Münchner Sicherheitskonferenz 2024

Sicherheitspolitik ist nicht Entwicklungspolitik

Sicherheitspolitik ist nicht Entwicklungspolitik

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Leininger, Julia / Anna-Katharina Hornidge
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 19.02.2024

Pünktlich zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) haben prominente Politiker*innen verschiedener Parteien die Bundesregierung aufgefordert, den entwicklungspolitischen Etat zu erhöhen anstatt zu kürzen. Zu den Unterzeichner*innen gehört auch Christopher Heusgen, Präsident der MSC. Sie argumentieren: „Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“. Dafür gibt es viele Belege. Gerade in Zeiten zunehmender Fragilität trägt Entwicklungspolitik zur Krisenprävention bei und baut Brücken zu nachhaltigem Frieden. Bei Gewaltkonflikten geht das nur im engen Schulterschluss und Zusammenwirken mit Sicherheitspolitik. In der Vergangenheit hat aber eine Versicherheitlichung der Entwicklungspolitik die Konturen zwischen beiden Politikfeldern verwischt. Die Gestaltung der Zeitenwende darf diesen Fehler nicht wiederholen.

Auch die MSC hat sich zu ihrem 60. Geburtstag von einem engen, auf physische Unversehrtheit fokussiertem Sicherheitsverständnis gelöst. Teilnehmer*innen haben in den vergangenen drei Tagen grundlegende Fragen menschlicher Sicherheit diskutiert – von der militärischen Aufrüstung und NATO über Klimawandel bis zu Wirtschaftsbeziehungen. Die MSC beschreibt in ihrem Bericht eine prekäre Ausgangslage für diese breite Debatte. Die globale Ordnung sei aus dem Gleichgewicht, weil die Vorteile internationaler Zusammenarbeit nicht mehr gesehen würden und das Prinzip der Rivalität zunehmend vorherrsche. Um eine drohende lose-lose-Dynamik aufzuhalten, hälfen nur globale, reziproke Partnerschaften. Das kann Sicherheitspolitik, und noch weniger Verteidigungspolitik, alleine nicht leisten.

Die breit angelegten Diskussionen in München könnten einen glauben machen, dass Entwicklungs- und Sicherheitspolitik ähnlichen Logiken folgten. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich: Entwicklungspolitik kann Sicherheitspolitik für nachhaltigen Frieden sein; Sicherheitspolitik ist aber eben nicht Entwicklungspolitik. Ein solcher Umkehrschluss wäre nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Warum? Zwar beanspruchen beide Politikfelder, menschliche Sicherheit zu schaffen, doch sind ihre –idealerweise miteinander verzahnten – Instrumente und Wirkungen sehr unterschiedlich. Sicherheitspolitik richtet sich gegen (mögliche) Gefahren für das menschliche Leben und soll es vor Angriffen schützen. Physische Sicherheit ist eine Grundlage für nachhaltige Entwicklung. Insofern kann Sicherheitspolitik eine wichtige Bedingung für entwicklungspolitisches Handeln sein, insbesondere in Kriegs- und Terrorismusgebieten. Sie arbeitet aber stets mit einer Logik der Abwehr.  Internationale sicherheitspolitische Bündnisse bilden Allianzen für den Schutz menschlicher Unversehrtheit gegen (mögliche) Aggressoren. Damit verschließen sich Türen für globale Partnerschaften, die derzeit so dringend gebraucht werden, um die Nachhaltigkeitstransformationen anzugehen und das von der MSC skizzierte lose-lose Szenario einzuhegen.

Und da kommt die Entwicklungspolitik ins Spiel. Mit großer Ausdauer um Wege und Formate für reziproke und konstruktive Zusammenarbeit zu ringen ist die DNA entwicklungspolitischen Handelns. Die zugrundeliegende Logik ist Kooperation, um die Übel der Menschheit zu überwinden, die nachweislich Nährboden für Unsicherheiten bereiten  – Armut, Arbeitslosigkeit oder fehlende Zukunftsperspektiven. In diesem Sinne ist Entwicklungspolitik auch „nachhaltige Sicherheitspolitik“. Es setzt voraus, dass Entwicklungspolitik langfristig und strukturbildend angelegt ist, um gemeinsam Transformationsprozesse friedlich zu gestalten. Das geht nur durch Kooperationen, die sich für gemeinsame Zukunftsvorstellungen einsetzen. So übernimmt Entwicklungspolitik auch die Rolle, dort Türen offen zu halten und Brücken zu bauen, wo Sicherheitspolitik Türen verschlossen halten muss.

Entwicklungspolitik ist nicht „die kleine Schwester“ von Sicherheitspolitik – auch wenn dies eine beliebte Darstellung ist. Selbst die MSC, Wiege sicherheitspolitischer Debatten, betont mittlerweile, dass langfristige, reziproke Partnerschaften zwischen dem – wie es im MSC 2024 Bericht heißt – „sogenannten Globalen Süden“ und „Globalen Norden“ zentral für menschliche Sicherheit sind. Damit sind entwicklungspolitische Fragen im Kern sicherheitspolitischer Debatten angekommen. Das scheint nicht neu, denkt man beispielsweise an Debatten über vernetzte Sicherheit im Afghanistaneinsatz. Neu ist jedoch, dass sich globale Politik so verändert hat, dass sich der Kreis derjenigen, die letztendlich über Sicherheit mitentscheiden erweitert hat.

Beide Politikfelder stehen somit vor großen Herausforderungen und Reformen. Sie sind erschüttert von erodierenden Regeln und Rivalitäten in der internationalen Ordnung.  Niedrig- und Mitteleinkommensländer in Afrika, Asien und Lateinamerika diversifizieren ihre Beziehungen und treten selbstbewusster auf. „Partnerschaft auf Augenhöhe“, um die sich Entwicklungspolitik im Laufe der Jahre immer wieder bemüht hat, wird nun von ihren Partnern mit einer neuen Vehemenz eingefordert. Stabil geglaubte, sicherheitspolitische Bündnisse wie die NATO geraten zunehmend ins Schwanken.

Um menschliche Sicherheit und Unversehrtheit zu gewährleisten braucht es sowohl Entwicklungspolitik für tragfähige globale Kooperationen zur Gestaltung nachhaltiger Zukünfte, als auch sicherheitspolitische Bündnisse gegen Aggressoren dort, wo Kooperation an ihre Grenzen stößt. Eine Reform des Zusammenspiels auswärtiger Politikfelder würde es ermöglichen, die Zeitenwende umfassend anstatt vor allem militärisch zu gestalten. Ein erster Schritt dahin ist die gemeinsame Anerkennung globaler Problemlagen. Das beschreibt bereits die Nationale Sicherheitsstrategie. Effektives Zusammenwirken von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik setzt voraus, dass die sie definierenden Handlungslogiken klar erkennbar sind. Doch auch nach Jahren der Debatten um vernetzte Sicherheit bleiben die Alleinstellungsmerkmale und komparativen Vorteile der jeweiligen Ansätze uneindeutig. Antworten auf diese Fragen müssten nun – auch im Lichte der Evaluierung des Afghanistaneinsatzes – neu beantwortet werden. Dabei steht fest: Ein kohärentes Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente muss ein gemeinsames Ziel haben: Frieden und Sicherheit.

Über die Autor*innen

Leininger, Julia

Politikwissenschaftlerin

Leininger

Hornidge, Anna-Katharina

Entwicklungs- und Wissenssoziologie

Hornidge

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