erfahrung wie UNRWA, das von Anfang an das essenzielle Rückgrat und der Organisator der Verteilung von humanitärer Hilfe war.

Und auch in absehbarer Zukunft wird keine Organisation die Aufgaben von UNRWA übernehmen können. Alle Akteur*innen sollten daher ein Interesse daran haben, dass UNRWA seine Arbeit weiterführt und eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe verhindert. Ohnehin ziehen sich immer mehr Hilfsorganisatoren aus dem Gaza-Streifen zurück, seitdem Israel Anfang April einen Konvoi der Nichtregierungsorganisation World Central Kitchen beschossen und dabei sieben Menschen getötet hat.

Im Januar brachte Israel nun vor, dass zwölf UNRWA-Mitarbeiter in das Hamas-Massaker am 7.-9. Oktober verwickelt gewesen seien, bei dem mindestens 1139 Menschen getötet, 5400 verletzt und 240 entführt wurden. Verbindungen zu militanten islamistischen Gruppen hätten sogar 10% der UNRWA-Beschäftigten im Gazastreifen. Belege hierfür wurden allerdings bis dato nicht veröffentlicht. Zudem ist auffällig, dass die Behauptungen erst dreieinhalb Monate nach dem Hamas-Massaker aufgestellt wurden – aber nur einen Tag, nachdem der Internationale Gerichtshof Israel aufgefordert hat, Völkermord im Gazastreifen zu unterlassen und humanitäre Hilfe zu erleichtern. Jedoch treffen einige Beschuldigungen vermutlich zu: Die New York Times berichtete über Hinweise darauf, dass mindestens drei UNRWA-Mitarbeiter an Entführungen mitgewirkt und drei weitere Munition gelagert oder zum Massaker gebracht hätten. UNRWA hat diese Personen umgehend entlassen.

Selbst mit besten Kontrollen kann UNRWA vermutlich nicht vollständig verhindern, dass sich unter seinen 13.000 Mitarbeitenden im Gaza-Streifen auch Terroristen befinden oder im Laufe der Zeit dazu werden. Auch Israel, das regelmäßig eine Liste aller UNRWA-Mitarbeitenden erhält, war dies zuvor offenbar nicht aufgefallen. Dabei ist zu bedenken, dass in Gaza seit 18 Jahren eine Organisation herrscht, die versucht, alle Einwohner umfassend zu kontrollieren und zu indoktrinieren. UNRWA muss seine Kontrollmechanismen verbessern, man sollte das Hilfswerk aber nicht insgesamt aufgeben.

Die deutsche Regierung kündigte Ende Januar an, bis zur Aufklärung der israelischen Vorwürfe keine neuen Mittel für UNRWA in Gaza zu bewilligen. Ähnliche Entscheidungen trafen die USA, Großbritannien, Japan und Österreich. Frankreich und Norwegen setzten ihre Unterstützung hingegen fort; Spanien, Portugal und Irland stockten sie zum Ausgleich sogar auf. Am 25. März sagte Deutschland UNRWA wieder 45 Millionen Euro zusätzlich zu – allerdings nur für die Arbeit in Jordanien, Syrien, dem Libanon und der Westbank.

Deutschland sollte aber auch für Gaza neue Mittel bewilligen und seine Unterstützung für UNRWA ausweiten. Japan, Australien und Kanada haben dies bereits getan. UNRWA ist fast das letzte, was die Menschen dort noch haben, und beim Wiederaufbau wird man dringend auf dessen Strukturen und Erfahrung angewiesen sein. Wer sonst soll in Zukunft die Versorgung in Gaza aufrechterhalten? Die Hamas soll als Regierung nicht zurückkehren; andere arabische Länder werden sich nicht aktiv engagieren wollen, und auch Israel wird die Verantwortung für die Zivilverwaltung in Gaza nicht wieder übernehmen wollen. Auch der gestern vorgelegte Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission kommt zu dem Schluss, dass UNRWA seine Kontrollmechanismen weiter verbessern sollte, seine Arbeit aber fortsetzen kann.

Über den Autor

Loewe, Markus

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